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Man kann Werner Janssen sicher ohne jede Übertreibung als Brückenbauer und integratives Bindeglied zwischen der Pathologie (als früherer Oberassistent im Pathologischen Institut in Leipzig Ende der 1950er-Jahre) und der Rechtsmedizin (als Lehrstuhlinhaber am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf 1968–1991) bezeichnen. Mit Habilitation in beiden Fächern: am 25.03.1959 wurde ihm aufgrund seiner Habilitationsschrift „Morphologie und Pathogenese der Leukämien“ der akademische Grad eines Dr. med. habil. verliehen, am 25.02.1963 erhielt er durch Umhabilitation nach Vorlage seiner diversen, inzwischen abgeschlossenen wissenschaftlichen Arbeiten in der Rechtsmedizin durch die Medizinische Fakultät Heidelberg die Venia legendi für das Fach „Gerichtliche Medizin“.

Werner Janssen wurde am 24. September 1924 in Mülheim an der Ruhr geboren. Während der Schulzeit lebte er in Berlin. Im November 1942 erfolgte die Einberufung zur Kriegsmarine. Anfang 1945 fuhr Werner Janssen als 20-Jähriger auf dem schweren Kreuzer „Admiral Hipper“ im Sanitätsdienst, als sich am 30. Januar 1945 in der Ostsee vor der Küste Pommerns das Drama auf der „Wilhelm Gustloff“ ereignete. Nach dem Krieg studierte er an der Universität Leipzig Medizin. Staatsexamen im April 1952. Approbation als Arzt im Juli 1952. Promotion zum Doktor der Medizin an der Fakultät in Leipzig mit dem Thema „Zur Differentialdiagnose der myeloischen und lymphatischen Leukämien in besonderen Grenzfällen“.

Janssen wurde dann wissenschaftlicher Assistent am Pathologischen Institut der Universität Leipzig unter der Leitung von Prof. Dr. H. Bredt. Facharzt für Pathologie wurde er am 01. Mai 1957. Im September 1958 erfolgte die Ernennung zum wissenschaftlichen Oberassistenten. Im April 1959 verließ er mit seiner Familie die DDR. Im Westen arbeitete er als Oberarzt am Pathologischen Institut in Aarau (Schweiz) sowie am Pathologischen Institut der Städtischen Krankenanstalten in Karlsruhe unter Prof. Dr. R. Böhmig.

Danach erfolgte der Wechsel in die gerichtliche Medizin: Vom 01. Oktober 1961 an war Werner Janssen wissenschaftlicher Assistent am Institut für Gerichtliche Medizin der Universität Heidelberg unter Prof. Dr. Berthold Mueller. Hier wurde er am 04. Oktober 1965 zum außerplanmäßigen Professor ernannt.

Sein ehemaliger Konassistent und Oberarzt am Pathologischen Institut in Leipzig, später dann Direktor des Instituts für Pathologie am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Gerhard Seifert, hat die Lebensdaten von Werner Janssen in dieser Zeit folgendermaßen skizziert: „… auf die glücklichen sieben Leipziger Jahre folgen Wanderjahre vom Frühjahr 1959 bis Herbst 1961. … Darauf folgen dann sieben glückliche Heidelberger Jahre von 1961 bis Sommer 1968. Die Heidelberger Reifezeit wird durch zwei Männer geprägt, einmal durch den Gerichtsmediziner Berthold Mueller und zum anderen durch den Pathologen Wilhelm Doerr.“ Im Oktober 1968 hat Werner Janssen den Lehrstuhl für Rechtsmedizin in Hamburg übernommen. Im akademischen Leben und Wirken war dies zunächst eine unruhige und schwierige Zeit, da gerade die von studentischen Protesten geprägten Unruhen des Jahres 1968 zu eingreifenden Veränderungen im Hinblick auf die Rolle der Professoren geführt hatten. Janssen war es stets ein besonderes Anliegen, im akademischen Leben gebotene Freiräume für Hochschullehrer und Studierende zu wahren. Dafür hat er sogar zusammen mit Kollegen vor dem Bundesverfassungsgericht gestritten. Von 1974 bis 1976 stand er als Dekan der Medizinischen Fakultät an vorderster Front der akademischen Selbstverwaltung.

Zum wissenschaftlichen Werk: In die Leipziger Zeit fallen Arbeiten über die Arteriosklerose und die Leukämien. Besonders hervorzuheben ist die 1958 im Thieme-Verlag erschienene Monografie über „Leukämie im Kindesalter“. In der Heidelberger Zeit hat Janssen dann zahlreiche wissenschaftliche Arbeiten zu verschiedenen Themen der Rechtsmedizin publiziert, stets mit einem besonderen morphologischen Bezug. Aus dem wissenschaftlichen Werk der Hamburger Amtszeit ragen einige markante Themen und Publikationen zur forensischen Alkohologie heraus. Die langjährige Beschäftigung mit den vitalen Reaktionen findet ihren Niederschlag in der 1977 im Schmidt-Römhild-Verlag erschienenen Monografie „Forensische Histologie“. Das Ziel der forensischen Histologie liegt in dem Bestreben nach einer Verbesserung des naturwissenschaftlichen Sachbeweises. Man kann Werner Janssen ohne Weiteres als Vorreiter und ständigen Mahner im Sinne der forensischen Histologie bezeichnen. Später ist seine Monografie auch in englischer Sprache erschienen: „Forensic Histopathology“ (Springer-Verlag, 1984).

Der Mann für diffizile Fälle: In die Zeit von Werner Janssen als Direktor des Instituts für Rechtsmedizin am UKE fallen eine Reihe von spektakulären Todesfällen und Mordserien. Hingewiesen sei z. B. auf Todesfälle im Zusammenhang mit der Baader-Meinhof-Gruppe, den „Schlächter von St. Pauli“ (Paul Honka), den „St. Pauli-Killer“ (Werner Pinzner), die Nachsektion von Ulrike Meinhof im Jahr 1976 sowie auf den Todesfall am Grenzkontrollpunkt Drewitz (Rudolf Burkert) im April 1983, als der damalige CSU-Chef Franz-Josef Strauß bereits von Mord sprach (und Janssen nachwies, dass es sich um einen plötzlichen Herztod handelte). Schließlich hat Werner Janssen im Jahr 1987 im Rahmen einer Nachsektion den ehemaligen Ministerpräsidenten von Schleswig-Holstein Dr. Dr. Uwe Barschel obduziert, der in Genf tot in der Badewanne liegend in einem Hotel aufgefunden worden war. Janssen konnte feststellen, dass der Politiker durch einen Medikamentencocktail verstorben ist, den er in suizidaler Absicht eingenommen hatte.

Werner Janssen war ein Mittler zwischen den Welten, insbesondere auch zwischen West und Ost. Er hat stets sehr engagiert alte freundschaftliche Beziehungen und berufliche Kontakte in die ehemalige DDR gepflegt. Dabei hat er eine Reihe von Wissenschaftlern am Hamburger Institut aufgenommen, die der DDR den Rücken gekehrt hatten, oder er hat sie an andere Institute im Westen vermittelt. Hierbei war er ein wegweisender Vermittler zwischen Pathologie und Rechtsmedizin. Im persönlichen Bereich hat er stets den Kontakt zu den alten Leipziger Kollegen aufrechterhalten. Dazu gehörten u. a. die Professoren Gerhard Seifert, Gottfried Geiler und Balthasar Wolgemuth. Sie haben für sich die Bezeichnung „Leipath“ geprägt.

Werner Janssen war stets neugierig, weitblickend, international interessiert und ein interdisziplinärer Netzwerker. Er hat hervorragende Kontakte nach Skandinavien aufgebaut und war auch im Fernen Osten (Japan) ein geradezu legendärer Gerichtsmediziner. Er galt weltweit als „einer der profiliertesten Fachvertreter der Gegenwart“, als „Mann für diffizile Fälle“, kurz auch „Krimi-Janssen“ genannt, und dabei als „Wegbereiter morphologischer Genauigkeit in der forensischen Expertise“ (so Prof. Steffen Berg zu seinem 70. Geburtstag). Bernd Brinkmann formulierte es schlicht: „Er war der große Morphologe im Fach. Keiner hat ihn übertroffen“.

Werner Janssen selbst hat in seiner Abschiedsvorlesung am 17. Juni 1993 (Thema: „Rechtsmedizin – Rechtssicherheit und Gesellschaft“) noch einmal sein Credo zusammengefasst: „Für den, der darüber nachdenkt, bedeutet es ein Stück Lebensqualität, in dem Bewusstsein zu leben, dass auch nach seinem Tode die Gerechtigkeit gewahrt wird“.

Werner Janssen wurde zum Mitglied der Deutschen Akademie der Naturforscher „LEOPOLDINA“ gewählt und hat hier jahrzehntelang für die Rechtsmedizin und Pathologie engagiert mitgewirkt. In der Rechtsmedizin hat er seine eigene akademische Schule begründet. Seine bekanntesten Schüler sind Bernd Brinkmann, Manfred Kleiber und Klaus Püschel. Auch seine akademischen Enkel und Ur-Enkel verfolgen heute weiter seine Prinzipien in der Rechtsmedizin mit dem Kernthema eines morphologischen Sachbeweises, der insbesondere auf mikroskopischen Methoden beruht.

Den 97. Geburtstag verbrachte er in großer geistiger Frische im Kreise seiner engsten Freunde und ließ ihnen einen selbstgeschossenen Rehbock servieren. Kurz nach diesem Geburtstag begab er sich wieder einmal auf einen Jagdausflug nach Mecklenburg, ins angestammte Quartier bei Jagdfreunden, im eigenen Auto hin und zurück. Bei einem vom ihm selbst organisierten Rotarier-Treffen wollte er den neuen Institutsdirektor der UKE-Rechtsmedizin, Benjamin Ondruschka, einführen. Eigentlich war er also noch mittendrin im Leben, als er plötzlich tot in seiner Sauna aufgefunden wurde (am 01.10.2021). Werner Janssen wird uns stets als großer Mittler zwischen der Pathologie und der Rechtsmedizin, als ausgezeichneter Wissenschaftler und bemerkenswert positive Persönlichkeit in Erinnerung bleiben.