Liebe Leserinnen, liebe Leser,

ich hoffe, Sie hatten alle einen guten Start in das neue Jahr. Für den größeren Rest der Zeit in 2017 wünsche ich Ihnen Erfolg und Zuversicht mit all Ihren Vorhaben und Wünschen.

Die in der vorliegenden Nummer unserer Zeitschrift veröffentlichten Beiträge vom Kongress der Österreichischen Ärztegesellschaft in Pörtschach zeigen die Vielfalt der mit manualmedizinischem Denken verknüpften Themen bzw. auch umgekehrt, welche vielfältigen Aspekte in der manuellen Medizin (MM) berücksichtigt werden können und müssen.

In den meisten Beiträgen wurden gesammelte praktische Erfahrungen formuliert und in Bezug zu wissenschaftlichen Hypothesen gesetzt. Das ist auch die Zielstellung unserer Zeitschrift für Sie als Leser, zu einer Symbiose von Praxis und Wissenschaft beizutragen.

Wissenschaft ist ein System der Erkenntnisse über die wesentlichen Eigenschaften, kausalen Zusammenhänge und Gesetzmäßigkeiten der Natur, Technik, Gesellschaft und des Denkens, das in Form von Begriffen, Kategorien, Maßbestimmungen, Gesetzen, Theorien und Hypothesen fixiert wird. (Zitat aus https://de.wikipedia.org/wiki/Wissenschaft)

Betrachten wir unsere heutige moderne MM als eine Wissenschaft, so ist sie eine junge Wissenschaft, deren praktische Erfahrungen zwar schon etwas länger zurückreichen, aber deren Fragestellungen und zielführende Hypothesen erst in den letzten wenigen Jahrzehnten formuliert wurden.

Bestandsaufnahme

Es erscheint also durchaus zweckmäßig, mit einer Bestandsaufnahme des Vorhandenen zu beginnen und existierende Lücken zu schließen.

Die vorhandenen Untersuchungs- und Behandlungstechniken wurden recht gut gesammelt und kategorisiert. Ob sie schon so klar klassifiziert sind, dass sie in das Gesamtsystem der universitären Medizin integriert werden können, wäre zu überdenken.

Welche Symptome, Krankheitszeichen, Syndrome, Funktionskrankheiten, Krankheitsbilder versorgen wir in der Praxis bei unseren Patienten? Haben wir davon ausreichend Zahlen, die unser Können belegen und die Potenz der MM aufzeigen? In den ANOA-Kliniken hat man als Erstes begonnen, dies zu erfassen und zu systematisieren, um aufzuzeigen, dass eine konservative manualmedizinisch-orthopädische stationäre Behandlung nicht nur einen Benefit für den Patienten bedeutet, sondern sich auch ökonomisch lohnen kann. Eine solche Bestandsaufnahme ist aber auch ungeheuer wichtig für die Konsensfindung unter den einzelnen Schulmeinungen, auch für das Finden von Fragestellungen, wo sich die MM auch im eigenen Interesse an der Versorgungsforschung beteiligen sollte. Dabei geht es nicht nur darum, welche Krankheitsbilder versorgt werden, sondern auch um die Inzidenz der in der manualmedizinischen Praxis erstellten Befunde und Diagnosen. Ein breites Feld, an dem sich aber jede Praxis mehr oder weniger beteiligen kann.

Forschungsfelder bestimmen

Abgeleitet aus den Ergebnissen der Bestandsaufnahme in der MM, insbesondere aber auch aus dem reichen praktischen Erfahrungsschatz der MM müssen wir aktuelle und perspektivische Forschungsfelder ableiten, wenn wir die MM als eigenständigen medizinischen Wissenschaftsbereich erhalten wollen und um gleichzeitig die MM weiter in die anderen medizinischen Fachgebiete zu integrieren. Janda, Vojta, Brügger, Lewit u. a. haben Theorien entwickelt, nach denen die manuelle Befunderhebung erfolgt und Therapiepläne erstellt werden. Zu wenig wurden aber bisher Fragestellungen daraus als zu überprüfende Hypothesen formuliert. Noch weniger wurden bestehende Fragestellungen überprüft, obwohl die einzelnen Lehrbücher solche Hypothesen ausreichend aufwerfen, die aus den in der Praxis gesammelten Daten hervorgegangen sind.

Lösungsinstrumentarien schaffen

Qualifizierte „man power“ ist unabdingbar für die manualmedizinische Praxis. Man kann einschätzen, dass diese in den letzten Jahren herangebildet wurde und auch dafür weiterhin gute Voraussetzungen bestehen. Qualifizierte „man power“ ist aber genauso unabdingbar für die Forschung in der MM: bereits bei der Bestimmung der Forschungsfelder und mehr noch bei der Lösung der Fragestellungen. Neugier und Leidenschaft Einzelner sind gefragt, aber eben auch Zeit für die Forschung und finanzielle Unterstützung. Unsere Potenzen sind hier schwach. Es haben sich aber bereits Interessengruppen gebildet, die Hoffnung keimen lassen, dass wir auch auf wissenschaftlichem Gebiet Fortschritte machen können. Zu nennen sind hier die Forschungsgruppe der ANOA-Kliniken, der Arbeitskreis CMD in der Kieferorthopädie, der Zirkel für Manuelle Medizin und Entwicklungstherapie (ZIMMT) und die International Academy of Manual/Musculoskeletal Medicine (IAMMM). Diese Kräfte sollten sich zusammenschließen und Netzwerke bilden, die sich mit akademischen Einrichtungen verlinken. Solche akademischen Einrichtungen haben, wenn sie angewandte Forschung verfolgen, nicht selten Schnittmengen bei ihren Forschungsgegenständen mit der MM, so z. B. in der Arbeits- und Sportmedizin. Gelingt es uns nicht, solche Netzwerke zu knüpfen und gemeinsam interessierende Fragen zu bearbeiten, besteht durchaus die Gefahr, dass die Felder der MM von anderen besetzt werden. Die Folgen einer solchen Entwicklung wären ein Rückschritt für die MM. Warum sollten wir nicht in Richtung eines Instituts für MM denken und dieses evtl. auch mit einer Stiftungsprofessur besetzen? Hier sei noch an die jüngst gegründete Deutsche Stiftung Manuelle Medizin (www.stiftungmm.de) erinnert, über die ein erforderliches Fundraising angedacht ist.

Wir sind am Anfang des Jahres 2017, es bleibt also durchaus genügend Zeit, in diesem Jahr über die Symbiose von Praxis und Forschung in der MM nachzudenken und Folgerungen abzuleiten – wir für uns alle.

Mit freundlichen Grüßen

figure a

Lothar Beyer