Im November 2022 mussten wir Abschied von Frau Dr. Şengül Boral nehmen, die mit nur 49 Jahren nach schwerer Krankheit verstorben ist.

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Dr. Şengül Boral (© Christoph Weber, mit freundl. Genehmigung)

Die Nachricht von ihrem Tod hat nicht nur am Institut für Pathologie der Charité, sondern auch bei vielen ehemaligen Kollegen und im Kreis der Kinderpathologen, dem sie sich seit vielen Jahren eng verbunden fühlte, große Betroffenheit ausgelöst.

Ihre Vielseitigkeit und ihr breites Interesse sowie ihr Wissensdurst spiegeln sich in ihrer Biografie wider.

So hat sie ihre Facharztausbildung für Pathologie erst auf Umwegen im Alter von 36 Jahren begonnen.

Vieles musste sie sich im Leben schon früh erkämpfen.

Als zweites Kind kurdischer Eltern in Çalıkağıl, einem Dorf im Osten der Türkei, 1973 geboren, wuchs sie in einer Region in 1730 m Höhe auf, in der weder fließendes Wasser noch Elektrizität verfügbar waren.

Ihre Mutter und sie folgten ihrem Vater 1978 nach Deutschland. Sie wurde in München eingeschult und wechselte auf eigenen Wunsch ab der dritten Klasse von einer türkischen auf eine deutsche Schule. Sie absolvierte 1993 ihr Abitur am Münchener Luisengymnasium.

Kommunikationsprobleme konnte sie dank ihrer Sprachgewandtheit schnell überwinden. Sie lernte nicht nur Deutsch, sondern auch Bairisch.

Während ihrer Schulzeit fielen ihre vielfältigen Begabungen auf. Sie fühlte sich hingezogen zur darstellenden Kunst, entwickelte aber auch zunehmend Interesse für naturwissenschaftliche Themen.

Ihre künstlerischen Seiten lebte sie in einem Laientheater und in einem Gospelchor aus. Im Chor war sie so erfolgreich, dass sie eine Zusage für ein Musikstudium an der University of California in Berkeley erhielt.

Sie entschied sich aber für ein Studium der Humanmedizin an der Berliner Humboldt-Universität, für das sie zeitgleich angenommen wurde. Nach ihrer Approbation arbeitete sie von 2003 bis 2005 als wissenschaftliche Mitarbeiterin in einem Forschungslabor der Medizinischen Klinik der Charité mit dem Schwerpunkt Infektiologie.

Danach absolvierte sie einen Masterstudiengang in Health & Society mit Ausrichtung „International Gender Studies“.

Parallel zu diesem Fernstudiengang arbeitete sie an 2 Forschungsprojekten der Charité, zum einen über „Geschlechterspezifische Lernziele in der Lehre“ im Zentrum für Geschlechterforschung sowie zu „Wechseljahresbeschwerden bei deutschen Frauen, Migrantinnen und türkeistämmigen Frauen im Vergleich“ an der Frauenklinik der Charité. Für letzteres hielt sie sich eigens in Istanbul auf, um türkische Frauen vor Ort zu interviewen. Aus diesem Projekt entwickelte sich ihr Promotionsthema, für das sie 2011 den Promotionspreis der Deutschen Gesellschaft für Psychosomatische Frauenheilkunde erhielt.

Die Thematik ihrer Arbeit (Einfluss von Kultur und Migration auf den Umgang mit den Wechseljahren), die ihr auch die Möglichkeit gab, sich mit ihren Wurzeln, mit ihrer Herkunft auseinanderzusetzen, hat sie 2007 dazu bewogen, eine Ausbildung an der Klinik für Gynäkologie und Geburtshilfe am Klinikum Ernst von Bergmann in Potsdam zu beginnen, wo sie bis 2009 tätig war.

Die Erfahrungen, die sie in der Geburtshilfe gesammelt hatte, brachte sie später in ihre Arbeit in der Paidopathologie und Plazentadiagnostik ein – Ausrichtungen, die sie neben ihrer Facharztausbildung für Pathologie früh verfolgte. Während dieser Ausbildung besuchte sie die Kurse der IPPA (International Paediatric Pathology Association).

Ihre kurze Tätigkeit in einem operativen Fachgebiet, der Frauenheilkunde, hatte wohl zur Folge, dass sie sich auch intensiv mit der Sektionstechnik von Feten beschäftigte und die Zuschnittordnung des Institutes erarbeitete.

Nach der Facharztprüfung arbeitete sie sich mit viel Engagement in die Diagnostik von Nierenbiopsien ein und erwarb Kenntnisse in der Elektronenmikroskopie.

Schon gekennzeichnet von Ihrer Erkrankung, hat sie im Februar 2022 gemeinsam mit Frau Prof. Annette Müller und Dr. Gitta Turowski noch ein Seminar über Plazentapathologie bei der IAP gehalten, welches ihr viel Anerkennung einbrachte.

Wenige Tage danach hat sie erfahren, dass sich hinter ihren Beschwerden ein fortgeschrittenes Tumorleiden verbarg. Danach hat sie sachlich ihre eigene Situation analysiert und Therapiemöglichkeiten ausgelotet.

In dieser harten Zeit war sie weiter geistig präsent am Institut. Sie wirkte bei der Erstellung der Leitlinien zur pathomorphologischen Diagnostik der Plazenta mit und war interessiert an der Entwicklung des Institutes.

Leider hat sie den Kampf gegen den Tumor verloren.

Sie ist in Antalya im Kreis ihrer Familie verstorben und wurde in Berlin nach alevitischem Brauch beerdigt.

Ihre zugewandte Persönlichkeit, ihre humorvolle Art und ihr Urteilsvermögen fehlen uns.

Unser Mitgefühl gilt ihrer Familie, insbesondere ihren beiden Töchtern.

Kathrin Hauptmann

David Horst

Berlin