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Optimize yourself!

Oder: Auf der Suche nach einer Bleibe für das beschädigte Leben

Optimize yourself!

Or: the search for an abode for damaged life

  • Schwerpunkt: Der optimierte Mensch - Originalien
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Psychotherapeut Aims and scope Submit manuscript

Zusammenfassung

Ganz und gar unzeitgemäß scheint es heute zu sein, sich für etwas, für sich, für den anderen Zeit zu nehmen. „Scheint“, weil dieses zu unterschreiben eigentlich schon bedeutet, sich dem Diktat des allgegenwärtigen Kapitalismus zu beugen. Der Soziologe Wilhelm Heitmeyer hat gemeinsam mit vielen Mitarbeitern eine 10 Jahre währende Studie über die „Deutschen Zustände“ abgeschlossen. Das soziale Ergebnis bezeichnet Heitmeyer als „rohe Bürgerlichkeit“. „Optimize yourself“ lautet also das Schlagwort, das sich in der erlauchten Gesellschaft des „unternehmerischen Selbst“ tummelt. Jeder kann sich zu solch einem Selbst gestalten, es bedarf nur einiger Optimierungs-, Empowerment- und Managementprogramme und des absoluten Glaubens an diese eigene Kraft. Soziale Kontakte stehen heute auf dem Prüfstand der Kosten-Nutzen-Kalkulationen. Das Ich wird zur Ware oder zum „Humankapital“. Der flexible Mensch ist gehalten, ständig Ballast abzuwerfen, sich von allem Alten, auch alten Werten zu trennen. Und wir, die Therapeuten, wo stehen wir da? Die therapeutai (gr.), die Diener Gottes oder die Helfenden mit Hauptsitz bei Alexandria am Mareotischen See tauchen erstmals in Philons Schrift De vita contemplativa auf. Sie gehörten zu einer Gruppe von Männern und Frauen, die dem beschädigten Leben Raum geben wollten. In dem Beitrag wird ein diesbezüglicher erster Versuch unternommen. Dabei wird es auch um die Frage gehen, ob die Psychotherapie sich als ein begrenzter und begrenzender Ort der Zeit und des Sozialen sowie auch als ein Ort für das beschädigte Leben erweisen kann oder gar muss. Damit wäre sie – in ökonomischen Kategorien gedacht - jedoch scheinbar unzeitgemäß; allein, dieses war sie seit ihrer Entstehung, von Beginn an.

Abstract

Nowadays, it appears to be completely anachronistic to take time for something, for oneself and for others. “Appears”, because to subscribe to this actually implies bowing to the diktats of the omnipresent capitalism. The sociologist Wilhelm Heitmeyer together with many collaborators completed a continuous study lasting over a period of 10 years on the “Deutschen Zustände” (German conditions). The social result was described by Heitmeyer as “raw bourgeoisie”. “Optimize yourself” is therefore the catch phrase, which is rampant in the illustrious circles of the “entrepreneurial self”. Everyone can become such a self, it only requires a few optimization, empowerment and management programs and the absolute belief in one’s own strength. Social contacts nowadays come under the scrutiny of cost-benefit calculations. The self becomes a commodity or “human capital”. The flexible person is expected to continuously discard ballast and to part company with everything old, even old values: and we the psychotherapists, where do we stand? The therapeutai (Gr.), the servants of the Deity or the devotees with their headquarters around Alexandria on the Mareotic lake, are first mentioned in Philo’s script De vita contemplativa. They belonged to a group of men and women who wanted to provide a place for damaged life. In this article an initial attempt is undertaken in this respect. This also includes the question of whether psychotherapy can or even must prove to be a confined and limiting place of time and social activities as well as also being a place for damaged life. In this case, thought of in economic categories, psychotherapy would however apparently be anachronistic, alone, but this has been so ever since its emergence, from the very beginning.

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Notes

  1. Das von Gary erwähnte Narcissistic Personality Inventory basiert auf dem DSM-III und Raskins und Terrys Items. Sie sehen 7 für diese Persönlichkeitsstruktur zentrale Faktoren: autoritäres Auftreten, Überheblichkeit, Eitelkeit, Exhibitionismus, Anspruchshaltung, ausnutzendes Verhalten und Selbstgerechtigkeit. Auf der erwähnten Skala muss man sich jeweils zwischen 2 Fragen entscheiden, und unten kommt die fertige Persönlichkeitsstruktur heraus.

  2. Siehe zum Beispiel: „Studie über Krankenversicherungen: Kassen verweigern Hunderttausenden Patienten Leistungen“, Süddeutsche Zeitung online, 19. August 2013; „Krankenkassen: Druck auf psychisch Kranke wächst“, von Jana Hauschild, Spiegel online, 13. Dezember 2013; „Beistand und Belästigung – wie Krankenkassen Grenzen übertreten“, Frankfurter Rundschau online, 20. Mai 2014.

  3. „… because they process an art of medicine more excellent than that in general use in cities (for that only heals bodies, but the other heals souls which are under the mastery of terrible and almost incurable diseases, which pleasures and appetites, fears and griefs, and covetousness, and follies, and injustice, and all the rest of the innumerable multitude of other passions and vices, have inflicted upon them) … “ (http://www.earlychristianwritings.com/yonge/book34.html).

  4. „Der Künstler Gunter Demnig erinnert an die Opfer der NS-Zeit, indem er vor ihrem letzten selbstgewählten Wohnort Gedenktafeln aus Messing ins Trottoir einlässt. Inzwischen liegen Stolpersteine in über 500 Orten Deutschlands und in mehreren Ländern Europas.“ (http://www.stolpersteine.eu)

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Correspondence to Diana Pflichthofer.

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Interessenkonflikt

Diana Pflichthofer gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht.

Dieser Beitrag beinhaltet keine Studien an Menschen oder Tieren.

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Redaktion

M. Cierpka, Heidelberg

B. Strauß, Jena

V. Kast, St. Gallen

P. Henningsen, München

Überarbeiteter Vortrag, gehalten anlässlich der Tagung 2014 der Deutschen Gesellschaft für Psychoanalyse, Psychotherapie, Psychosomatik und Tiefenpsychologie (DGPT). Der Beitrag wurde – mit einigen kleinen Änderungen −  2014 unter dem Titel „‚Optimize yourself!‘ oder: Auf der Suche nach einer Bleibe für das beschädigte Leben“ in dem Band „unzeitgemäßes“, hrsg. von Bernhard Janta, Susanne Walz-Pawlita und Beate Unruh, im Psychosozial-Verlag erstveröffentlicht. © Der Abdruck erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Psychosozial-Verlags, Gießen 2014. Wir bedanken uns herzlich für die Abdruckgenehmigung.

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Pflichthofer, D. Optimize yourself!. Psychotherapeut 61, 91–97 (2016). https://doi.org/10.1007/s00278-016-0083-6

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  • DOI: https://doi.org/10.1007/s00278-016-0083-6

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