Zusammenfassung
Hintergrund
Psychische Störungen von Kindern stehen in Wechselwirkung mit dem familiären Umfeld. Insofern ist wichtig, wie die Familienbeziehungen von den Beteiligten wahrgenommen werden. Da Kinder sprachlich und im Hinblick auf ihre Lese-/Schreibfähigkeiten noch eingeschränkt sind, bietet gerade die Diagnostik mithilfe von Spielfiguren besondere Möglichkeiten. Das neu entwickelte diagnostische Verfahren „Familienskulptur mit Playmobilfiguren (FSPlay)“ eröffnet neue Möglichkeiten der Diagnostik der aus kindlicher Sicht erlebten Familienbeziehungen.
Ziel der Arbeit
In der vorliegenden Studie wurde überprüft, ob es Kindern, die wegen psychischer Probleme einer Fachambulanz vorgestellt wurden, gelingt, ihre familiären Beziehungen und diesbezügliche Veränderungswünsche im Familiensystem darzustellen.
Material und Methode
Hierzu wurde das neu entwickelte diagnostische Verfahren „Familienskulptur mit Playmobilfiguren (FSPlay)“ eingesetzt, das sich an der Familiensystemtheorie, der Bindungstheorie, der systemischen Therapie und etablierten Figurenplatzierungsverfahren (Family System Test [FAST]; Kvebaek Family System Test [KFST]) orientiert. Im Rahmen einer Querschnittsstudie gestalteten 30 Kinder eine Skulptur zu ihrer aktuellen Familie und den von ihnen gewünschten Änderungen im Familiensystem. Die Skulpturen wurden fotografiert und mithilfe eines adaptierten Kategoriensystems codiert (Figurenkategorien: Spontaneität der Platzierung; Erhöhung von Figuren, Position auf dem Spielbrett, inhaltsanalytisch: Art der gewünschten Änderungen). Daten zur Befindlichkeit sowie zur Einschätzung der Beziehungen zu Mutter und Vater wurden ebenfalls mithilfe des „Fragebogenheft für Kinder und Jugendliche ab 10 Jahre vor der Beratung“ von Wiegand-Grefe erhoben.
Ergebnisse
Bei allen teilnehmenden Kindern konnten die FSPlay-Daten problemlos erfasst werden. Die Kinder konnten sich sehr schnell und gut auf die ihnen bekannten Spielfiguren einlassen. Sie konnten differenziert Konflikte mit und Sorgen um einzelne Personen in den Aufstellungen darstellen. Es werden deskriptive Daten, erste Befunde zur „Cross-method“-Reliabilität sowie zwei Einzelfalldarstellungen beschrieben. Die Kinder stellten ihre Situation in den Fragebogen-Daten positiver als in den FSPlay-Daten dar. Dies könnte bedeuten, dass die FSPlay-Befunde weniger stark durch soziale Erwünschtheit beeinflusst sind.
Schlussfolgerungen
Das FSPlay lässt sich sowohl bei Erwachsenen als auch bei Kindern und Jugendlichen in unterschiedlichen Settings (Diagnostik; Einzel-, Paar- und Familientherapie) unkompliziert nutzen. Es eröffnet neue Möglichkeiten der Diagnostik der aus kindlicher Sicht erlebten Familienbeziehungen.
Abstract
Background
Mental disorders of children interact with the familial environment. Therefore, it is important to understand how family relationships are perceived by those involved. Because children are limited in their speaking, reading and writing abilities, diagnostics with play figures provides special opportunities.
Objective
This study explores if children with mental problems can depict their subjective family relationships and wishes for changes in the family system with a new family sculpture method.
Material and methods
The new diagnostic measure „Family Sculpture with Playmobile Pieces (FSPlay)“ was applied. Similar to established figure placement techniques (Family System Test: FAST; Kvebaek Family System Test: KFST), the theoretic background of FSPlay is family systems theory, systemic therapy and attachment theory. As part of a cross-sectional study, 30 children (patients of a psychotherapeutic ambulance) sculpted two FSPlay-Sculptures each: their actual family and their ideal family (changed according to the wishes of the child). The sculptures were photographed and coded according to a newly adapted category system (figure-categories: spontaneity of placement; height of figures; position on the board; content analysis: type of the desired change). Mental state data and evaluations of the relationship of the child to mother an to father were also assessed via questionnaire („Fragebogenheft für Kinder und Jugendliche ab 10 Jahre vor der Beratung“; Wiegand-Grefe, 2008).
Results
All young participants provided FSPlay data without any problems. The children quickly identified with the well-known play figures. They could depict conflicts with and worries about other family members. The children depicted their situation in the questionnaire data more positive than in the FSPlay data. This could imply that FSPlay results are influenced by social desirability to a lesser degree.
Conclusion
FSPlay can be applied to adults as well as to children and adolescents in a variety of settings (e.g. diagnostics, individual, pair and family therapy). This opens new options for the diagnostics of family relationships from the perspective of children.
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Danksagung
Wir danken Prof. Dr. Schulte-Markwort (Altonaer Kinderkrankenhaus, Kinder- und Jugendpsychosomatik), den therapeutischen und nichttherapeutischen Mitarbeitern dort und am MVZ Blankenese sowie Frau Dr. Wiegand-Gräfe für ihre Unterstützung. Unser besonderer Dank gilt den teilnehmenden Kindern und ihren Eltern.
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Ethics declarations
Interessenkonflikt
Svenja Chehade und Kirsten von Sydow geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Alle im vorliegenden Manuskript beschriebenen Untersuchungen am Menschen wurden mit Zustimmung der zuständigen Ethikkommission, im Einklang mit nationalem Recht sowie gemäß der Deklaration von Helsinki von 1975 (in der aktuellen, überarbeiteten Fassung) durchgeführt. Von allen beteiligten Patienten liegt eine Einverständniserklärung vor. Alle Patienten, die über Bildmaterial oder anderweitige Angaben innerhalb des Manuskripts zu identifizieren sind, haben hierzu ihre schriftliche Einwilligung gegeben. Im Fall von nichtmündigen Patienten liegt die Einwilligung eines Erziehungsberechtigten oder des gesetzlich bestellten Betreuers vor.
Additional information
Redaktion
M. Cierpka, Heidelberg
B. Strauß, Jena
Appendices
Anhang A
Untersuchungsmaterial
Anhang B
FSPlay-Instruktionen
„Hier habe ich eine Schachtel mit unterschiedlichen Figuren – Männer, Frauen und auch verschiedene Kinder und Babys. Hier sind ebenso zwei Hunde, die Du benutzen kannst. Ein paar besondere Figuren habe ich auch mitgebracht, 2 Ritter, ein Gespenst, einen Vampir und einen Affen (Präsentation von Spielfiguren und Spielfeld).
Wenn Du möchtest, kannst Du Figuren auch auf einen oder mehrere dieser Klötzchen stellen“ (Demonstration der Klötzchen).
Skulptur I
„Ich möchte dich jetzt bitten, Deine Familie mit allen Figuren, die dazu gehören, auf diesem Feld aufzubauen. Du kannst dafür den gesamten Platz nutzen und selbst entscheiden, wo und wie die Figuren stehen sollen.“
(Das Kind wählt in Ruhe die entsprechenden Figuren aus und platziert sie auf dem Spielfeld. Es wird nachgefragt, falls wesentliche Figuren fehlen [selbst, Mutter, Vater, eine/r der 4 Großeltern:] „Kannst Du diese Figur (z. B. Vater) noch dazu stellen?“ „Hast Du das Gefühl, so stimmt Deine Familie jetzt, wenn Du Dir Deine Aufstellung ankuckst? Ist das Bild so richtig für Dich?“ [Dann wird das Kind gebeten zu benennen, welche Figur welches Familienmitglied darstellt, und diese Angaben werden auf einem Dokumentationsbogen festgehalten.] Im Anschluss wird die Skulptur aus der Perspektive des Kindes fotografiert und ebenso aus der Vogelperspektive festgehalten.)
Skulptur II
„Wenn Du jetzt die Möglichkeit hättest, etwas an Deiner Familie zu verändern, was wäre das? Du kannst Personen dazustellen oder wegnehmen. Ebenso kannst Du auch Figuren umstellen. Gibt es etwas, was Du ändern wollen würdest, wenn Du die Superkraft dazu hättest?“
(Auch diese Veränderungen werden dokumentiert und mit dem Fotoapparat aus 2 Perspektiven festgehalten.)
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Chehade, S., von Sydow, K. Familienskulptur mit FSPlay. Psychotherapeut 61, 407–415 (2016). https://doi.org/10.1007/s00278-016-0126-z
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Issue Date:
DOI: https://doi.org/10.1007/s00278-016-0126-z
Schlüsselwörter
- Familienskulptur
- Psychische Störungen
- Familiendiagnostik
- Kinder- und Jugendlichentherapie
- Systemische Therapie
- Figurenplatzierungsverfahren