Mit einer aus dem alten Ägypten motivierten Idee eines „Megatechnischen“ Pharaos, der nicht mehr nach Pyramiden, sondern vielmehr nach Maschinen für die Götter verlangt, weist der Naturphilosoph Jochen Kirchhoff mahnend darauf hin, dass es sich beim Projekt unserer Zeit um den Bau einer „Megamaschine“ handeln könnte. Heute sollen diese Megamaschinen laut Kirchhoff nun mithilfe maschinellen Lernens aus großen Datenmengen (Big-Data) aber unsere letzten, noch verbleibenden „Götter“ vollständig ersetzen, um so die letzten Grenzen unserer natürlichen Umwelt beseitigen zu können. Seine Maschine ist im Grunde genommen ein Anachronismus, der uns auf die alte Logik der antiken Welt verweist, welche uns mittels künstlicher Intelligenz punktgenau aus den Fesseln des unstetigen Menschseins befreit. Wie ist das gemeint?

Seit den alten Griechen, die noch auf der Suche nach perfekten Kreisen, Quadraten und Dreiecken waren, ist, zumindest die westliche Welt, von dem Streben nach Perfektion, Symmetrie und idealen Proportionen durchdrungen. Unser westlicher Sinn für Schönheit ist also von einer Suche nach universellen Gesetzen etwa in der Mathematik sowie einem Verlangen nach Vollkommenheit und Ewigkeit geprägt. Aristoteles (384–322 v. Chr.), dem später weitere westliche Denker folgten, kam mit seinem „Satz vom ausgeschlossenen Dritten“ zu dem Schluss, dass alles entweder wahr oder falsch sein muss. Zwischen wahr, was heute in der Megamaschine als 1 codiert wird, und falsch als 0, scheint es nichts mehr zu geben. Doch stimmt das wirklich? Oder gibt es möglicherweise besser geeignete Konzepte, welche auch die grauen Nuancen zwischen Schwarz und Weiß berücksichtigen?

Die asiatische Logik und Ästhetik unterscheiden sich laut dem Kollektiv „School of Life“ erheblich von unserer westlichen. Besonders eindrücklich zeigt sich dies etwa im japanischen Begriff „Wabi-Sabi“, für welchen es in unseren westlichen Sprachen kein Analogon gibt. Der Begriff verweist auf die Schönheit der Unbeständigkeit, Unvollkommenheit, Einfachheit sowie Melancholie. Er entspringt nicht, wie etwa seine griechischen Pendants, der Liebe zur Unbesiegbarkeit, Jugend und Makellosigkeit, sondern eher der Achtung vor dem, was vergänglich, zerbrechlich, leicht angeknackst und bescheiden ist. In der japanischen Vorstellung von Ästhetik sind Dinge stets schöner, wenn sie die Zeichen des Alters und der Individualität in sich tragen. Ein Tröpfchen Glasur oder ein mit Gold restaurierter Riss einer Keramik, dem sogenannten „Kintsukuroi“ (dt. Goldreparatur), werden in diesem Sinne wertgeschätzt, nicht verborgen.

Im Westen hat, abgesehen von Galileo Galilei (1564–1641), welcher Aristoteles zumindest teilweise infrage stellte, wohl über 2000 Jahre lang niemand wirklich die griechische Logik und Ästhetik angezweifelt. Dieses nicht Infragestellen dieser Klassiker könnte nun aber, in Verbindung mit der digitalen Transformation, genau der Grund für unsere Spaltung, Voreingenommenheit gegenüber anderen (Personen‑)Gruppen sowie Desinformation durch die heutigen Maschinen sein. Der menschliche Geist ist dank seiner Kultur, seiner Sprache sowie seiner Sozialisation anpassungsfähig und kooperativ. Da sie größtenteils immer noch in der Binärlogik ruht, hat sich unsere westliche Logik, auf die wir in der Digitalisierung bauen, in letzter Zeit, seien wir ehrlich, jedoch leider nicht mehr wirklich weiterentwickelt, was momentan unsere, über die Jahre erkämpften Bürgerrechte und Gesetze gefährden könnte.

Kirchhoff glaubt, dass die Natur, sowie unser menschlicher Geist, ein vielfältiges, komplexes und unerschöpfliches Potenzial bergen. In meiner Vorstellung zeigt Wabi-Sabi, dass Intelligenz nur aus Akzeptanz des Vergänglichen und Unvollkommenen entstehen kann. Wabi-Sabi könnte zu einem neuen KI-Ansatz heranwachsen, den wir auch beim Bau der neuen Megamaschine einsetzen könnten. So wie wir Menschen das faltige Gesicht eines Mitmenschen mit Sympathie wahrnehmen können, so sollten wir für die KI-Konstruktionen dieselbe Schönheit darin wiederfinden. Unsere menschliche Perspektive davon ist nicht nur relativ, sondern auch offen für Veränderungen und Verbesserungen. Wenn wir uns dieser unscharfen Ideale noch mehr bewusstwerden, dann können wir doch auch lernen, vergänglichen Konstruktionsweisen mehr Wertschätzung entgegenzubringen. Meines Erachtens sollte so ein Blick auf die Dinge, die wir sonst andernfalls ablehnen oder mit Verachtung betrachten, das Herz der digitalen Transformation sein.