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Gottfried Geiler

Am 28. April 2018 verstarb Professor Dr. med. Dr. h. c. Kurt Gottfried Geiler im Alter von 90 Jahren in Leipzig, in der Stadt, in der er am 13. Dezember 1927 geboren wurde und mit der er sein Leben lang eng verbunden war. Nach dem Besuch der Thomasschule in Leipzig studierte er von 1946 bis 1952 in Leipzig Medizin und promovierte 1952 mit der Dissertation „Der Einfluss des körperlichen und seelischen Traumas auf Beginn und Verlauf der multiplen Sklerose“.

Nach 2‑jähriger klinischer Tätigkeit ging er in die Pathologie der Universität Leipzig, „um sich solide auf eine Tätigkeit als Internist vorzubereiten“. In diesem Institut fand er, wie er Jahre später selber feststellte, „ein Klima strenger väterlicher Großzügigkeit vor, das der Institutsdirektor Heinrich Bredt prägte“. Dieses Klima verband die Mitarbeiter, weckte bei Gottfried Geiler die Freude an der Pathologie und fesselte ihn so, dass er im Fach blieb. Angeregt durch den damaligen Prosektor Gerhard Seifert gelangte er wissenschaftlich über Arbeiten an den Speicheldrüsen zu den Arthritiden und zu den rheumatischen Erkrankungen. Die Gelenke und ihre Häute waren das zentrale Thema seines wissenschaftlichen Interesses. Nach Erlangung der fachlichen Qualifikation in pathologischer Anatomie – in den letzten Jahren unter dem Direktorat von Gottfried Holle – konnte Gottfried Geiler 1961 seine Habilitation mit einer Arbeit über „Morphologie und Pathologie der Synovialome“ abschließen. Seine außerordentlichen Forschungsleistungen wurden 1969 mit der Aufnahme in die Akademie der Naturforscher, der Leopoldina, gewürdigt, 1970 mit dem Rudolf-Virchow-Preis der DDR, 1981 mit der Ehrenmedaille der Gesellschaft für Rheumatologie der DDR und 1986 mit der Ehrenmitgliedschaft der Ungarischen Gesellschaft für Pathologie.

Die Tätigkeit in der Leopoldina, welche Gottfried Geiler selbst als „Ort der geistigen Unabhängigkeit“ bezeichnet hat, bildete einen Kontrapunkt zu den eingeengten Freiräumen der wissenschaftlichen Stätten der DDR-Universitäten. Dies wird deutlich durch die Tatsache, dass ihm trotz seiner außerordentlichen wissenschaftlichen Leistungen wegen seiner christlich und politisch-moralischen Grundüberzeugung und seiner unbeugsamen Haltung gegenüber dem DDR-System erst 21 Jahre nach der Habilitation 1982 der Titel eines außerplanmäßigen Professors verliehen wurde.

Im Rückblick wirkt es so, als hätte sich Gottfried Geiler in einem langen Anlauf darauf konzentriert, seine Kräfte zu fokussieren auf die Zeit der neu gewonnenen Freiheit nach der Wende, die ganz wesentlich ihren Ausgang von seiner Stadt Leipzig genommen hat. Wie entfesselt hat er seine Kräfte mobilisiert, hat sie in unzähligen Gremien der Universität eingebracht in dem Bestreben, die Demokratisierung und geistige Erneuerung der Universität voranzubringen, eingeschlossen die Wiederbelebung akademischer Formen. Er hat den Aufbau nicht nur der Universität Leipzig und ihrer Medizinischen Fakultät wesentlich geprägt, sondern auch weit über Leipzig hinaus gewirkt. Er hat die Wissenschaftslandschaft in Deutschland und hier v. a. das Zusammenwachsen von Ost und West mit beeinflusst. Durch seine Erfahrungen, seine Begeisterung für die Wissenschaft, ausgeübt in Demokratie und Freiheit, war er wie wohl kein anderer geeignet, den Aufbau eines neuen Wissenschaftssystems voranzutreiben. So wurde er zu einer Schlüsselfigur für die Reformen und den Aufbau eines freiheitlichen Wissenschaftssystems in den neuen Bundesländern. Bereits 1990 wurde er nach Wahl durch den Fakultätsrat vom Wissenschaftsminister des Landes Sachsen zum Dekan der Medizinischen Fakultät ernannt und war zeitweise Prorektor der Universität Leipzig. In zahlreiche Ausschüsse und Kommissionen konnte er seine Erfahrungen in der Wissenschaft und Wissenschaftspolitik einbringen:

  • Mitglied des Senats und des Hauptausschusses der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG),

  • Mitglied des Gesundheitsforschungsrates der Bundesrepublik Deutschland,

  • Mitglied der Strategiekommission des BMBF,

  • Mitglied des Präsidiums des medizinischen Fakultätentages,

  • Gründungsmitglied der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften,

  • Mitglied des Gründungskomitees des Max-Delbrück-Zentrums Berlin-Buch,

  • Mitglied des Internationalen Komitees der Hochschulrektorenkonferenz,

  • Mitglied des wissenschaftlichen Beirates der Gesellschaft Deutscher Naturforscher und Ärzte,

  • Mitglied des Sächsischen Forschungsbeirates,

  • Medizinischer Vizepräsident der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina 1989-1999.

Diese vielen Aktivitäten und ihre nachhaltigen Folgen wurden mit weiteren Ehrungen gewürdigt:

  • Ehrenmitglied der Sächsischen Gesellschaft für Innere Medizin seit 1999,

  • Hermann-Eberhard-Friedrich-Richter-Medaille der Sächsischen Landesärztekammer,

  • Ehrenmitglied der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina seit 2002

  • Rudolf-Virchow-Medaille der Deutschen Gesellschaft für Pathologie 2007,

  • Ehrendoktorwürde der Universität Leipzig 2007.

Er hätte seine aktive Tätigkeit ausklingen lassen und sich zurücklehnen und es sich in einem glanzvollen Dasein schön machen können. Gottfried Geiler hat sich nicht ausgeruht. Es war ihm vielleicht eine Verpflichtung, vielleicht eine innere Haltung, das Kondensat seiner Erfahrungen nach über 40-jähriger Hochschultätigkeit weiter zu geben – und was wäre besser geeignet gewesen als das Amt des Ombudsmanns der Deutschen Forschungsgemeinschaft.

Seine unschätzbaren Erfahrungen hat er als Mitglied des Nominierungsausschusses für das Gottfried-Wilhelm-Leibniz-Programm von 1996-2003 walten und das junge Universitätsklinikum Magdeburg als Mitglied des Verwaltungsrates profitieren lassen. Im Gegensatz zu vielen anderen hat er diese Ämter freiwillig beendet, wohl um seine Grenzen wissend und mit dem Mut, im rechten Augenblick aufzuhören.

Was hat die Ausnahmestellung von Gottfried Geiler aus dem „Viele sind berufen – wenige sind auserwählt“ – das Motto, unter dem wir den 70. Geburtstag gefeiert haben, ausgemacht?

Vor dem Hintergrund seiner außerordentlichen Begabungen und seiner wissenschaftlichen Fähigkeiten, seiner Intelligenz und seinem Fleiß, beruhen seine Erfolge auf seiner Menschlichkeit, d. h. seinem dem Menschen durch und durch zugewandtem Wesen. Eine weitere Eigenschaft ist herausragend: seine Unbestechlichkeit. Ich meine v. a. die geistige Unbestechlichkeit, obwohl man in der heutigen Zeit vielleicht die materielle Unbestechlichkeit ebenso hervorheben sollte. Ich meine das eigenständige, von verschiedenen eigenen Erfahrungen und weiteren Tugenden wie Toleranz und Geduld gespeiste unbestechliche Denken. Es ist von keinen Moden oder geistigen Anfechtungen und Versuchungen korrumpiert, es erlaubt, so zu handeln, wie es allein das Gewissen vorgibt. Diese Unbestechlichkeit ist der Grundstein seiner Unbeugsamkeit und seines ausgewogenen Urteils. Diese Unbestechlichkeit ist gepaart mit der Fähigkeit einer besonderen Zuwendung zu den ihm anvertrauten und ihn interessierenden Menschen und Aufgaben.

Um den Blick für das wesentliche Anliegen eines Individuums nicht zu verlieren, hat Gottfried Geiler immer eine gewisse Distanz bewahrt. Eine geistige Distanz, die aber durch seinen Humor und die Fähigkeit, Sachverhalte aus ganz neuen und eigenen Blickwinkeln zu betrachten, gemindert und von manchen möglicherweise nicht wahrgenommen wurde. Seine Gedanken hat er in einem unvergleichlichen, beherrschten Stil in Wort und Schrift seiner Umgebung mitgeteilt.

Neben seinen vielfältigen Aufgaben im Emeritus-Status hielt er gute Kontakte zu ehemaligen und aktuellen Mitarbeitern des Instituts für Pathologie und kam regelmäßig in das Institut, um sich persönlich nach dem „Wohlergehen“ des Instituts zu erkundigen. Wir haben viele Gespräche über die Vergangenheit der Pathologien in BRD und DDR geführt, über die Gegenwart und die Zukunft unseres Faches. Sehr habe ich sein einfühlsames Wesen, seine Toleranz und sein Verständnis für mitunter nicht so gut gelungene Aktionen bewundert. In letzter Zeit sind diese Besuche alters- und krankheitsbedingt leider seltener geworden. Nach einer längeren Schwächephase ist Gottfried Geiler sehr bewusst gestorben.

FormalPara Infobox Publikationen (Auswahl)
  • Morphologie und Pathogenese der Synovialome, Leipzig 1961,

  • Aktuelle diagnostische Methoden in der Rheumatologie, Leipzig 1978,

  • Rheumatische Erkrankungen, 3. Aufl., Berlin 1981,

  • (Hrsg.) Medizin im Spannungsfeld moderner Methoden, Heidelberg 1997,

  • ca. 200 Publikationen als Erst‑, Ko- und Senior-Autor in wissenschaftlichen Fachzeitschriften,

  • (Hrsg.) Onkologie 2000, Heidelberg 1998.

Christian Wittekind

Leipzig