Die Coronapandemie stellt psychologisch gesprochen eine abstrakte, unsichtbare Bedrohung dar, die für viele Menschen schwer zu verstehen ist. Die Verschwörungserzählung dagegen strukturiert die Welt. Der Glaube an Verschwörungen ist allerdings weder neu noch ein reines Produkt von sozialen Medien. Zwei zentrale Herausforderungen, die sich ergeben, sind, wie man Verschwörungserzählungen in der Öffentlichkeit begegnen kann, und wie man im persönlichen oder im therapeutischen Setting mit ihren Anhänger:innen umgeht. Um diesen begegnen zu können, müssen die Mechanismen von Verschwörungstheorien verstanden werden.

Hintergrund

Als die chinesische Gesundheitskommission am 20.01.2020 bekannt gab, dass es eine Mensch-zu-Mensch-Übertragung mit einem neuartigen Coronavirus gegeben habe, war es für viele Menschen noch unvorstellbar, wie stark dieses Virus die eigene Lebenswirklichkeit zumindest temporär verändern würde. Die durch die „Coronavirus-Krankheit 2019“ (COVID‑19) ausgelöste Pandemie wirkt sich unterschiedlich auf Menschen aus: Während Infizierte und Erkrankte als primär Betroffene gelten können, gibt es große Teile sekundär Betroffener, die unter den infektionseindämmenden Maßnahmen leiden – weil wichtige medizinische Eingriffe verzögert werden, sie ökonomische Einbußen haben oder mit der Einsamkeit aufgrund sozialer Distanz umgehen müssen.

Darüber sind aber auch Schäden zu beklagen durch die Verbreitung von Falschinformationen in der Pandemie: Bereits im Januar warnte die Weltgesundheitsorganisation (WHO), dass wir es nicht nur mit einer Pandemie, sondern auch mit einer sogenannten Infodemie zu tun hätten – und dass diese genauso gefährlich sei wie die Pandemie selbst. Eine Infodemie führt potenziell nicht nur zu einer Polarisierung der öffentlichen Debatte und verstärkt Hassrede, sondern kann auch Leben kosten (WHO 2020). Und eine Infodemie geht auch oft mit dem Verschwörungsglauben einher. Verschwörungsgläubige tendieren eher dazu, sich und andere gesundheitlichen Gefahren auszusetzen. Auch die Verbreitung von antisemitischen und antidemokratischen Inhalten findet sich in dieser Szene immer wieder (Imhoff und Bruder 2014; Imhoff et al. 2021).

Daneben sind es v. a. Angehörige, die nicht verstehen, warum ihnen wichtige Menschen auf einmal anscheinend realitätsfernen Ideen anhängen. Im Folgenden wird erläutert, ob und, wenn ja, warum Verschwörungsnarrative in gesellschaftlichen Krisen wie einer Pandemie Hochkonjunkturen erfahren, welches Weltbild sich in ihnen manifestiert, wer besonders anfällig ist, und welche Konsequenzen sie haben. Abschließend werden Implikationen für die Praxis diskutiert.

Begriffsentwirrung: eine Frage der Mentalität?

Den Begriff „Verschwörungstheorie“ ist seit den 1860er-Jahren bekannt. Er bezieht sich auf die Annahme, dass als mächtig wahrgenommene Personen oder Gruppen im Geheimen einen Plan schmieden würden, der Gesellschaft zu schaden (Goertzel 1994). In den letzten Jahren gab es v. a. im deutschsprachigen Raum eine immer stärkere Diskussion darüber, dass dieser Begriff problematisch sei. In der Psychologie wird häufig von der Verschwörungsmentalität gesprochen (Imhoff und Bruder 2014).

Die abstrakte Verschwörungsmentalität spiegelt dabei die generelle Tendenz wider, an Verschwörungen zu glauben. Diese Idee, dass es eine kohärente Verschwörungsmentalität gibt, basiert auf dem wiederholt beobachteten Muster, dass die Zustimmungen zu inhaltlich sehr divergierenden Ausprägungen des Verschwörungsglaubens stets positiv miteinander korrelieren und auf einem Faktor laden. Als vielleicht plakativstes Beispiel zeigte sich in den Studien von Wood et al. (2012), dass wer glaubt, dass Lady Di vom britischen Geheimdienst getötet wurde, auch eher denkt, dass sie ihren eigenen Tod nur vorgetäuscht habe. Es geht also weniger um die Behauptung einer konkreten Verschwörung, sondern um den Ausdruck eines Weltbilds, in dem einige wenige sich zu ihrem Vorteil und dem Nachteil der Allgemeinheit verschworen haben – wie genau ist oft nebensächlich. Obwohl diese Weltsicht auf den ersten Blick Berührungspunkte mit der Paranoia hat (und die subklinische Paranoia auch ein stabiles Korrelat ist), gibt es einen entscheidenden Unterschied: Im paranoiden Wahn ist die ganze Welt hinter der Person her, die Verschwörungsmentalität beschreibt dagegen die Überzeugung, dass einige wenige die ganze Welt hinters Licht führen und betrügen wollen (Imhoff und Lamberty 2018).

Verbreitung von Verschwörungserzählungen vor der Pandemie

Der Glaube an Verschwörungen ist weder neu noch ein reines Produkt von sozialen Medien. Auch in der Gegenwart und vor der Pandemie waren solche Narrative in der Gesellschaft verbreitet: Über 40 % der Befragten der Studie „Verlorene Mitte – Feindselige Zustände. Rechtsextreme Einstellungen in Deutschland 2018/19“ der Friedrich-Ebert-Stiftung waren mehr oder weniger stark der Meinung, dass „Politiker und andere Führungspersönlichkeiten nur Marionetten der dahinterstehenden Mächte“ seien, so die Ergebnisse der Studie (Zick et al. 2019).

Psychologische Ursachen des Verschwörungsglaubens

Warum wittern Menschen nun aber Verschwörungen und glauben, dass die Geschicke der Welt von geheimen Mächten gelenkt werden? In der psychologischen Forschung werden dazu 3 Motive benannt (Douglas et al. 2017):

Existenzielle Motive

Existenzielle Motive sind erst einmal ganz basale Bedürfnisse des Überlebens. Es geht um Kontrolle und Sicherheit. Im Jahr 2008 veröffentlichten die Psycholog:innen Whitson und Galinsky (2008) im hochrangigen Wissenschaftsmagazin Science einen Forschungsbeitrag, in dem sie zeigten, dass, wenn Menschen einen Kontrollverlust erleben, sie eher dazu neigen, auch dort Muster zu sehen, wo (vermutlich) keine sind, und stärker an Verschwörungserzählungen glauben. Sie konnten zeigen, wie relevant und einschneidend Kontrollverlust für die Psyche ist. Das mag vielleicht erst einmal abstrakt klingen, Kontrolle spielt aber im Leben eine wichtige Rolle. Der plötzliche Verlust von Angehörigen, überraschende Arbeitslosigkeit oder der ICE, den man verpasst, weil die S‑Bahn zu langsam war – das sind alles Beispiele für Kontrollverlust. Wenn Menschen objektiv keine Kontrolle herstellen können, versuchen sie es auf psychologischem Wege. Diese Befunde, dass experimentell induzierte Kontrolldeprivation in der Folge den Verschwörungsglauben steigert, ist allerdings empirisch nicht so reliabel, wie zunächst angenommen (Imhoff 2015; Stojanov und Halberstadt 2020). Was sich allerdings stabil zeigt, ist der korrelative Zusammenhang zwischen wahrgenommener geringer Kontrolle und der Verschwörungsmentalität. Erste Studien zeigen, dass politische Kontrollerfahrungen eine größere Rolle spielen als persönliche, die für eine subklinische Paranoia wiederum relevanter zu sein scheinen (Imhoff und Lamberty 2018).

Soziale Motive

Soziale Motive beziehen sich darauf, wie die eigene Gruppe und die eigene Person wahrgenommen werden. Wenn man vom Kontrollverlust hört, mag das vielleicht ein Bild eines unsicheren, entfremdeten „Gläubigen“ hervorrufen, der sich verzweifelt an Verschwörungen klammert, um die verwirrende und unkontrollierbare Welt zu verstehen. Viele Verschwörungsideolog:innen sind aber sehr lautstark, wenn es darum geht, ihre alternativen Wahrheiten über das Internet oder bei öffentlichen Veranstaltungen zu verbreiten. „Die Wahrheit“ zu sehen, kann nicht nur Kontrolle erzeugen, sondern auch das Gefühl verstärken, besonders zu sein. Sich von der Masse abzuheben, ist primär ein grundlegender Aspekt der menschlichen Existenz. Menschen mit einer besonders starken Motivation, sich von anderen zu unterscheiden, können allerdings besonders anfällig für Verschwörungserzählungen sein (Imhoff und Lamberty 2017). Auch kollektiver Narzissmus spielt im Verschwörungsglauben eine Rolle (Golec de Zavala und Federico 2018; Marchlewska et al. 2019). Narzissmus bedeutet ja nicht nur, dass eine Person sich für grandios hält, sondern dass dieses Selbstbild fragil und von der Bestätigung anderer abhängig ist. Beim kollektiven Narzissmus glauben Menschen auf der einen Seite an die Grandiosität ihrer eigenen Gruppe, gehen aber gleichzeitig davon aus, dass andere diese Grandiosität nicht genug wertschätzen. In dieser Logik zielt jede Kritik an der Gruppe darauf ab, angeblich die Gruppe als Ganzes zu untergraben und zu bedrohen. Kollektive Narzisst:innen sehen ihre Nation oder Gruppe als Opfer, deren Großartigkeit und Einzigartigkeit nicht genug geschätzt wird. Dieses Gefühl, dass die eigene Gruppe nicht den Raum erhält, den sie angeblich verdient, führt dazu, dass negative Gefühle auf Verschwörer externalisiert werden und ihnen die Schuld am Scheitern der eigenen Gruppe zugeschoben wird. Das erklärt in dieser Logik, warum die Gruppe nicht immer so erfolgreich ist, wie sie es sein sollte, und nicht die Anerkennung erhält, die sie angeblich eigentlich verdient.

Epistemische Motive

Epistemische Motive beziehen sich auf den Umgang mit Fakten und Wissen. Verschwörungserzählungen bieten Erklärungen, die es den Menschen ermöglichen, den Glauben angesichts von Unsicherheit und Widerspruch zu bewahren. Verschwörungsgläubige finden eher Muster dort, wo (vielleicht) keine sind. Verschwörungserzählungen sind oft genau das: Es werden Punkte verbunden, die nicht zusammengehören. Der Zufall spielt keine Rolle. Auch hängt der Verschwörungsglaube mit der Wahrnehmung von Intentionalität zusammen (Brotherton und French 2015; Douglas et al. 2016). Zufällige Zahlencodes werden plötzlich zum umfassenden Beleg einer Verschwörung. In einer anderen Studienreihe konnte gezeigt werden, dass Menschen mit ausgeprägter Verschwörungsmentalität einen geringeren „Expertenbias“ zeigen: Während die wahrgenommene Glaubwürdigkeit mächtiger Quellen mit der Verschwörungsmentalität der Befragten abnahm, nahm die Glaubwürdigkeit machtloser Quellen zu. Je stärker der Verschwörungsglaube, desto weniger wurde zwischen Expert:innen und Laien differenziert (Imhoff et al. 2018).

Weitere untersuchte Faktoren

Auch andere Faktoren wurden in der psychologischen Forschung genauer untersucht. Eine Frage ist beispielsweise, welche Persönlichkeitsfaktoren im Verschwörungsglauben eine Rolle spielen. In verschiedenen Studien wurde daher auch der Zusammenhang mit den sog. Big Five im Fünf-Faktoren-Modell der Persönlichkeit untersucht. Eine Metaanalyse aus dem Jahr 2019 kam zu dem Schluss, dass es keinen signifikanten Zusammenhang des Verschwörungsglaubens mit den Persönlichkeitsfaktoren der Big Five gab, wenn die Effektgrößen aggregiert werden (Goreis und Voracek 2019).

COVID-19-Pandemie und Verschwörungsglaube

Insgesamt gibt es die Annahme, dass sich der Verschwörungsglaube in Krisenzeiten besonders zeigt. Krisen können als Kontrollverlust verstanden werden. Die eigene Lebenswirklichkeit wird fundamental infrage gestellt, es ist unklar, wie sich der Verlauf entwickelt, und wann alles wieder so wird wie vorher. Die Forschung von Leman und Cinnirella (2013) zeigte, dass Menschen bei großen Ereignissen eher dazu tendieren, auch große Ursachen zu vermuten. Gerade bei einer Pandemie hat man es mit einer abstrakten, unsichtbaren Bedrohung zu tun, die für Menschen oft schwer zu verstehen ist. Der Verschwörer scheint dagegen konkreter, fast „greifbar“ zu sein. Die Verschwörungserzählung strukturiert dann die Welt; es gibt die bösen Verschwörer und die, die scheinbar die Wahrheit sehen.

Theoretisch ist also anzunehmen, dass die Pandemie den Verschwörungsglauben noch einmal verstärkt hat. Empirische Schlüsse können aktuell allerdings noch nicht abschließend gezogen werden. Aus der vorherigen Forschung lässt sich annehmen, dass die abstrakte Verschwörungsmentalität eher weniger durch einen möglichen Kontrollverlust beeinflusst werden würde. Verstärkt würde insbesondere der spezifische Verschwörungsglaube. Um die Mechanismen genau zu verstehen, benötigt es allerdings noch weitere Daten. Dennoch lassen sich aus bisherigen Studien bereits erste Erkenntnisse ziehen.

Beginnend im Mai 2020 wurde durch das Team vom COVID-19 Snapshot Monitoring unter der Leitung von Cornelia Betsch Daten zur Verbreitung des Verschwörungsglaubens erhoben (Betsch et al. 2020). Hier wurden zwei Formen von Verschwörungserzählungen abgefragt (übernommen von Imhoff und Lamberty 2020): Corona sei ein Schwindel („Experten täuschen uns absichtlich und zu ihrem eigenen Vorteil, obwohl das Virus eigentlich nicht schlimmer ist als eine Grippe.“) und Corona sei menschengemacht („Corona wurde absichtlich in die Welt gebracht, um die Bevölkerungszahl zu reduzieren.“). Die Wissenschaftler:innen konnten zeigen, dass jeweils 17 % diesen zwei gegensätzlichen Annahmen (eher) zustimmten. Es gab allerdings auch – obwohl sich die beiden Annahmen logisch ausschlossen – eine Überlappung von 9 % (r = 0,55). Insgesamt kamen die Wissenschaftler:innen so auf Zustimmungswerte von 25 % für die beiden Verschwörungserzählungen, die so über die nächsten Monate bis November stabil auf diesem Niveau blieben (COVID-19 Snapshot Monitoring 2020).

Dass dieser Glaube an eine große Verschwörung hinter der momentanen Pandemie keine harmlose Petitesse ist, zeigt sich nicht nur daran, dass die Zustimmung mit geringerer selbstberichteter Compliance mit den empfohlenen Maßnahmen zur Infektionseindämmung korreliert ist (Hygiene und Abstand; Imhoff und Lamberty 2020) und sich dies auch längsschnittlich im Sinne eines kausalen Vorlaufens belegen lässt (Bierwiaczonek et al. 2020; Pummerer et al. 2020).

Längst sind die diversen Demonstrationen von sog. Coronaleugner:innen zum Politikum geworden. Menschen, die sich ohne Abstand und Mund-Nase-Schutz zu größeren Demonstrationen versammeln, aus denen heraus Sicherheitskräfte & Pressevertreter:innen beschimpft und angegriffen werden. Und schließlich eine große Anzahl verunsicherter Angehöriger, die sich an Sektenbeauftragte und andere Stellen wenden, in der Hoffnung zu verstehen, wie sie den Spuk beenden oder zumindest weiter mit ihren Kindern, Eltern, Partnern und anderen eigentlich vertrauten Personen reden können. Zwei zentrale Herausforderungen sind also, wie man Verschwörungserzählungen in der Öffentlichkeit begegnen kann und wie man im persönlichen oder therapeutischen Setting mit ihren Anhänger:innen umgeht.

Umgang mit Verschwörungserzählungen

Es ist erst einmal wichtig, sich klar zu machen, dass es einen Unterschied zwischen Fehl- oder Desinformation und Verschwörungserzählungen gibt. Während Fehlinformationen leichter entlarvt werden können, ist dies bei kryptischen Mythen viel schwieriger. Wie möchte man etwas widerlegen, das es gar nicht gibt? Zusätzlich zeigt sich die Tendenz, dass Verschwörungsgläubige eher dazu neigen, gegen eine „offizielle Erklärung“ als für eine konkrete Alternative zu argumentieren (Wood und Douglas 2013). Das macht es noch einmal unwahrscheinlicher, dass Ansätze erfolgreich sind, die die Verschwörungsannahme widerlegen wollen.

Trotzdem ist es auch im therapeutischen Setting wichtig, sich mit den Gefahren sowie dem Umgang mit Fehlinformationen auseinanderzusetzen. Denn diese haben sich während der Pandemie schnell verbreitet. Immer wieder werden Berichte über Menschen veröffentlicht, die gestorben sind, nachdem sie entweder das Virus geleugnet oder Desinformationen zu Behandlungsmöglichkeiten geglaubt haben. Ein Problem: Fehlinformationen bleiben oft im Gedächtnis – selbst, wenn sie korrigiert worden sind. Erklärt wird das u. a. durch den Perseveranzeffekt. „Dieser beschreibt, dass Informationen oder Eindrücke oft so stark prägen, dass eine einmal gebildete Meinung auch durch später hinzukommende neue Informationen – oder sogar durch den expliziten Widerruf der ursprünglichen Information – kaum noch verändert werden kann“, erklären Miketta und Liepelt (2020). Eine Möglichkeit, diesem Effekt entgegenzuwirken, ist das „Fakten-Sandwich“: Zuerst beginnt man mit einem eingängigen Fakt – so simpel und konkret wie möglich. Als Nächstes warnt man, dass jetzt eine Fehlinformation kommt. Diese sollte nur einmal wiederholt werden. Danach kann man erklären, wie genau der Fehlschluss aussieht, und warum die Information irreführend ist. Als Letztes endet man wieder mit dem Fakt. Diesen kann man auch mehrfach wiederholen (Lewandowsky et al. 2020). Es gibt auch einige andere Ansätze, die sich als effektiv im Umgang mit Fehlinformationen gezeigt haben. Digitale Spiele wie „Get Bad News“ oder „Go viral!“ beispielsweise helfen jungen Menschen dabei, signifikant besser darin zu werden, Fake News zu erkennen. Beide Spiele sind kostenlos nutzbar und für Kinder ab 12 Jahren geeignet.

Im Kontext von Verschwörungserzählungen empfehlen Sektenberatungsstellen, sich weniger auf die Auseinandersetzung mit Fakten als auf die individuelle Funktion des Verschwörungsglaubens zu fokussieren: Gab es Krisen, die Anhänger:innen von Verschwörungserzählungen durchlebt haben? Wurden diese Erfahrungen vielleicht auf einen Verschwörer projiziert? Auch wenn es erst einmal herausfordernd ist, mit Anhänger:innen von Verschwörungserzählungen umzugehen, ist es wichtig, sich bewusst zu machen, dass dies nur einen Teil der Identität darstellt. Das Thema sollte zwar adressiert werden, muss aber nicht permanent im Zentrum stehen, da sonst auch die Abwehrhaltung der Betroffenen verstärkt werden kann.

Gerade in der Pandemie kann der Verschwörungsglaube auch damit zusammenhängen, dass Maßnahmen nicht eingehalten werden und so das Risiko einer Ansteckung auch für andere erhöht ist. Hier kann es helfen, persönliche Botschaften wie beispielsweise „Auch wenn Sie nicht an die Pandemie glauben, ist es mir wichtig, dass Sie in diesen Räumen den Regeln folgen“ zu senden. Die Person kann dann die AHA-Regeln, i. e. den Abstand zu halten, die Hygiene zu beachten und im Alltag eine Maske zu tragen, befolgen, ohne an diesem Punkt schon den eigenen Irrtum eingestehen zu müssen.

Verschwörungsideolog:innen haben verschiedene Strategien, um ihre Inhalte zu verbreiten. Dazu gehören beispielsweise die Verwendung emotional aufgeladener Sprache, der Einsatz von falschen Expertenaussagen und die Erschaffung von Sündenböcken. Wer diese Muster kennt, kann sie leichter erkennen und anderen erklären. Man verliert sich dann nicht in Faktendiskussionen und Nebenschauplätzen, sondern kann gemeinsam auf einer Metaebene erarbeiten, welche Muster bedient werden.

Es kann auch passieren, dass Therapeut:innen selbst als Teil der Verschwörung wahrgenommen werden. Es hilft dann meistens wenig, defensiv die Annahme auf Faktenebene zu dekonstruieren, da oft einfach neue Verschwörungsannahmen erschaffen werden. Vertrauensbildende Maßnahmen und ein Ansatz, bei dem das Gegenüber selbst die Verschwörungsannahme erklären muss, können eher hilfreich sein. Allerdings gibt es aktuell noch keine Studien, die sich mit dieser speziellen Thematik befassen. Hier ist weitere Forschung wünschenswert, damit der Verschwörungsglaube nicht zum Therapiehindernis wird.

Fazit für die Praxis

  • Verschwörungserzählungen waren auch vor der Pandemie verbreitet, sie sind außerdem kein Phänomen der sozialen Medien,

  • Kontrollverlust, ein Bedürfnis nach Einzigartigkeit und der Wunsch, die Welt zu begreifen, können den Glauben an Verschwörungen befördern.

  • In der Krise hängt der Verschwörungsglaube mit verschiedenen Verhaltensweisen zusammen (geringere Bereitschaft, Gesichtsmasken zu tragen oder Physical distancing zu betreiben, stärkere Ablehnung von Impfungen, Zuwendung zu [teils] gefährlichen Alternativen) und kann damit ein Risiko beim Management der Pandemie sein.

  • Das Fakten-Sandwich kann dabei helfen, Fehlinformationen zu entkräften.

  • Beim individuellen Umgang mit Menschen, die einen starken Verschwörungsglauben aufweisen, wird von Beratungsstellen empfohlen, die Selbstwirksamkeit zu stärken und auf die Motive hinter dem Verschwörungsglauben abzuzielen.