Am 26. April 2019 verstarb nach sehr kurzer Krankheit und deshalb wohl für alle unerwartet Prof. Dr. med. Heinz David in Berlin, dem Ort seines unermüdlichen Schaffens und seiner größten Erfolge, aber auch Enttäuschungen.

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Heinz David

Heinz Werner David wurde am 5. Dezember 1931 in Tilsit als Ältester von drei Geschwistern geboren. Sein Vater war dort leitender Arzt der Inneren Abteilung des Städtischen Krankenhauses. Sohn Heinz besuchte in Tilsit die Volksschule und das Gymnasium, dieses allerdings nur bis 1944. Dann folgte die Flucht vor der heranrückenden Front, welche die Familie über verschiedene Stationen (Frankfurt/O, Potsdam) bis nach Hohenems in Vorarlberg verschlug. Da die Reichsdeutschen dort nicht mehr willkommen waren, endete die Flucht nach Durchquerung der französischen und britischen Besatzungszone schließlich im November 1945 in der Garnisonsstadt Neuruppin. Hier schloss Heinz David im Sommer 1950 seine Schulbildung mit dem Abitur ab, als Einziger der Klasse mit der Gesamtnote „sehr gut“. Mit diesen Voraussetzungen bewarb er sich um einen Studienplatz für Humanmedizin an beiden Berliner Universitäten und erhielt zu seiner nicht geringen Überraschung von beiden Fakultäten eine Zulassung zum Medizinstudium. Aus nachvollziehbaren Gründen entschied er sich für die Humboldt-Universität.

Mit dem Studium an der Charité beschritt Heinz David einen Weg, dessen Ziel er mit Fleiß, Wissensdurst und Ehrgeiz verfolgte. Im 4. Studienjahr erhielt er das Goethe-Stipendium der Stadt Berlin, das im Gegensatz zum staatlichen Karl-Marx-Stipendium ausschließlich für fachliche Leistungen verliehen wurde. Heinz David hörte Vorlesungen bei vielen Größen der Medizin, wie z. B. Stieve, Brugsch, Kraatz, Pschyrembel und Felix, dem Nachfolger von Sauerbruch, die ihn ebenso prägten wie die wirtschaftlich schwierige und politisch brisante, vom Stalinismus beherrschte Zeit jener Jahre. Die politische Indoktrination der Medizinstudenten, die dringend gebraucht wurden, weil zahlreiche Ärzte, darunter auch viele seiner Hochschullehrer und Kommilitonen die DDR verließen, hielt sich allerdings in Grenzen. Der permanente personelle Aderlass führte u. a. auch dazu, dass die Dauer des Medizinstudiums um ein Jahr verkürzt wurde. Deshalb absolvierte Heinz David das medizinische Staatsexamen schon im August 1955, nur einen Monat später (nachdem er zuvor seine Dissertationsschrift eingereicht hatte) bestand er auch das Examen rigorosum, die obligatorischen Promotionsprüfungen, beides mit der Note „sehr gut“. Danach begann seine steile und einmalige wissenschaftliche Karriere an der Charité.

Davids Leben als Wissenschaftler und Hochschullehrer ist untrennbar mit seinem Doktorvater Louis-Heinz Kettler verbunden, der ihm eine Assistentenstelle anbot und eine wissenschaftliche Tätigkeit auf dem Gebiet der Elektronenmikroskopie in Aussicht stellte. Heinz David nutzte die Chance, arbeitete sich rasch in die Methode ein und erzielte nach Überwindung technischer Schwierigkeiten erste Forschungsergebnisse, die umgehend publiziert wurden. Diese Leistungen bewogen Kettler, ihm schon 1957 die Leitung der Abteilung für Elektronenmikroskopie anzuvertrauen. Der junge David hat seinen Mentor und Förderer nicht enttäuscht und erfüllte schon 1960 die Voraussetzungen für die Habilitation. Kurz darauf wurde er zum Dozenten und (nach den damals üblichen Regeln fünf Jahre als Dozent tätig gewesen zu sein) 1965 zum Professor mit Lehrauftrag ernannt. Nach der Habilitation folgte eine außerordentlich produktive Phase, in der allein für die Jahre 1961–67 über 100 Publikationen dokumentiert sind, die allermeisten mit ihm als Erstautor. 1967 erschien seine Monographie „Elektronenmikroskopische Organpathologie“, die Heinz David definitiv zum deutschlandweit führenden Wissenschaftler auf dem Gebiet der ultrastrukturellen Zellforschung auswies. Sein nie nachlassender Antrieb wissenschaftlich zu arbeiten dürfte zum Teil dadurch begründet sein, dass er nach eigenen Angaben die zu dieser Zeit einmalige Möglichkeit sah, Virchows Zellularpathologie auf subzellulärer Ebene „zu untermauern und weiterzuführen“.

Dass Heinz David 1968 Mitglied der SED wurde, dürfte mit seiner Hochschulkarriere nichts zu tun haben, da er zu dieser Zeit bereits mehrere Jahre als Professor tätig war und als Prodekan für Studienangelegenheiten und Leiter der Zulassungskommission wichtige Funktionen in der Fakultät innehatte. Daran ändert auch die kurz darauf (1969) erfolgte Berufung zum „Ordentlichen“ Professor nichts. Vielmehr wollte er aus leidvoller Erfahrung nicht nur Sprachrohr und Erfüllungsgehilfe der Partei sein, sondern auf Entscheidungen in der Hochschul- und Gesundheitspolitik Einfluss nehmen. Erst spät, nachdem viele Aktivitäten ins Leere gelaufen waren, dämmerte ihm, dass er dadurch nichts erreichen konnte. Seiner Überzeugung, dass die Idee des Sozialismus richtig sei, ist er trotz allem treu geblieben.

Die Lebensleistung von Heinz David ist imponierend und sucht ihresgleichen. Dazu gehören nicht nur rund 450 wissenschaftliche Publikationen und 50 Monographien und Beiträge in Lehr- und Handbüchern sowie unzählige Vorträge im In- und Ausland, sondern auch zahlreiche leitende Funktionen, in denen er die Geschicke des Instituts maßgeblich lenken und mitgestalten konnte. Schon unter seinem Mentor und akademischen Lehrer Heinz Kettler war er stellvertretender Institutsdirektor und nach dessen Tod 1976 nochmals 10 Jahre unter dem Direktorat von Heinz Simon. 1987 wurde er endlich selbst auf den Virchow-Lehrstuhl berufen. 1971–1981 leitete er das Institut für Wissenschaftsinformation in der Medizin (IWIM), in dem ebenfalls zahlreiche Publikationen entstanden. Besondere Verdienste erwarb sich Heinz David als langjähriger Dekan der Medizinischen Fakultät (1980–90), Vorsitzender der Gesellschaft für Pathologie der DDR (1980–90) und Vizepräsident der Gesellschaft für experimentelle Medizin (1978–89). Er war Mitglied der Akademie der Wissenschaften der DDR (seit 1965), Ehrenmitglied der Ungarischen Gesellschaft für Pathologie (seit 1973), Sekretär des Rates für Planung und Koordinierung der Medizinischen Wissenschaften, Chefredakteur der Zeitschrift für klinische Medizin und Redaktionsmitglied mehrerer nationaler und internationaler Fachzeitschriften. Wenn man die zusätzlichen Aktivitäten in anderen wissenschaftlichen Gremien und gesellschaftlichen Organisationen berücksichtigt, wird eine Leistung sichtbar, die nur mit größtem Fleiß und eiserner Disziplin zu erreichen war. Viele Kollegen, auch Nachfolger in seinen Funktionen an der Fakultät haben ihm dafür gedankt.

Unmittelbar nach den allgemeinen Wahlen im März 1990 sprach ihm die Mehrheit aller Mitarbeiter des Instituts (83 %) das Vertrauen aus und nach seiner Entpflichtung als Dekan im Juni 1990 zollte der neu gewählte Dekan Harald Mau seinem Vorgänger, dem „dienstältesten Dekan, der je an der Charité gewirkt hat“ seinen Respekt und Dank. In der neu konstituierten „Struktur- und Personalkommission“ des Instituts, die ab Januar 1991 Beratungen abhielt, wurden Forschungsprojekte und Stellen für deren Leiter vorgeschlagen, wobei für Heinz David eine C4-Professur vorgesehen war. Gleichzeitig wurde unter seiner Federführung ein Leistungsbericht für den Wissenschaftsrat erarbeitet. Trotz aller Verdienste um die Charité wurde Heinz David Ende August 1991 vom Dekan ultimativ aufgefordert, sich zwischen fristloser Entlassung und Vorruhestand zu entscheiden. Was war geschehen? Der Vorwurf lautete, aktiv für den Staatssicherheitsdienst der DDR tätig gewesen zu sein. Dies hätte eine unterschriebene Verpflichtungserklärung vorausgesetzt, die aber in der über Heinz David angelegten Akte nie gefunden wurde. Trotz ungerechter und demütigender Behandlung, nicht zuletzt auch durch Kollegen, hat Heinz David weiterhin durchaus ambitionierte Pläne verfolgt. Bleibende Verdienste hat er sich mit den Monographien „Rudolf Virchow und die Medizin des 20. Jahrhunderts“ (erschienen 1992), „Big Science und der Mythos von der Ehrlichkeit und Ehrenhaftigkeit der Wissenschaftler“ (erschienen 2000), vor allem aber mit dem zweibändigen Buch „ … es soll das Haus die Charité heißen“ (erschienen 2004). Mit diesem medizinhistorischen Werk hat der Autor der Charité, aber auch sich selbst ein Denkmal gesetzt. Dass Heinz David bis zu seinem 85. Lebensjahr durch Vertretungen in zahlreichen privaten Niederlassungen für Pathologie beruflich tätig war (er selbst bezeichnete sich als Wanderpathologe), wissen wohl nur diejenigen, die den Kontakt zu ihm nicht abgebrochen haben. Auch diese Zeit hat er mit dem ihm eigenen hintergründigen Humor beschrieben.

Heinz David war nicht nur ein hervorragender Wissenschaftler, sondern auch ein außergewöhnlicher Mensch mit allen Tugenden und Schwächen, die einen solchen Menschen auszeichnen. Seine Leistungen sind unbestritten, seine Entscheidungen kann nur der verstehen, der die Zeit, in der sie getroffen wurden, miterlebt hat. Wer ihn persönlich kannte, hat sein Pflichtbewusstsein und seine Gewissenhaftigkeit bewundert und seine Ehrlichkeit und Hilfsbereitschaft geschätzt. Dabei war er wie jeder Mensch nicht unfehlbar und sich dessen auch bewusst. Hinter einem etwas distanzierten Äußeren verbarg sich ein guter und sensibler Kern. Lesen war von Jugend an sein größtes Vergnügen, Schreiben seine erklärte Leidenschaft, die Wissenschaft seine Welt. Dieser hat er sein ganzes Leben gewidmet und deshalb ist es nur nur allzu verständlich, dass andere, auch familiäre Interessen dahinter zurücktreten mussten. Er selbst hat mit seiner äußerst detaillierten und faktenreichen Autobiografie seinen Frieden gemacht. Für diejenigen, die mit ihm gelebt, gearbeitet, gestritten, gelitten, geglaubt und gehofft haben, bleibt er unvergessen.

Hans Guski

Rudolf Meyer

Berlin