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Wolfgang Remmele ist den deutschen Pathologen und Pathologinnen seit über 3 Jahrzehnten als Herausgeber der vielbändigen Textbuchreihe Pathologie bekannt. Diese Textbuchreihe wurde so populär, dass man sie schlicht nur „den Remmele“ nannte. Der Herausgeber selbst hat diese Textbuchreihe als sein „Kind“ bezeichnet und hat die dritte und letzte Auflage, die er zusammen mit Günter Klöppel und Hans Kreipe herausgab, bis wenige Monate vor seinem Tod begleitet. Er gestaltete diese Textbücher als diagnostische Kompendien, die den Weg zu den wichtigsten Diagnosen aufzeigten, aber auch die Hinweise auf seltene Erkrankungen enthielten. Die seltenen Erkrankungen möglichst umfassend zu würdigen, entsprang seiner Liebe zur Detailgenauigkeit, die dazu führte, dass er sich oft hinter der herangezogenen Literatur buchstäblich verschanzen konnte.

Wolfgang Remmele verstarb mit 91 Jahren am 16. Oktober 2021 in Wiesbaden. In den letzten Lebensjahren hatten seine Kräfte deutlich nachgelassen, nachdem er sich 4 Jahre zuvor durch einen Treppensturz eine Oberschenkelfraktur zugezogen hatte, deren operative Behandlung zwar gelang, ihn aber als Diabetiker mit Polyneuropathie durch einen postoperativen Subileus lange beeinträchtigte. Seitdem war seine Beweglichkeit, nicht aber seine geistige Frische eingeschränkt, wie die letzten Zeilen eines Gedichtes erkennen lassen, in dem er seinen Gesundheitszustand zur Jahreswende 2016 für seine Freunde kommentierte:

Das Hirn erfüllt noch seine Pflichten,

(wie beispielsweise hier beim Dichten),

und dass dies möglichst lange bleibt,

wünscht, wer die Nachricht unterschreibt.

Wolfgang Remmele hat seinen liebenswerten und erfrischenden Humor in vielen poetischen Zeugnissen hinterlassen, auf die wir später noch kurz zu sprechen kommen werden und mit denen er sich als Pathologe unter die Dichterärzte einreihte. Wolfgang Remmele stammte aus Frankfurt am Main, wo er am 16. Mai 1930 geboren wurde. Dort besuchte er die Volksschule und das Realgymnasium und absolvierte anschließend sein Medizinstudium an der Johann Wolfgang Goethe-Universität. Im Jahr 1955 legte er sein Staatsexamen ab und promovierte mit einer Arbeit zur „Atmung und Glykolyse der Leukozyten“. Seine Medizinalassistentenzeit führte ihn in die Gynäkologie am Stadtkrankenhauses Offenbach und in die Chirurgie des Elisabethenstiftes in Darmstadt. Zu dieser Zeit war er fest entschlossen, Internist zu werden, da ihn die Vorlesungen des Internisten Professor Ferdinand Hoff begeistert hatten. „Ich habe semesterlang im Hörsaal ganz unten hinter dem Türchen gesessen und immer wieder einmal am Ende der Kollegstunde (noch schnell etwas) praktiziert. Und dann bin ich doch in der Pathologie hängen geblieben.“ Der Grund war, dass er 1956 bis 1958 eine Forschungsstelle über Professor Karl Lennert in der Frankfurter Pathologie erhielt und 2 Jahre später das Glück hatte, bei Professor Johannes Randerath in der Heidelberger Pathologie eine planmäßige Assistentenstelle zu bekommen. Wissenschaftlich gehörte er zusammen mit Lutz-Dieter Leder und Jochen Stutte zur Arbeitsgruppe von Professor Lennert, der nahezu zeitgleich nach Heidelberg wechselte. 1961 hat er sich mit dem hämatologischen Thema „Die humorale Steuerung der Erythropoese“ habilitiert. Die Habilitation verzögerte sich jedoch etwas, da Professor Edmund Randerath, sein „Habil-Vater“, plötzlich verstarb und das fertige Referat für die Habilitationsarbeit noch nicht unterschriebenen war. Da der neue Chef, Professor Wilhelm Doerr, zunächst noch für ein Jahr in Kiel blieb, wurde die Habilitation in der Heidelberger Fakultät von dem Internisten Professor Karl Matthes zu Ende geführt. Im Jahr 1963, also 2 Jahre später, folgte Wolfgang Remmele Professor Lennert als Privatdozent nach Kiel, wo er leitender Oberarzt und 1967 außerplanmäßiger Professor wurde.

Im Kieler Institut oblag ihm die Diagnostik in ihrer ganzen Breite, wobei ihm auch ein großer Teil der Ausbildung der jungen Assistenten zufiel und er dies gerne tat. Professor Dieter Harms, der später in Kiel das Kindertumorregister aufbaute, gehörte damals zu dieser Assistentenschar und erinnert sich an Wolfgang Remmele als einen allseits „sehr beliebten und stets korrekten“ Oberarzt, mit dem er auch wissenschaftlich zusammenarbeitete und publizierte. Das generelle Thema, das sie bearbeiteten, betraf die histologische Schockdiagnostik beim Menschen. Neben diesem neuen Arbeitsgebiet führte Wolfgang Remmele, der auch zahlreiche Doktoranden betreute, die in der Habilitationsarbeit begonnene Thematik der Erythropoese fort, wobei er auf die neue technische Entwicklung der Knochenmarkshistologie nach Plastikeinbettung zurückgreifen konnte.

In der Lehre hielt er die Vorlesung der Speziellen Pathologie mit dem zugehörigen Kurs und hat diese Veranstaltungen immer „faszinierend und abwechslungsreich“ gestaltet. So erinnert sich Professor Konrad Müller-Hermelink, der als Student in Kiel den jungen Dozenten Wolfgang Remmele kennenlernte. In Erinnerung blieb auch – wie das oft mit solchen Ereignissen ist –, dass er von Wolfgang Remmele mit einer Flasche Whisky ausgezeichnet wurde, nachdem er das Präparatequiz zum Abschluss des Mikroskopierkurses gewonnen hatte. Wie beliebt Wolfgang Remmele als Dozent war, zeigt auch, dass die Studenten ihn 1968 bei seinem Weggang aus Kiel traditionell mit einem Fackelzug verabschiedeten.

Wolfgang Remmele wurde 1968 als Nachfolger von Professor Hans Wurm zum Chefarzt des Instituts der Städtischen Kliniken Wiesbaden gewählt und blieb auch dort, obwohl er 1971 einen Ruf auf den neu geschaffenen Lehrstuhl für Pathologie an der Medizinischen Universität Lübeck erhielt, diesen aber ablehnte. In die frühe Wiesbadener Zeit fallen 1970 seine Heirat mit Frau Dr. Gisela Remmele und 1984 der Einzug in den sehnlichst erwarteten Institutsneubau. Auch die innere Struktur des Institutes änderte sich. Ab 1982 leitete er das Institut gemeinsam mit Professor U. Bettendorf, der zuvor als Oberarzt bei ihm gearbeitet hatte. Leider scheiterte jedoch 5 Jahre später diese erfolgreiche doppelte Chefarztbesetzung am damaligen Kassenrecht und führte zur Teilung des Institutes unter einem gemeinsamen Dach. Professor Bettendorf gründete ein Privatinstitut für Pathologie, während Wolfgang Remmele das Städtische Institut wieder allein führte. Im Jahr 1997 trat er in den Ruhestand und gab die Leitung an Professor Hartmut Müller aus Lübeck ab, der 2001 an das Institut für Pathologie der Universität Tübingen wechselte. Danach führte Frau Dr. Susanne Braun kommissarisch das Institut und übergab 2003 die Leitung an Frau Professor Annette Fisseler-Eckhoff.

Während seiner 29 Jahre in Wiesbaden ging Wolfgang Remmeles Wirkungskreis weit über die Leitung des Institutes und die persönliche diagnostische Tätigkeit hinaus. Er übernahm für mehrere Jahre die Tätigkeit des Ärztlichen Direktors der Städtischen Kliniken Wiesbaden. Er bildete bis zu seinem Eintritt in den Ruhestand 1997 zahlreiche Fachärzte aus. Außerdem betreute er 26 Promotionen und hatte nacheinander mit Professor H. Flenker (später Bremerhaven) und Professor U. Bettendorf 2 Oberärzte, die sich in Mainz habilitieren konnten. Für die klinischen Kollegen vor Ort gründete er die sehr geschätzten „Wiesbadener klinisch-pathologischen Colloquien“ sowie die wöchentlichen Fallkonferenzen am Obduktionstisch. Nach der Wiedervereinigung rief er die „Medizinhilfe Görlitz“ ins Leben, um die dortigen Kollegen und Kolleginnen mit fachlicher Expertise, Literatur und Laborgeräten zu unterstützen. Auch organisierte er als Mitglied der Medizinischen Gesellschaft Wiesbaden Vorträge der Görlitzer Kollegen in Wiesbaden und ermöglichte ihnen die Teilnahme an Kongressen der Deutschen Gesellschaft für Pathologie. Aus dieser sehr persönlichen Medizinhilfe wurde schließlich eine Städtepartnerschaft zwischen Wiesbaden und Görlitz, wofür ihm das Bundesverdienstkreuz am Bande in Anerkennung seiner Bemühungen um das Zusammenwachsen Deutschlands nach der Wiedervereinigung verliehen wurde.

Bis in die 1990er-Jahre hinein publizierte Wolfgang Remmele zahlreiche wissenschaftliche Arbeiten, oft zusammen mit Klinikern, wobei die Schwerpunkte auf der Pathologie des Gastrointestinaltraktes und des Melanoms sowie des Mammakarzinoms mit der Entwicklung eines Immun Reactive Score (IRS) für die Hormonrezeptoranalyse lagen. Am bekanntesten wurde er jedoch durch die Herausgabe des eingangs schon erwähnten vielbändigen Lehr- und Nachschlagewerks Pathologie. Es erschien 1984 in seiner ersten Auflage und wurde im deutschen Sprachraum zu einem großen Erfolg, der auf einer damals neuen didaktischen Gliederung und einer gezielten diagnostischen Orientierung mit klinisch-pathologischer Krankheitsdarstellung beruhte. So wurde der „Remmele“ von Lernenden wie Lehrenden in gleicher Weise gern benutzt. Viele Autoren haben an diesen Bänden mitgearbeitet und ihre Qualität gewährleistet. Zur Freude der Autoren, welche die Abgabetermine ihrer Manuskripte nicht hatten verstreichen lassen, schickte er am Jahresende eine gute Flasche Wein aus dem Rheingau. Fehlte das Manuskript jedoch noch, wurde der Wein von einer Flasche Essig begleitet. Diese speziellen Gaben wurden von einem Gedicht kommentiert unter dem Motto „Humor und Geduld sind zwei Kamele, mit denen du durch jede Wüste kommst“ (aus: Eine Geschichte von der Schönheit der Schrift, erzählt von Rafik Schami).

Wolfgang Remmele schrieb ein exzellentes Deutsch mit großräumig schräg gestellter Schrift. Diese Handschrift trugen seine eloquenten Briefe und seine zahllosen Gedichte, in denen er Persönliches, Politisches, Jagderlebnisse und schließlich die Pathologie selbst in markanten und gut einprägsamen Reimen festhielt. Am bekanntesten wurde die „gereimte Pathologie“ – ein Repetitorium pathoanatomicum – unter dem Titel Gottlob gibt’s das Mikroskop, das seit 2002 in der 3. Auflage vorliegt. Angefangen hat die Veröffentlichung von Gedichten 1982 mit dem Büchlein Aufs Korn genommen: Gereimte Beiträge über Jagd und Jäger. Denn Wolfgang Remmele war neben allem anderen ein passionierter Jäger, der über viele Jahre ein Hochwildrevier im Rheingauer Hinterland gepachtet hatte, wo er den Hochsitz vermutlich weniger zum Jagen als zum Reimen benutzte. Wenn er dann noch Zeit hatte – wie er sagte zwischen 22 und 1 Uhr nachts – hat er sich gerne mit den Menschen und ihrer Geschichte beschäftigt. So mit Gotthold Herxheimer (1872–1936), dem ersten Direktor am neu gegründeten pathologisch-anatomischen Institut des Städtischen Krankenhauses in Wiesbaden, dessen bedeutsames und nach 1933 entwurzeltes Leben er in einer Biografie festhalten wollte. Diese blieb wahrscheinlich unvollendet, da die ihm noch zur Verfügung stehende Zeit nicht ausreichte, um seine peinlichst genauen Recherchen, die seine Arbeit auszeichneten, abzuschließen.

Mit diesen Zeilen möchten wir an einen ungewöhnlichen Menschen erinnern und sein Gedenken wachhalten.

Günter Klöppel, Anette Fisseler-Eckhoff und Hans Kreipe,

München, Wiesbaden und Hannover