Zusammenfassung
Hintergrund
Die Unterscheidung von Gut und Böse bildet in der menschlichen Sprache eine elementare Orientierungs- und Bewertungskategorie. In der Genese und Weitergabe der Vorstellungen von Gut und Böse spielen Religionen und Weltanschauungen eine entscheidende Rolle, indem sie in Narrativen, Symbolen, Gesetzen und Ritualen Normenvorstellungen codieren und ein bestimmtes Ethos prägen.
Ziele der Arbeit
Die vorliegende Arbeit erörtert theologisch das Verständnis von Gut und Böse in der christlichen Religion.
Methode
Es werden zwei Fragen unterschieden: (1) die metaphysische Frage nach dem Wesen und Ursprung von Gut und Böse sowie (2) die textbezogene Frage nach der narrativen Konfiguration von Gut und Böse in den biblischen Texten und der korrespondierenden Anthropologie.
Ergebnisse
Die Untersuchung zeigt, dass die metaphysische Betrachtung in eine Aporetik mündet, der Orientierungsgewinn christlicher Religion hingegen in der Differenzierung zwischen Person und Werk, in einer phänomenologischen Aufschlüsselung des Bösen und in der Erschließung der Liebe als Macht des Guten liegt.
Schlussfolgerungen
Ein möglicher Gegenstand für ein interdisziplinäres Gespräch zwischen Theologie und Psychotherapie könnte in der Rolle narrativer Codierung von Gut und Böse und der anthropologischen Implikationen bestehen.
Abstract
Background
The distinction between good and evil provides an elementary orientation and evaluation category in the human language. Religions and worldviews play a decisive role in the genesis and transmission of concepts of good and evil by encoding normative concepts in narratives, symbols, laws, and rituals and shaping a certain ethos.
Objective
This article theologically discusses the understanding of good and evil in the Christian religion.
Method
A distinction is made between two questions: (1) the metaphysical question about the nature and origin of good and evil, and (2) the textual question about the narrative configuration of good and evil in the biblical texts and the corresponding anthropology.
Results
The study shows that the metaphysical consideration leads to aporia, whereas the gain in orientation of Christian religion lies in the differentiation between person and work, in a phenomenological consideration of evil, and in the promotion of love as the power of good.
Conclusion
A possible subject for an interdisciplinary conversation between theology and psychotherapy might be the role of narrative encoding of good and evil and the anthropological implications.
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Nüssel, F. Gut und Böse in theologischer Perspektive. Psychotherapie 68, 362–367 (2023). https://doi.org/10.1007/s00278-023-00662-w
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