Zusammenfassung
Weiblicher Narzissmus beschreibt die Persönlichkeit von Frauen, deren Selbstwertgefühl verletzt ist, und die dies durch eine perfekte narzisstische Fassade kompensieren. Über Leistung, Attraktivität, Perfektionismus und Anpassung versuchen sie, ihre Unsicherheiten auszugleichen und ein Bild von sich zu zeigen, das mit ihrem inneren Erleben nicht übereinstimmt. Sie treten selbstbewusst auf, fühlen sich jedoch unsicher und voller Selbstzweifel. Während der sog. männliche Narzissmus in der Grandiosität verwurzelt ist, basiert der weibliche auf den Gefühlen der Unzulänglichkeit und Minderwertigkeit. Der Begriff des weiblichen Narzissmus darf nicht als Diskriminierung von Frauen durch eine geschlechtsspezifische Zuschreibung missverstanden werden. Er dient lediglich der Kategorisierung der narzisstischen Ausprägung, wie sie hauptsächlich bei Frauen und seltener bei Männern zu finden ist. Er betont die Bedeutung des vulnerablen, verletzlichen Aspekts einer narzisstischen Struktur, die bisher weniger im Fokus der wissenschaftlichen und therapeutischen Betrachtung stand als der grandiose. Obwohl die Frauen in der Therapie scheinbar problemlos auftreten, alles im Griff zu haben scheinen und ihr Leid perfekt kaschieren, sind sie doch in hohem Maß in ihrem Selbstwertgefühl verletzt und bedürftig nach Beachtung, Unterstützung und Orientierung. Im Schutz der therapeutischen Beziehung erfahren sie einen neuen Zugang zu sich, ihren Bedürfnissen und Gefühlen. Sie überwinden die narzisstische Selbstentfremdung und Bindungsstörung, die sich einerseits in Angst vor dem Verlassenwerden, andererseits in der Furcht vor Nähe äußert. Therapieziele sind die Überwindung der Gegensätze ihres Fühlens und Verhaltens sowie ein Zugang zu einem erweiterten Wissen über sich selbst.
Abstract
Female narcissism describes the personality of women who have a wounded self-esteem and compensate for this with a perfect narcissistic facade. Through performance, attractiveness, perfectionism and conformity, they try to compensate for their insecurities and show the world an image of themselves that does not match their inner experience. They appear self-confident but feel insecure and full of self-doubt. Where so-called male narcissism is rooted in grandiosity, female narcissism is based on feelings of inadequacy and inferiority. The concept of female narcissism should not be misunderstood as discriminating against women through a gender-specific attribution. It merely serves to categorize the narcissistic expression as it is found mainly in women and less often in men. It emphasizes the importance of the vulnerable aspect of a narcissistic structure, which has been less the focus of scientific and therapeutic consideration than the grandiose. Although the women appear to have no problems in the therapy, seem to have everything under control, and perfectly conceal their suffering, they are to a great extent wounded in their self-esteem and in need of attention, support, and orientation. Under the protection of the therapeutic relationship they experience a new access to themselves, to their needs and feelings. In this way they overcome the narcissistic self-alienation and attachment disorder, which expresses itself on the one hand in fear of abandonment and on the other hand in fear of closeness. The goal of therapy is to overcome the opposites of their feelings and behavior and to access an expanded knowledge of themselves.
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Wardetzki, B. Weiblicher Narzissmus – Zwischen Selbstzweifel und Grandiosität. Psychotherapie 67, 307–312 (2022). https://doi.org/10.1007/s00278-022-00601-1
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