Konzeptualisierung und Behandlung von Angst sind und waren zwei der zentralen Forschungsthemen im Bereich klinische Psychologie und Psychotherapie – entsprechend häufig ist das Thema bereits in verschiedensten Publikationen behandelt worden. Angst oder Furcht stellt eben nicht nur ein Kernsymptom der Angststörungen im engeren Sinn dar, sondern kann auch bei anderen psychischen Störungen oder körperlichen Krankheiten von großer Relevanz sein. Im vorliegenden Heft wird aus unserer Sicht deutlich, dass das Thema nach wie vor von seiner Faszination wenig verloren hat, auch wenn die Forschung zunehmend in Randbereiche der Phänomenologie vorzudringen beginnt. Entsprechend behandeln die Beiträge in diesem Heft die Konzeptualisierung und Therapie der Angstproblematik aus unterschiedlichsten Perspektiven – diese schließen die verschiedenen Indikationsgebiete ebenso wie unterschiedliche theoretische Fundierungen oder auch eine transdiagnostische Perspektive ein.

Perspektiven der Konzeptualisierung und Therapie von Angst

In ihrer Übersichtsarbeit stellen Böttcher et al. die Grundlagen, das Vorgehen und die vorliegende Evidenz des im deutschen Sprachraum noch nicht durchgängig bekannten „unified protocol“ (Barlow et al. 2018) dar. Das Unified protocol wurde von Barlow u. a. aus der Sorge heraus entwickelt, dass Praktiker mit der Vielfalt von Behandlungsmanualen, die für die verschiedenen Angst- und affektiven Störungen entwickelt wurden, nicht zurechtkommen würden. In der Hoffnung, dadurch die Dissemination von evidenzbasierten Behandlungen zu verbessern, sollte ein neuer und explizit transdiagnostischer Ansatz Geltung für verschiedene psychische Störungen haben, deren Gemeinsamkeiten u. a. im dysfunktionalen Umgang mit aversiven Gefühlen (wie beispielsweise ihrer Vermeidung) vermutet werden. Ein weiterer Vorteil eines solchen transdiagnostischen Ansatzes wird darüber hinaus in der damit möglichen Behandlung von mehreren komorbiden Störungen mit einem Behandlungsmanual gesehen. Die wichtigste Intervention dieses Ansatzes stellt die Exposition von Situationen, Gefühlen und damit einhergehenden internalen Prozessen dar. Dabei wird angenommen, dass deren bisherige Vermeidung zentral für die Aufrechterhaltung der jeweiligen emotionalen Störung sei. Ganz deutlich sind hier die Wurzeln in der verhaltenstherapeutischen Angstbehandlung zu erkennen – allerdings in ihrer Anwendung nicht auf Angst begrenzt. Ergänzende Interventionen zu Achtsamkeit und Verbesserung der kognitiven Flexibilität machen jedoch auch deutlich, dass der Ansatz nicht auf die klassische Verhaltenstherapie begrenzt bleibt. Belastbare Befunde zur positiven Wirkung des Manuals liegen für den Bereich der Angststörungen bereits vor; für weitere emotionale Störungen sind Studien noch wünschenswert. Der Beitrag von Böttcher et al. bietet eine ausgewogene Diskussion der Potenziale und möglicher Risiken dieses Ansatzes.

Ein weiterer Beitrag widmet sich der Expositionstherapie, die hier von Gropalis et al. in einer adaptierten Variante als zentrale Intervention in der Behandlung pathologischer Krankheitsängste begründet wird. Pathologische Krankheitsängste stellen definitionsgemäß ein Kernmerkmal der Hypochondrie (nach ICD-10Footnote 1) dar, sind jedoch auch häufig bei anderen somatoformen Störungen zu beobachten. Nach der in DSM-5Footnote 2 geschaffenen Kategorie der somatischen Belastungsstörung und verwandten Störungen (die die Kategorie der somatoformen Störungen hier ablöst) werden die „Krankheitsangststörung“ und die „somatische Belastungsstörung“ differenziert. Bei beiden Störungen sind jedoch Ängste in Bezug auf Gesundheit bzw. Krankheit oder im Hinblick auf spezifische Symptome oft zentrale Symptome. Die Autoren leiten u. a. auf Basis der nosologischen Ähnlichkeiten zwischen Hypochondrie und den Angststörungen im engeren Sinn ab, dass die Exposition in der Therapie pathologischer Krankheitsängste eine stärkere Rolle als bisher einnehmen sollte. Im Zentrum des vorgestellten Behandlungsansatzes steht die Ermöglichung neuer Lernerfahrungen durch „Erwartungswiderlegung mithilfe von möglichst vielfältigen und überraschenden“ Expositionsübungen. Damit wird ein direkter Bezug zu dem aktuellen Konzept des inhibitorischen Lernens („inhibitory learning“) als Wirkmechanismus von Expositionsverfahren nach Craske et al. (2008) hergestellt. Konzeptuell sehr interessant ist auch die Verbindung zu ganz aktuell in der Diskussion befindlichen neuen Erklärungskonzepten für persistierende körperliche Beschwerdeempfindungen („predictive coding model“; Van den Bergh et al. 2017). Für die Praxis liefert der Beitrag darüber hinaus konkrete Hinweise zur Gestaltung der Therapie. Zukünftige Forschungsarbeiten müssen gleichwohl zeigen, ob sich damit die Wirkung von kognitiven Verhaltenstherapien tatsächlich über die bislang nur moderaten Effektstärken hin weitersteigern lässt, und welche Prozesse für die Verbesserung von Angst und die Reduktion des Vermeidungs- bzw. Sicherheitsverhaltens verantwortlich sind.

Ängste vor dem Fortschreiten einer Krebserkrankung sowie Ängste allgemein gehören zu den Themen, für die sich an Krebs erkrankte Personen am häufigsten Unterstützung durch die Psychoonkologie wünschen. Dies ist angesichts der akuten Bedrohung des Lebens durch die körperliche Erkrankung gut nachvollziehbar, stellt aber die Psychoonkologie im Hinblick auf die Beurteilung und Behandlung der mit Krebs assoziierten Ängste vor eine besondere Herausforderung. In ihrem Übersichtsbeitrag mit dem Titel „Angst und Emotionsregulation bei Krebspatienten“ fassen Bussmann et al. das weite Feld der Angstforschung in der Psychoonkologie zusammen. Die Autoren verdeutlichen den möglichen Gewinn der Verwendung des Emotionsregulationsmodells (Gross und Thompson 2007) im Rahmen der Konzeptualisierung von Ängsten bei Krebs und einer daraus abgeleiteten Indikationsstellung. Dabei wird deutlich, wie viele mit der Erkrankung in ihren verschiedenen Stadien notwendigen Anpassungen die Betroffen zu leisten haben und an welcher Stelle eine gute Kenntnis der vielfältigen Emotionsregulationsmöglichkeiten für die Patienten gewinnbringend eingesetzt werden könnte.

Gut dokumentiert ist, dass Angststörungen nicht nur mit intensivem Leiden verbunden sind, sondern die Betroffenen selbst oftmals erhebliche Beeinträchtigungen in der Wahrnehmung ihrer sozialen, beruflichen oder emotionalen Rollenfunktionen aufweisen. Demgegenüber ist weniger über die unmittelbare Auswirkung der Angststörungen auf Partner oder andere Familienangehörige bekannt. Noch weniger erforschst ist die Auswirkung einer Angsttherapie auf die von den Bezugspersonen erlebte Belastung und Beeinträchtigung. Die Studie von Hunger et al. versucht, diese Lücke zu füllen, indem sie den Einfluss von Psychotherapie für erwachsene Patienten mit sozialer Angststörung auf die Belastung wichtiger Bezugspersonen untersucht. Basis stellt die randomisierte kontrollierte Pilotstudie zum Vergleich kognitiver Verhaltenstherapie und systemischer Psychotherapie (SOPHO-CBT/ST) dar. Infolge beider Therapieformen nahm die Belastung seitens der Angehörigen in einem relevanten Maß ab und zwar ohne, dass sich die beiden Behandlungsgruppen in diesem Punkt unterschieden. Bei der Bewertung der Ergebnisse ist zu beachten, dass die Power einer Pilotstudie Grenzen setzt, um differenzielle Effekte aufdecken zu können. Gleichwohl ist es interessant, dass diese Symptomreduktion bei Angehörigen in beiden Formen zu beobachten ist, obwohl in der kognitiven Verhaltenstherapie ausschließlich mit dem Betroffenen gearbeitet wurde, während in der systemischen Therapie mehrere Angehörigentermine vorgesehen waren. Die Autoren diskutieren diese Ergebnisse im Rahmen eines Veränderungsmodells sozialer Systeme nach Intervention mit (überwiegend) nur einem physisch anwesenden Mitglied (Patient) des betroffenen sozialen Systems (Hunger et al.).

Die Falldarstellung schließlich greift ein zentrales Problem vieler Therapien auf: Häufig leiden Patienten nicht nur an einer, sondern an mehreren psychischen Störungen. Die Probleme, die sich durch Komorbidität ergeben, sind in den letzten Jahrzehnten zu selten angesprochen worden. Klinische Erfahrung empfiehlt üblicherweise eine Bearbeitung der einzelnen Störungen in Sequenz – meist in der Hoffnung, dass z. B. eine leichte depressive Episode bei Behandlung einer primären Angststörung in Folge ohne direkte Intervention remittiert. Falls sich ein solcher Behandlungserfolg nicht einstellen sollte, wird dann mit der Behandlung der komorbiden Störung fortgefahren. In der Falldarstellung von Knuppertz wird deutlich, dass Komorbidität manchmal sogar dazu führen kann, dass bereits die Behandlung der zuerst in den Fokus genommenen Störung behindert werden kann. Die funktionale Analyse der Interaktion zwischen primärer und sekundärer Störung hat sich im vorliegenden Fall als zielführend herausgestellt. Interessant wird der Fall auch dadurch, dass er die erfolgreiche Kombination von einem Dritte-Welle-Verfahren (Cognitive Behavioral Analysis System of Psychotherapy, CBASP) bei chronischer Depression mit einer klassisch-kognitiven Therapie nach Clark und Wells (bei sozialer Angststörung) illustriert (Clark und Wells 1995, Clark et al. 2003). Unterstrichen werden damit die vielfältigen Möglichkeiten in der Praxis, die sich durch die Kombination einer funktionalen Analyse mit der Kenntnis verschiedenster spezifischer Behandlungsansätze eröffnen können.

Angst steht nicht nur im Fokus von Forschung, sondern auch für viele Patienten im Zentrum ihres Leids. Dieses Gefühl besser zu verstehen, die Grenzen seiner Funktionalität auszuloten, ist entsprechend wichtig. In der Behandlung der Angststörungen kommt der wissenschaftlich fundierten Psychotherapie ein hoher Stellenwert zu (Leitlinienempfehlungen der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften, AWMF; Bandelow et al. 2014). Zugleich ist es wichtig, das Verständnis für die im Rahmen der Angstbehandlung stattfindenden Veränderungsprozesse weiterzuvertiefen und therapeutische Weiterentwicklungen in die Diskussion zwischen Forschung und Praxis einzubringen. Wir hoffen, mit unserem Themenheft der Zeitschrift Psychotherapeut einen kleinen Beitrag zu diesem Bemühen geleistet zu haben.