Wenn Menschen von bestimmten Aktivitäten abhängig sind, erleben sie eine eingeschränkte Kontrolle über den wiederkehrenden Drang zum z. B. Glücksspielen, Computer- und Videospielen, Shopping, Nutzen sozialer Netzwerke oder Ausführen sexueller Handlungen. Dabei sind sie sich der negativen Konsequenzen ihrer Verhaltensexzesse durchaus bewusst. Wer mit Patient*innen arbeitet, die an solchen Verhaltenssüchten leiden, kennt deren Leidensdruck und weiß, dass das Problem in aller Regel mit psychischer Komorbidität und Einschränkungen in relevanten Funktionsbereichen verbunden ist. Trotzdem suchen die meisten betroffenen Menschen erst relativ spät nach professioneller Hilfe. Aufseiten der Betroffenen kann dies mit einer schwankenden Änderungsmotivation oder mit Schamgefühlen wegen der Verhaltensexzesse zusammenhängen. Hinzu kommt eine immer noch defizitäre Versorgungsstruktur für diese Störungsbilder. Viele Behandler*innen haben Unsicherheiten im Umgang mit Verhaltenssüchten aufgrund mangelnder störungsspezifischer Kenntnisse. Daher sind wir der Einladung der Herausgeber*innen, ein Heft zum Thema Verhaltenssüchte zu gestalten, sehr gern gefolgt.

Das Heft beginnt mit zwei einführenden Beiträgen. In der eher grundlagenorientierten Arbeit von Brand werden verschiedene Störungsmodelle von Verhaltenssüchten beschrieben. Solche Modelle stellen nicht nur Erklärungsversuche dar, um die Mechanismen der Entstehung und Aufrechterhaltung von Verhaltenssüchten besser zu verstehen. Sie dienen auch zur Ableitung klinischer Implikationen. Im zweiten Beitrag informieren wir über die Entwicklung des Verhaltenssuchtkonzepts bis zur heutigen Verankerung der Verhaltenssüchte in den gängigen Klassifikationssystemen und stellen die Störungsbilder vor, bei denen eine Einordnung als Verhaltenssucht aufgrund empirischer Daten nahegelegt wird. Die nächsten vier empirischen Arbeiten adressieren spezifische Aspekte einzelner Verhaltenssüchte. Wernicke und Montag haben Zusammenhänge zwischen elterlichem und kindlichem Computer- und Videospielen („gaming“) untersucht. Daneben haben sie sich mit einem möglichen Einfluss von Symptomen der Aufmerksamkeitsdefizit‑/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) auf das kindliche Gaming beschäftigt. Der Beitrag von Engel et al. behandelt die Frage, inwiefern sich Männer mit zwanghaftem Sexualverhalten von Kontrollpersonen bezüglich der Erregbarkeit durch sexuelle Grenzüberschreitungen und paraphile Interessen unterscheiden. Die Arbeit von Laskowski et al. widmet sich der bekanntermaßen hohen psychischen Komorbidität sowie traumatischen Kindheitserfahrungen bei Kaufsucht. Im Gegensatz zu den meisten bisherigen Studien verglichen sie Patient*innen mit Kaufsucht allerdings nicht mit einer gesunden Kontrollgruppe, sondern mit Menschen, die sich wegen anderer psychischer Störungen in Psychotherapie befanden. Im nächsten Beitrag geht es um das Thema „Social-media“-Sucht. Wegmann et al. stellen experimentelle Ergebnisse zur Relevanz zentraler affektiver und kognitiver Mechanismen vor, die sie bei Personen untersucht haben, die soziale Netzwerke wie WhatsApp, Instagram, Twitter, Facebook, iMessage, Threema oder Snapchat nutzen. Das Heft schließt mit einem Fall aus der Praxis ab. Georgiadou et al. geben einen Einblick in ihre therapeutische Arbeit und berichten über schwierige Situationen in der Behandlung eines Mannes mit Glücksspielsucht und komorbider narzisstischer Persönlichkeitsstörung.

Wir bedanken uns sehr herzlich bei allen Autor*innen und hoffen, mit diesem Themenheft Ihre Aufmerksamkeit auf das noch neue, aber zunehmend an Bedeutung gewinnende Thema Verhaltenssüchte zu lenken.

Astrid Müller und Rudolf Stark