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Psychotherapie als Weg zum Seelen-Enhancement?

Psychotherapy as a way to psycho-enhancement?

  • Schwerpunkt: Der optimierte Mensch - Originalien
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Zusammenfassung

Der weitverbreitete Selbstoptimierungstrend wird auf psychotherapeutischer Seite häufig psychologisch zu erklären versucht – als Ausdruck von Narzissmus. Tatsächlich ist der Umstand, dass Selbstoptimierung zu einem verbreiteten Imperativ geworden ist, erst vor dem Hintergrund der „Individualisierung der Lebensverhältnisse“ (Beck) verständlich. In der Psychotherapie sind die Grenzen zwischen Krankenbehandlung und Seelen-Enhancement zunehmend aufgeweicht. Mit Versprechungen, zu einem „glücklicheren und produktiveren Leben“, zu „geistigem Wohlbefinden“ oder „größerer Lebenszufriedenheit“ verhelfen zu können, stimmt Psychotherapie in den Selbstoptimierungschor ein. Nicht alle Optimierungsversuche beschränken sich darauf, Eigenschaften, die in der Person angelegt sind, verbessern zu wollen; andere, wie die Transhumanisten, wollen die menschliche Natur angesichts ihrer Unvollkommenheiten technologisch aufrüsten.

Abstract

Self-optimization is a widespread trend. Psychotherapists often attempt to psychologically explain self-optimization as a manifestation of narcissism. In reality the fact that self-optimization has become a contemporary imperative is only comprehensible against the background of the individualization of living conditions (Beck). In psychotherapy the boundaries between medical treatment of mental illnesses and enhancement of the psyche are increasingly becoming more flexible. By promising to be able to help on the road to a happier and more productive life, to mental well-being or more life satisfaction, psychotherapy joins the self-optimization chorus. Not all attempts at optimization are limited to wanting to improve those features which are inherent to a person: others, such as the transhumanists want to overcome the imperfections of man via technologically upgrading the human nature.

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Notes

  1. Girkinger (2013, S. 41) sieht darin eine Antwort auf Anforderungen des gegenwärtigen Arbeitsmarktes, der „starke Persönlichkeiten“ verlangt, die Eigeninitiative zeigen, stressresistent sind, teamorientiert und konfliktfähig, durchsetzungsstark und dynamisch, kreativ, optimistisch, selbstbewusst und sozial kompetent.

  2. Um „Achtsamkeit“ in den Alltag zu integrieren, wird beispielsweise empfohlen, sich unter der Dusche auf das wärmende Wasser zu konzentrieren, anstatt über die To-Do-Liste des Tages nachzudenken, oder beim Frühstücken seine Aufmerksamkeit auf den Geschmack des Essens zu fokussieren statt auf den Einkaufszettel oder auch auf dem Weg zur Arbeit beim Radfahren die frische Luft wahrzunehmen (http://alles-auf-anfang.net/achtsamkeit). Kritische Beobachter sehen in dem Achtsamkeits-Boom eine perfekte Ergänzung zur Erwartung von Leistungsbereitschaft und Disziplin neoliberaler Ideologien.

  3. Im Unterschied zu medizinischen Interventionen, die zu Vermeidung und Behandlung von Krankheiten eingesetzt werden, werden „Enhancement“ Interventionen genannt, mit der normal ausgeprägte menschliche Eigenschaften und Fähigkeiten gesteigert und verbessert werden sollen.

  4. Zusätzlich nimmt die Zahl psychischer Erkrankungen in den diagnostischen Klassifikationssystemen ständig weiter zu, weil die Grenzen des „psychisch Normalen“ immer enger gesteckt und entsprechend immer mehr psychische oder Verhaltensphänomene als pathologisch definiert werden.

  5. Die Definition von Gesundheit als Abwesenheit von Krankheit ist tautologisch und führt deshalb nicht wirklich weiter bei dem Versuch zu bestimmen, was Gesundheit eigentlich ausmacht.

  6. Die Zitate sind verschiedenen Beiträgen der Zeitschrift Ärztliche Psychotherapie 4/2015 entnommen.

  7. Diamond (2006) spricht vom „Zeitalter des Narzissmus“. Bereits viele Jahre zuvor hatte Lasch (1978) aus soziologischer Perspektive eine „culture of narcissism“ identifiziert.

  8. Die Erkenntnis, dass es den Narzissmus nicht ohne ein Objekt gibt und narzisstische Phänomene intersubjektive Phänomene sind, denen die Suche nach Anerkennung zugrunde liegt (Altmeyer 2000), hat sich erst in den letzten Jahren allmählich durchgesetzt.

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Interessenkonflikt

Ulrich Streeck gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht.

Dieser Beitrag beinhaltet keine Studien an Menschen oder Tieren.

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Redaktion

M. Cierpka, Heidelberg

V. Kast, St. Gallen

P. Henningsen, München

Überarbeitete Fassung eines Vortrags mit dem Titel „Optimierte Prozesse – optimierte Personen. Zum zeitgenössischen Imperativ Selbstoptimierung“ bei den 65. Lindauer Psychotherapiewochen am 13. April 2015.

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Streeck, U. Psychotherapie als Weg zum Seelen-Enhancement?. Psychotherapeut 61, 98–104 (2016). https://doi.org/10.1007/s00278-016-0084-5

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