Amoktaten sind geplante Mehrfachtötungen durch Einzeltäter, die auf Medienwirkung ausgerichtet sind. Die Taten haben trotz ihrer Seltenheit große Auswirkungen. Die oft willkürlich ausgewählten Opfer, ihre Angehörigen, die Hinterbliebenen und Freunde erleben einen Einbruch in die als sicher geglaubte Welt durch einen spektakulären Gewaltakt. Die Polizeibeamten, Rettungskräfte und Notärzte sowie Augenzeugen am Tatort sehen sich mit einer Form von Gewalt konfrontiert, die in dem sicheren Deutschland sehr ungewöhnlich ist. Die Auswirkungen strahlen auch auf die Bevölkerung aus, weil derartige Taten, die gewissermaßen überall jeden treffen können, Angst auslösen sowie Furcht und Schrecken verbreiten. Es entsteht das weitere Problem der ausufernden Berichterstattung, die rasch Persönlichkeitsrechte von Betroffenen verletzt. Für die zunächst nichtverstehbare Handlungsweise des Täters bieten Medienvertreter übereilt und ohne Grundlage spekulative Motive an. So hält sich bis heute die falsche Annahme, insbesondere die jungen Amoktäter seien wegen Mobbings zu Amoktätern geworden. Diese Spekulationen verletzen Opfer und Betroffene, weil dem Täter – zu Unrecht – ein entschuldigendes Motiv für seine Taten zugesprochen wird. Zudem werden zahlreiche tatgeneigte Personen durch die Gewaltrechtfertigung in ihren Hassfantasien angeregt. Sie übernehmen gern die angebotenen Rechtfertigungsmuster. Phänomenologie, Motive und Ursachen von Amoktaten zu erforschen, ist deshalb trotz der geringen Zahl von Taten in Deutschland wichtig, um das Phänomen zu verstehen, weitere Taten zu verhindern und um die sich nach einer Tat häufenden Drohungen (als vermeintlicher Scherz oder auch ernst gemeint) und Nachahmer gering zu halten.

Ohne die psychopathologische Entwicklung der Täter sind Amoktaten nicht zu verstehen

In dem durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten interdisziplinären Forschungsprojekt TARGET (Tat- und Fallanalysen hoch expressiver zielgerichteter Gewalt) wurden in dem Teilprojekt Gießen (Kriminologische Analyse von Amoktaten – junge und erwachsene Täter von Mehrfachtötungen, Amokdrohungen) im Zeitraum von 2013 bis Juni 2016 alle Taten junger Amoktäter in Deutschland sowie eine Teilgruppe erwachsener Täter analysiert. Die 20 jungen Amoktäter im Alter bis 23 Jahre bilden eine spezifische Phänomengruppe und unterscheiden sich in Persönlichkeit und Tatausführung von anderen Tätern, die Tötungsdelikte begehen. Ohne die psychopathologische Entwicklung der Täter sind Amoktaten nicht zu verstehen. Junge Täter würden ohne ihre sich entwickelnde gestörte Persönlichkeit nicht in der Weise auf ihre Umwelt reagieren, wie sie es tun. Auch erwachsene Amoktäter sind psychopathologisch hoch auffällig. Hier findet sich aber anders als bei jungen Tätern etwa ein Drittel der Täter mit einer Schizophrenie. Ansonsten erscheinen die (paranoiden) Persönlichkeitsstörungen, teilweise mit narzisstischen Anteilen, ausgeprägter.

figure b

B. Bannenberg, Gießen

figure c

P. Bauer, Marburg