Zusammenfassung
Hintergrund
Seit Ende 2015 ist eine Kombination von Einzel- und Gruppentherapie auch im Rahmen der psychoanalytisch begründeten Verfahren möglich, da praktisch keine wissenschaftlichen Studien existieren, die eine fortwährende Ablehnung der Kombinierbarkeit rechtfertigen würden. Allerdings mangelt es gleichermaßen an empirischen Belegen, die für eine Befürwortung dieses Behandlungsansatzes sprechen.
Fragestellung
Welche Argumente lassen sich für oder gegen die Zulassung der Kombinierbarkeit der Verfahren identifizieren? Wie wird Kombinationstherapie im Rahmen der ambulanten Versorgung von Patienten beurteilt?
Methoden
Diskussion relevanter Literatur und Befragung von Patienten einer ambulanten Praxis mithilfe eines Onlinefragebogens. Von 78 angeschriebenen Patienten, die zwischen 2002 und 2017 verschiedene Formen der Kombinationstherapie erfahren hatten, beteiligten sich 50 an der Umfrage.
Ergebnisse
Die diskutierte Literatur lässt eine Befürwortung der Kombinierbarkeit erkennen. Die Ergebnisse der Patientenbefragung weisen ebenfalls in diese Richtung und zeigen, dass die Kombination aus tiefenpsychologisch fundierter Einzel- und Gruppenpsychotherapie überwiegend als Bereicherung beurteilt wird. Dies drückt sich insbesondere in zahlreichen Kommentaren aus, die auf eine Stärkung der therapeutischen Beziehung schließen lassen. Die Möglichkeit, im Einzelsetting Themen zu besprechen, für die in der Gruppe kein Platz war, wurde von allen Patienten geschätzt. Es zeigte sich, dass insbesondere dem Nachbesprechen eine wichtige Rolle zugewiesen wurde. Sofern Neid und Konkurrenz hinsichtlich der Beziehung zum Therapeuten auftauchten, wurde die Auseinandersetzung damit von den Betroffenen überwiegend als entwicklungsförderlich betrachtet. Häufig wurde auch die Einzeltherapie als bereichert erlebt, da in der Gruppe Themen auftauchten, die in der Einzeltherapie so nicht sichtbar geworden wären. Insgesamt fiel das grundsätzliche Urteil über die Kombinierbarkeit der Behandlungsmodalitäten sehr positiv aus.
Schlussfolgerung
Trotz methodischer Einschränkungen liefert die vorliegende Patientenbefragung Hinweise auf die Produktivität von kombinierter Einzel- und Gruppentherapie.
Abstract
Background
Since the end of 2015 a combination of individual and group psychotherapy has also been possible in the context of psychodynamic treatment, as there are virtually no scientific studies that would justify a continual rejection of combinability; however, there is also a lack of empirical evidence supporting this treatment approach.
Objective
What arguments can be identified for or against the approval of the combinability of treatment modalities? How is combination therapy assessed by patients in the context of outpatient care?
Methods
Discussion of the relevant literature and interviewing of patients in an outpatient practice using an online questionnaire. Out of 78 contacted patients who had received various forms of combination therapy between 2002 and 2017, 50 participated in the survey.
Results
From the literature reviewed, a support for combinability can be derived. The results of the patient survey also point in this direction and show that the combination of psychodynamic individual and group psychotherapy is predominantly regarded as an enrichment. This is expressed especially in numerous comments which suggest a strengthening of the therapeutic relationship. All patients appreciated the possibility of discussing subjects in an individual setting for which there was no room in the group setting. It became apparent that the individual follow-up session was considered particularly important. As far as the topics envy and competition regarding the therapeutic relationship emerged, discussing them was considered predominantly beneficial for personal development. In many cases, the individual therapy was experienced as enriched due to the emergence of certain relevant topics in the group that would not have easily become visible in the context of individual therapy alone. Altogether, the overall evaluation of the combination treatment was very positive.
Conclusion
Despite methodological limitations, the present patient survey provides indications of the productivity of combined individual and group therapy.
Notes
Fünf der sechs befragten Experten sprachen sich für eine Kombinierbarkeit von Einzel- und Gruppentherapie im Rahmen der psychoanalytisch begründeten Verfahren aus, während ein Experte, mit dem Hinweis auf fehlende Forschungsergebnisse, die eine Änderung der Richtlinien indizieren könnten, dies ablehnte. Darüber hinaus begrüßten sowohl die Bundesärztekammer als auch die Bundespsychotherapeutenkammer in schriftlichen Stellungnahmen ausdrücklich eine mögliche Änderung der Psychotherapie-Richtlinien in diesem Sinne. Im Rahmen der Literaturrecherche wurde in 13 der 14 als relevant erachteten Publikationen eine Kombinationsbehandlung befürwortet, wobei sich nur wenige vergleichende Studien darunter befanden. Eine Studie deutete auf eine Überlegenheit der Einzelpsychotherapie gegenüber der Kombination der Verfahren hin.
Bei allen folgenden Bezeichnungen, die auf Personen bezogen sind, repräsentiert die gewählte Formulierung beide Geschlechter, auch wenn aus Gründen der leichteren Lesbarkeit die männliche Form verwendet wird.
Eine vollständige Darstellung der Antworten ist auf Anfrage bei Dr. van Haren erhältlich.
Literatur
Billow RM (2009) The radical nature of combined psychotherapy. Int J Group Psychother 59(1):1–28. https://doi.org/10.1521/ijgp.2009.59.1.1
Bormann B, Burlingame GM, Strauß B (2011) Der Gruppenfragebogen (GQ-D): Instrument zur Messung von therapeutischen Beziehungen in der Gruppenpsychotherapie. Psychotherapeut 56(4):297–309. https://doi.org/10.1007/s00278-011-0841-4
Ermann M (2016) Kombination von Gruppen- und Einzeltherapie nach der Änderung der Psychotherapie-Richtlinie. Psychodyn Psychother 15(3):172–178. https://doi.org/10.1007/s00451-016-0238-7
Faber FR, Haarstrick R (1989) Kommentar Psychotherapie-Richtlinien, 1. Aufl. Jungjohann, Neckarsulm, S 43
Gemeinsamer Bundesausschuss (2015) Tragende Gründe zum Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses über eine Änderung der Psychotherapie-Richtlinie: Kombinierbarkeit von Einzel- und Gruppentherapie im Rahmen der psychoanalytisch begründeten Verfahren. BAnz AT 15. Okt. 2015 B3.
Hirsch M (2016) Die Kombination psychoanalytisch orientierter Einzel- und Gruppentherapie in der ambulanten Behandlung. Psychodyn Psychother 15(3):131–139
Horwitz L (1977) Group psychotherapy of the borderline patient. In: Hartocollis P (Hrsg) Borderline personality disorders: The concept, the syndrome, the patient. International Universities Press, Oxford, S 420
Kemper W (1964) Das Problem der Gleichzeitigkeit von Individual- und Gruppenanalyse. Psyche 18(5):314–320
Marmarosh CL, Markin RD, Spiegel EB (2013) Attachment in group psychotherapy. American Psychological Association, Washington https://doi.org/10.1037/14186-000
Mattke D (2011) Psychodynamische Gruppenpsychotherapie: Indikation, Komposition und Vorbereitung. Psychotherapeut 56(5):437–448. https://doi.org/10.1007/s00278-011-0844-1
Phillips SB (2009) The synergy of group and individual treatment modalities in the aftermath of disaster and unfolding trauma. Int J Group Psychother 59(1):85–107. https://doi.org/10.1521/ijgp.2009.59.1.85
Raps CS (2009) The necessity of combined therapy in the treatment of shame: A case report. Int J Group Psychother 59(1):67–84. https://doi.org/10.1521/ijgp.2009.59.1.67
Roth BE (2009) Some problems with treatment: Destructive enactments in combined therapy. Int J Group Psychother 59(1):47–66. https://doi.org/10.1521/ijgp.2009.59.1.47
Schermer VL (2009) On the vicissitudes of combining individual and group psychotherapy. Int J Group Psychother 59(1):149–162. https://doi.org/10.1521/ijgp.2009.59.1.149
Seidler C, Horzetzky F‑A (2011) Warum bei uns in der Selbsterfahrung Einzel- und Gruppenanalyse zusammengehören. Gruppenpsychother Gruppendynamik 47(3):167–191. https://doi.org/10.13109/grup.2011.47.3.167
Semmler K (2016) Kombinierte Einzel- und Gruppenpsychotherapie im Spannungsfeld zwischen Arbeitsbündnis und Übertragungsagieren. Psychodyn Psychother 15(3):140–149
Staats H (2012) Ambulante analytische Einzel- und Gruppenpsychotherapie. In: Schlösser A, Gerlach A (Hrsg) Grenzen überschreiten – Unterschiede integrieren. Psychoanalytische Psychotherapie im Wandel. Psychosozialverlag, Gießen
Staats H (2014) Einzel- und Gruppenpsychotherapien kombinieren und verbinden. In: Staats H, Dally A, Bolm T (Hrsg) Gruppenpsychotherapie und Gruppenanalyse. Ein Lehr- und Lernbuch für Klinik und Praxis. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen
Strauß B (2016) Die Kombination von Einzel- und Gruppenpsychotherapie aus der Sicht der Psychotherapieforschung. Psychodyn Psychother 15(3):160–171
Streeck U (2016) Selbstregulierung und Beziehungsgestaltung: Zur Kombination von Gruppen- und Einzeltherapie in der Behandlung von „Störungen des Sozialen“. Psychodyn Psychother 15(3):150–159
Türk D (2016) Kombinierte und parallele Einzel- und Gruppentherapie – immer noch ein rotes Tuch? Gruppenpsychother Gruppendynamik 52(4):330–343. https://doi.org/10.13109/grup.2016.52.4.330
Van Haren W (2014) (Therapie)Krisen in der Gruppe. Positive Negativerfahrungen. Psychotherapeut 59:52–56
Whittingham M (2015) Focus brief group psychotherapy. In: Neukrug ES (Hrsg) The Sage encyclopedia of theory in counseling and psychotherapy, Bd. 1–2. SAGE, Thousand Oaks
Yalom ID (2001) Theorie und Praxis der Gruppenpsychotherapie. Ein Lehrbuch, 6. Aufl. Klett-Cotta, Stuttgart
Author information
Authors and Affiliations
Corresponding author
Ethics declarations
Interessenkonflikt
W. van Haren und M. Willweber geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Dieser Beitrag beinhaltet keine von den Autoren durchgeführten Studien an Menschen oder Tieren.
Additional information
Redaktion
Bernhard Strauß, Jena
Anhang
Anhang
Fragebogen Kombinationsbehandlung
-
1.1
Welche Art der Therapie haben Sie erhalten?
-
2.1
Inwiefern hat die Kombination der Therapieverfahren in Ihren Augen die Beziehung zum Therapeuten verändert?
-
2.2
Persönliche Anmerkungen (optional)
-
3.1
Inwiefern haben Sie die Möglichkeit genutzt, in der Einzelsitzung persönliche Themen zu besprechen, für die in der Gruppe kein Platz war?
-
3.2
Wenn Sie diese Möglichkeit genutzt haben, um welche Themen ging es dabei? (Optional)
-
4.1
Wie hilfreich war für Sie grundsätzlich die Möglichkeit, in Einzelsitzungen Themen vorzubesprechen, um sie anschließend in die Gruppe einbringen zu können?
-
4.2
Persönliche Anmerkungen (optional)
-
5.1
Wie hilfreich war für Sie grundsätzlich die Möglichkeit, Themen aus der Gruppe in Einzelsitzungen nachbesprechen zu können?
-
5.2
Persönliche Anmerkungen (optional)
-
6.1
Inwiefern haben Sie während der Gruppentherapie schambesetzte Themen bzw. Situationen erlebt?
-
6.2
Wenn Sie diese Themen bzw. Situationen erlebt haben, wie haben Sie die Möglichkeit empfunden, hierüber mit dem Therapeuten in Einzelsitzungen sprechen zu können? (Optional)
-
7.1
Inwiefern haben Sie während der Gruppentherapie angstauslösende Themen bzw. Situationen erlebt?
-
7.2
Wenn Sie diese Themen bzw. Situationen erlebt haben, wie haben Sie die Möglichkeit empfunden, hierüber mit dem Therapeuten in Einzelsitzungen sprechen zu können? (Optional)
-
8.1
Inwiefern haben Sie während der Gruppentherapie persönliche Krisen erlebt?
-
8.2
Wenn Sie diese Themen bzw. Situationen erlebt haben, wie haben Sie die Möglichkeit empfunden, hierüber mit dem Therapeuten in Einzelsitzungen sprechen zu können? (Optional)
-
9.1
Inwiefern haben Sie das Thema Neid und Konkurrenz bezüglich der Beziehung zum Therapeuten in der Gruppe erlebt?
-
9.2
Wenn Sie dieses Thema erlebt haben, wie haben Sie dies für Ihre persönliche Entwicklung im Rahmen der Therapie empfunden? (Optional)
-
10.1
Inwiefern sind Ihnen noch weitere positive oder negative Aspekte im Rahmen der Kombination von Einzel- und Gruppentherapie aufgefallen? (Optional)
-
11.1
Würden Sie diese Art der Kombinationsbehandlung einem Freund/einer Freundin als hilfreich und effektiv empfehlen, wenn diese/r Hilfe bräuchte?
-
11.2
Persönliche Anmerkungen (optional)
Rights and permissions
About this article
Cite this article
van Haren, W., Willweber, M. Kombinierbarkeit von Einzel- und Gruppentherapie im Rahmen der psychoanalytisch begründeten Verfahren. Psychotherapeut 63, 491–500 (2018). https://doi.org/10.1007/s00278-018-0296-y
Published:
Issue Date:
DOI: https://doi.org/10.1007/s00278-018-0296-y
Schlüsselwörter
- Psychodynamische Psychotherapie
- Psychotherapeutische Prozesse
- Therapeut-Patient-Beziehung
- Behandlungswirksamkeit
- Literaturreview