Zusammenfassung
Die Entwicklung zu einem globalisierten Netzwerkkapitalismus hat die Alltagserfahrungen der Menschen nachhaltig verändert und sich auf deren Selbstbilder sowie Normalitätsvorstellungen ausgewirkt. Der neue Kapitalismus hat uns ein spezifisches Störungspanorama beschert, das allerdings im Sprachspiel der klinischen Diagnostik nicht in seinem gesellschaftlichen Rahmen benannt und eingeordnet werden kann. Hier liegt ein professionelles Reflexionsdefizit vor. Die Psychotherapie braucht eine Gesellschaftsdiagnostik und kann zu ihr beitragen. Es ist außerdem für sie notwendig, die therapeutisch-technische Handlungsebene durch eine kritisch-reflexive Achtsamkeit für die strukturellen Bedingungen menschlichen Lebens und Leidens zu entwickeln.
Abstract
The development into a globalized network capitalism has brought enduring change to everyday experiences of humans and affected their self-images and concepts of normality. The new capitalism offered us a specific disturbance panorama which, however, in the language game of clinical diagnostics cannot be named and classified in its social framework. Here is a gap in professional reflection. Psychotherapy needs social diagnostics and for its part can contribute to it. Moreover, it is necessary for psychotherapy to develop its therapeutic technical operating level by a critical alertness for the structural conditions of human life and human suffering.
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Keupp, H. Psychische Störungen und Psychotherapie in der spätmodernen Gesellschaft. Psychotherapeut 54, 130–138 (2009). https://doi.org/10.1007/s00278-009-0658-6
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