Zusammenfassung
Die Verstärkung von Primärprävention als Senkung der Eintrittswahrscheinlichkeit von Krankheiten ist angesichts der Dominanz chronisch-degenerativer Erkrankungen und der wachsenden Ungleichheit von Gesundheitschancen in reichen Industrieländern eine zentrale Herausforderung zeitgemäßer Gesundheitspolitik. Die heute dabei verwendeten Konzepte und Methoden haben historische Wurzeln, deren Kenntnis Anregungen für ihre Verbesserung und weitere Entwicklung liefern kann. Moderne Primärprävention senkt Gesundheitsbelastungen und fördert gesundheitsdienliche Ressourcen, sie arbeitet mit spezifischen und unspezifischen Interventionen, gibt der Veränderung der Kontexte von Krankheitsentstehung und belastendem Verhalten Priorität und ist partizipativ angelegt. Das gilt für Interventionen auf der Ebene des Individuums ebenso wie für solche in „settings“/Lebenswelten und für bevölkerungsweite bzw. zielgruppenspezifische Kampagnen. Eine Verbesserung der Qualitätssicherung ist notwendig. Das im Jahr 2005 gescheiterte Präventionsgesetz sollte zwar lediglich den Beitrag der Sozialversicherungsträger zu dieser anspruchsvollen, gesamtgesellschaftlichen Strategie regeln, enthielt aber Festlegungen im Hinblick auf Ziele, Instrumente, Zuständigkeiten und Ressourcen, die auch für den nächsten Anlauf der Gesetzgebung richtungweisend sein sollten.
Abstract
Given the growing predominance of chronic, degenerative diseases and the widening health gap based on socially determined inequalities, a stronger emphasis on primary prevention in health policy is needed. State-of-the-art concepts and methods of prevention and their historical development are the starting point for improving practice. The primary goal of modern prevention is the reduction of barriers to good health while simultaneously augmenting health resources – including not only factors with a direct connection to health outcomes, but also those further up on the causal pathway. Priority is given to changing determinants of health, particularly by participatory methods, including interventions at the individual, setting, and population levels. Improvements in quality management are an indispensable prerequisite for effective prevention. The proposed Federal Law on Primary Prevention in Germany, which failed to pass in 2005, focussed on regulating primary prevention in the scope of the existing social insurance system and included a description of goals, instruments for the implementation and monitoring of interventions, the responsibilities of the various stakeholders, and the acquisition, organization and distribution of resources. The proposed structures and mechanisms in this bill will likely be the basis for future attempts to pass a law on prevention at the national level in Germany.
Notes
Dafür hat sich der Begriff des Setting-Ansatzes eingebürgert.
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Rosenbrock, R., Kümpers, S. Zur Entwicklung von Konzepten und Methoden der Prävention. Psychotherapeut 51, 412–420 (2006). https://doi.org/10.1007/s00278-006-0511-0
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