Liebe Leserinnen, liebe Leser,

den letzten Heften konnten Sie entnehmen, dass die manuelle Medizin (MM) als medizinisches Spezialgebiet aufgrund der wissenschaftlichen Erkenntnisse und Erfahrungen, die in den 60 Jahren des Bestehens manualmedizinischer Gesellschaften in Europa gesammelt werden konnten, eine Konkretisierung und Anerkennung auf europäischer Ebene erhalten hat. So entstand die Europäische Gesellschaft für Manuelle Medizin (ESSOMM), einheitliche internationale Leitlinien zur Weiterbildung und Qualitätssicherung in der MM wurden zusammengestellt und mehrere Facharztdisziplinen haben gemeinsam ein multidisziplinäres Komitee Manuelle Medizin bei der Europäischen Vereinigung der Fachärzte gebildet. Dies alles sind konkrete Aktivitäten und Sachverhalte, die dazu führen, dass immer weniger von verschiedenen Schulen der manuellen Medizin gesprochen werden wird.

Das Herausgebergremium unserer Zeitschrift hat, folgernd aus dieser Entwicklung, ein Konzept erarbeitet und dieses den organtragenden Gesellschaften vorgeschlagen. Ziel ist die Schaffung einer europäischen Zeitschrift für manuelle Medizin. Das Konzept beinhaltet 3 Schwerpunkte:

  • Breiterer Austausch wissenschaftlicher Forschungsergebnisse

  • Kontinuierliche Fortbildung und Qualitätssicherung

  • Aktuelle Informationen und Mitteilungen, die Gesellschaften und ihre Mitglieder betreffen

Dies würde bedeuten, dass Studienergebnisse in englischer Sprache publiziert würden, dafür aber eine höhere Qualität aufwiesen und in anderen Fachgebieten bekannt werden könnten. Erfahrungen aus der Praxis blieben natürlich in deutscher Sprache, vorwiegend unter dem Aspekt der Fortbildung und Qualitätssicherung, und würden weiterhin die tägliche Praxis bereichern. Sich beteiligende nationale Gesellschaften sollten die Möglichkeit erhalten, ihre Mitglieder zu gesellschaftlichen Belangen in Landessprache zu informieren. Noch ist es ein Konzept, das Herausgebergremium hat sich aber für die Realisierung ausgesprochen. Es ist durchaus möglich, dass dieser Prozess des Zusammenfindens wiederum einige Jahrzehnte dauern wird, gilt es doch unterschiedliche „Dialekte in der manuellen Terminologie“ zu überwinden und den gemeinsamen wissenschaftlichen Hintergrund hinter den ca. 1000 beschriebenen Handgriffen herauszuarbeiten.

Bei der langfristigen Planung der einzelnen Hefte unserer Zeitschrift Manuelle Medizin versuchen wir, die Beiträge auf einzelne Themen zu konzentrieren, was nicht immer gelingt. Für dieses Heft war das Thema „MM und innere Medizin“ vorgesehen – ein offensichtlich schwierigeres Thema. Ein solches Heft liegt nun nicht vor.

In der vorliegenden Ausgabe übermittelt uns B. Radanov seine langjährigen Erfahrungen und Überlegungen zum Thema „Somatoforme Schmerzstörung, Fibromyalgie und chronisches Müdigkeitssyndrom aus psychosomatischer Sicht“. Ein Ausgangspunkt ist, dass geklagte körperliche Symptome häufig mit psychischen Faktoren oder Konflikten zusammenhängen. Der Autor sieht gemeinsame pathogenetische Mechanismen, die die Komorbidität zwischen affektiven Störungen, chronischen Schmerzen, Fibromyalgie und chronischem Müdigkeitssyndrom erklären können.

Meßlinger et al. stellen ihre neusten Erkenntnisse aus Tieruntersuchungen vor: „Innervation extrakranialer Gewebe durch Kollateralen von Hirnhautafferenzen“. Die Ergebnisse gestatten neue Einsichten in die Entstehung und Therapie von Kopfschmerzen und sind möglicherweise eine Erklärung für den Einfluss der extrakranialen nozizeptiven Vorgänge auf das Kopfschmerzgeschehen. Die konvergente afferente Innervation auf der Ebene der sekundären Neurone im trigeminozervikalen Hirnstammkomplex könnte auch ein Ort der therapeutischen Wirkungsmechanismen manueller Behandlung sein.

Einen Einblick in die „Entwicklungsneurologische Diagnostik des Kleinkindes und Kindes – Variabilität und Grenzsteine“ vermittelt uns R. Berger. Hierzu passend wird der Beitrag „Manuelle Medizin und osteopathische Verfahren an der wachsenden Wirbelsäule“ von Kayser u. Harke zweitpubliziert.

In der Zusammenarbeit mit Physiotherapeuten muss der Manualmediziner u. U. berücksichtigen, dass die manuelle Therapie in der Weiterbildung der Physiotherapeuten immer noch nach verschiedenen Konzepten gelehrt wird. In diesem Heft wird das Ergebnis der Bachelorarbeit von S. Spolaczyk „Die verschiedenen Konzepte der manuellen Therapie und ihre Bedeutung für die Physiotherapie – theoretische Hintergründe und Konzeptvergleich“ dargestellt und kommentiert.

Unter „MM-aktuell“ werden einige ausgewählte Zusammenfassungen von Beiträgen zum DGPMR-DGMM-Kongress (6.–8. Oktober 2016 in Gießen) wiedergegeben.

Mit besten Grüßen

L. Beyer