2018 nahmen sich in Österreich 1209 Menschen selbst das Leben [1]. Bei Suiziden kommt entweder eine Suizidmethode zur Anwendung, oder es werden mehrere Methoden angewendet, was als „kombinierter Suizid“ bezeichnet wird. Die Kombination erfolgt dabei entweder primär geplant oder ergibt sich erst aus dem Handlungsablauf.

Pawellek berichtet in einer Fallstudie von 173 Suiziden, wobei bei 95 % zwei Suizidmethoden zum Einsatz kamen. Die dominierenden Methoden waren dabei Sturz aus großer Höhe, Ertrinken oder Erhängen jeweils in Kombination mit einer Medikamentenintoxikation. Eine eher untergeordnete Rolle spielte in diesem Kollektiv die Beibringung einer Kopfschussverletzung in Kombination mit einer Medikamentenintoxikation (5 von 173 Fällen). Generell lag die Zahl der Fälle mit Beeinträchtigung durch Arzneimittel bei 62 %, wobei der Großteil auf Wirkstoffe aus der Gruppe der Benzodiazepine zurückzuführen war. Dabei handelt es sich um Hypnotika, die anxiolytisch, sedativ-hypnotisch, muskelrelaxierend, antikonvulsiv sowie amnesiogen wirken [6].

Prinzipiell soll die Kombination von 2 oder mehr Methoden den sicheren Todeseintritt gewährleisten, beschleunigen und/oder schmerzfreier gestalten. Bei der Untersuchung solcher Todesfälle müssen die zeitliche Abfolge der Suizidmethoden und die Frage der evtl. beeinträchtigten Handlungsfähigkeit nach Einsatz der ersten Suizidmethode besonders beachtet werden [12].

Fallbericht

Vorgestellt wird der Fall eines 44 Jahre alt gewordenen Mannes, bei dem zunächst alles auf einen Suizid mittels Kopfschuss hindeutet. Aufgrund der Gegebenheiten am Vorfallsort kann ein Fremdverschulden nicht ausgeschlossen werden, daher wird seitens der Staatsanwaltschaft eine Obduktion angeordnet.

Einleitung

Der Leichnam wurde vollständig bekleidet und sitzend auf einem Klappstuhl auf einer ebenerdig zugänglichen Terrasse vorgefunden. Er wies eine blutende Verletzung am Hinterkopf auf. Links neben dem Leichnam lag eine Pistole Fabrikat Steyr M‑A1 Kaliber 9 mm (Abb. 1). Am Vorfallsort zeigten sich keine Einbruchsspuren oder Spuren eines Kampfes.

Abb. 1
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Am Vorfallsort sichergestellte Schusswaffe

Methodik

Ergebnisse der Obduktion

Die Leichenflecke waren vermindert ausgebildet. Am hohen Hinterkopf zeigte sich ein Ausschuss in Form einer sternförmigen Verletzung der Kopfschwarte (Abb. 2). An der Oberlippeninnenseite und am Lippenbändchen fanden sich kleinfleckige Einblutungen. Im Mund befand sich ein Blutgerinnsel. Der harte Gaumen wies einen lochartigen Defekt, umgeben von dunklen Einsprengungen, auf. Sonstige frische Verletzungen lagen nicht vor. An der rechten Hand befanden sich zwischen Daumen und Zeigefinger Blutauflagerungen, sowie „Backspatter“-Spritzspuren, die von körpernah nach körperfern verliefen. Am linken Handrücken lagen verwaschene Blutantragungen sowie am Daumenballen punktförmige Antragungen.

Abb. 2
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Sternförmige Ausschusswunde am Hinterkopf

In der hohen Hinterhauptsregion bestand ein Schädelbruch mit nach außen abgesprengten Knochenanteilen (Abb. 3). Das Hirngewebe war gemäß einem Schusskanal vom Gaumen zum Hinterkopf verlaufend aufgepflügt (Abb. 4). Die Sondierung des Schusskanals ergab einen Winkel von ca. 50–55 °C von vorne nach hinten ansteigend. In Speise- und Luftröhre befand sich reichlich Blut; die Hauptbronchien waren blutgefüllt. Die Luftembolieprobe beim Eröffnen der rechten Herzhälfte verlief positiv. An der Lunge ergaben sich Befunde einer Blutaspiration. Der Mageninhalt bestand aus etwa 20 ml schleimiger, gelb-grünlicher Flüssigkeit ohne offensichtliche Tablettenrückstände.

Abb. 3
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Schädelbruchlinien in der hohen Hinterhauptsregion mit nach außen abgesprengten Knochenanteilen

Abb. 4
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Aufgepflügtes Hirngewebe gemäß einem Schusskanal, vom Gaumen in Richtung Hinterhaupt verlaufend

Die Befunde waren mit einem suizidalen Mundschuss zwanglos in Einklang zu bringen.

Forensisch-toxikologische Analytik

Zur toxikologischen Analyse wurden im Rahmen der Obduktion peripheres Blut, Harn sowie Galle asserviert. Das Blut wurde im Zuge der Probenvorbereitung mit einem internen Standard versetzt, zentrifugiert und einer Festphasenextraktion unterzogen. Die rekonstituierten Proben wurden anschließend flüssigchromatographisch (MS/MS-Detektion) sowie gaschromatographisch-massenspektrometrisch einer quantitativen Analyse unterzogen. Die Harnproben wurden underivatisiert und acetyliert gas- und flüssigchromatographisch-massenspektrometrisch qualitativ analysiert. Auf eine toxikologische Untersuchung der Galle wurde primär verzichtet.

Ergebnisse

Im Rahmen der flüssigchromatographischen Untersuchung des Serums wurden die Schlaf- und Beruhigungsmittel, aus der Gruppe der Benzodiazepine, Diazepam (118 µg/l) sowie dessen Stoffwechselprodukt Nordazepam (31 µg/l) vorgefunden. Beide Konzentrationen lagen unter dem therapeutischen Bereich [9]. Gaschromatographisch wurden die Medikamentenwirkstoffe Tramadol (Schmerzmittel aus der Gruppe der Opioide, 400 µg/l, therapeutischer Bereich[18]), Metoclopramid (Antiemetikum, 100 µg/l, therapeutischer Bereich [19]) und Chloroquin (9900 µg/l, hochtoxischer Bereich [8]) nachgewiesen. Bei der Untersuchung der Harnprobe auf organische Wirkstoffe wurden qualitativ die Wirkstoffe Tramadol, Chloroquin und Metoclopramid nachgewiesen. Zusätzlich wurden die Wirkstoffe Temazepam, Coffein sowie Cotinin (Nikotinstoffwechselprodukt) detektiert. Die Bestimmungen von Blut- sowie Harnalkoholkonzentration ergaben jeweils 0,00 ‰.

Diskussion

Als Todesursache wird eine Kombination aus hohem Blutverlust mit einer venösen Luftembolie infolge des Mundschusses angenommen. Die hochtoxische, potenziell letale Serumkonzentration von Chloroquin, welche bei der toxikologischen Analyse festgestellt wurde, erhebt aber zusätzlich die Frage einer eingeschränkten, möglicherweise sogar aufgehobenen Handlungsfähigkeit. Tramadol und Benzodiazepine verstärken sich zudem gegenseitig in ihrer zentral dämpfenden Wirkung.

Die nachgewiesene Kombination der Wirkstoffe Chloroquin und Diazepam entspricht der „Methode nach Kusch“. Auch der Sterbehelfer Peter Puppe gibt in seinen Büchern diese Arzneimittelkombination als Methode für einen selbstbestimmten Tod an. Zusätzlich führt er in seiner Anleitung auch das Antiemetikum Metoclopramid zur „Vorbereitung des Magens“ an [13]. Auch dieses Medikament konnte bei dem vorgestellten Fall im Blutserum nachgewiesen werden. Aus den Ermittlungen der Polizei ging hervor, dass eine Internetrecherche zur tödlichen Dosis von Chloroquin und Diazepam am Laptop des Verstorbenen vorgenommen wurde. Es ist also denkbar, dass diese Suizidmethode in Betracht gezogen wurde bzw. gezielt nach einer Anleitung dazu gesucht wurde.

Aufgrund der langen Halbwertszeit von Chloroquin (1 bis 2 Wochen [7]) und Diazepam (> 20h [6]) wäre es grundsätzlich auch denkbar, dass die Einnahme der medikamentösen Wirkstoffe bereits einige Zeit vor dem Todeseintritt nicht zum „Erfolg“ geführt hat und es daher zum Gebrauch der Schusswaffe kam. Das Konzentrationsverhältnis zwischen Diazepam und Nordazepam deutet allerdings auf einen Konsum in näherem zeitlichem Zusammenhang zum Todeseintritt hin. Auch die therapeutische Konzentration von Metoclopramid im Blutserum, welches eine Halbwertszeit von wenigen Stunden aufweist, ist ein Indiz für einen todeszeitnäheren Medikamentenkonsum (außer dieses Medikament wurde zu einem späteren Zeitpunkt nochmals einzeln eingenommen) [6]. Es ist also wahrscheinlicher, dass diese beiden Methoden bewusst kombiniert wurden, um den Todeseintritt „abzusichern“.

Damit erhebt sich nach wie vor die Frage, ob der Mann in der Lage war selbst den tödlichen Schuss abzugeben, nachdem er eine potenziell letale Dosis Chloroquin in Kombination mit Diazepam eingenommen hatte. Folgt man der Anleitung von Puppe, dann solle diese Kombination innerhalb von wenigen Minuten bzw. schlagartig zur Bewusstlosigkeit führen [14].

Gleichwohl kann genau in dieser eingenommenen Wirkstoffkombination der Grund dafür liegen, dass eine Handlungsfähigkeit u. U. eben doch erhalten bleibt. Denn die kombinierte Einnahme dieser beiden Substanzen für einen Suizid erscheint widersprüchlich, da es einige Publikationen gibt, welchen zu entnehmen ist, dass eine akute Chloroquinintoxikation mit Diazepam erfolgreich behandelt werden kann [3, 15, 17, 21]. Diese kurative Wirkung von Diazepam scheint jedoch dosisabhängig zu sein. So beschreiben Crouzette et al. in-vivo-Experimente mit Ratten, die mit Chloroquin vergiftet und mit unterschiedlichen Konzentrationen von Diazepam behandelt wurden. Den Tieren wurden 330 mg/kgKG Chloroquin (entsprechend der LD 50) verabreicht, und anschließend wurden entweder 2,5 mg, 7,5 mg, 20 mg, 50 mg oder 148 mg Diazepam intraperitoneal appliziert. Dabei konnte festgestellt werden, dass die Mortalität bei Gabe von 20 mg/kgKG Diazepam am niedrigsten war [4]. Auch in der Notfallbehandlung von Chloroquinvergiftungen wird Diazepam als wichtiges „Antidot“ beschrieben [15].

Chloroquin wird sowohl zur Malariaprophylaxe wie auch zur Behandlung von rheumatischen Erkrankungen, wie beispielsweise Lupus erythematodes, eingesetzt. Im Zuge des Einsatzes von Chloroquin für diese Erkrankungen kam es immer wieder zum Auftreten von kardialen Nebenwirkungen. Es wurden beispielsweise Fälle von QT-Zeit-Verlängerungen beschrieben, welche zu einer lebensgefährlichen Arrhythmie des Herzens führen können [2, 10, 11]. Im Gegensatz dazu werden Diazepam kardioprotektive Eigenschaften zugesprochen. Shackebaei et al. beschreiben die Behandlung von hyperthyreotischen, ischämischen Rattenherzen mit unterschiedlichen Konzentrationen von Diazepam. Für die Einschätzung des myokardialen Schadens und der Erholungsrate nach 40-minütiger Ischämie mit anschließender 45-minütiger Reperfusion wurden folgende kardiale Parameter erfasst: linksventrikulärer Druck, Herzfrequenz, Flussrate der Herzkranzgefäße sowie das Druckratenprodukt. Die Ergebnisse zeigten, dass sich hyperthyreotische Rattenherzen schlechter erholten als Herzen der Kontrollgruppe. Eine zusätzliche Gabe von 1 mg/kgKG Diazepam führte allerdings zu einer vergleichbar guten Erholung wie in der Kontrollgruppe. Vermutet wird dabei, dass Diazepam als Phosphodiesterase-4-Inhibitor fungiert [16]. Phosphodiesterasen kommen in unterschiedlichen Geweben im Körper vor und spielen eine Rolle im Zellstoffwechsel sowie bei entzündlichen Prozessen. Phosphodiesterase-Inhibitoren wirken entzündungshemmend und kommen beispielsweise bei Erkrankungen wie COPD oder Asthma bronchiale zum Einsatz [20].

Die Inhibierung von Phosphodiesterase‑4 führt zur Blockade der Genexpression von Tumor-Nekrose-Faktor α (TNF-α). Shackebaei et al. vermuten, dass die Reduktion des TNF-α-Proteins das Herz vor einem Reperfusionsschaden schützt [16]. Bei einer akuten myokardialen Ischämie kann es zu einer Verlängerung des QT-Intervalls kommen, dasselbe gilt für eine Chloroquinintoxikation. Daher könnte der protektive Effekt von Diazepam auch auf dem oben beschriebenen Effekt beruhen. Wie bei Shackebaei et al. beschrieben, hat dabei eine Dosis von 1 mg/kgKG den besten Effekt. Bei einer 80 kg schweren Person würde das 80 mg Diazepam bedeuten, was allerdings stark von der für einen Suizid vorgeschlagenen Dosis von 500–1000 mg abweicht.

Auch gibt es Fallberichte, bei denen es wider Erwarten nicht zu einer Sedierung durch hohe Dosen Diazepam kommt, wenn der Wirkstoff in Kombination mit Chloroquin eingenommen wird, was die Wechselwirkung beider Substanzen verdeutlicht. Croes et al. berichten von einer Frau mit akuter Chloroquinüberdosis (Serumkonzentration 7870 µg/l), die mit 2 mg/kgKG Diazepam behandelt wurde. Entgegen der Erwartung blieb die Frau trotz einer hohen Plasmakonzentration von Diazepam und Nordazepam bei Bewusstsein. Die Autoren vermuten dabei einen antagonistischen Effekt von Chloroquin auf die sedierende Wirkung von Benzodiazepinen [3]. Auch Djelardje berichtet über einen Fall, bei dem ein Mann 5 g Chloroquin in Kombination mit 500 mg Diazepam eingenommen hat und keinerlei Symptomatik gezeigt habe [5].

Für den vorgestellten Fall ist es damit plausibel, dass durch die Wechselwirkungen von Chloroquin und Diazepam die Handlungsfähigkeit und damit die Möglichkeit zur Schussabgabe erhalten blieben.