Zusammenfassung
Hintergrund
Seit vielen Jahren wird die unzureichende Qualität der ärztlichen Leichenschau diskutiert. Eine Untersuchung des Referats für Gesundheit und Umwelt der Landeshauptstadt München ergab im Zeitraum zwischen 2010 und 2013 die durchschnittliche Beanstandung jeder 10. Todesbescheinigung (TB). Ein Fokus der Untersuchung von 2014 bis 2015 wurde auf die Falschbescheinigung eines natürlichen Todes gelegt, da hier möglicherweise strafrechtlich relevante Konsequenzen zu erwarten sind.
Material und Methoden
Es wurden alle Münchener TB der Jahre 2014 und 2015 geprüft, standardisiert erfasst und statistisch ausgewertet.
Ergebnisse
Analysiert wurden alle 27.164 TB, 61 % aus Kliniken und 39 % aus dem niedergelassenen Bereich. Im Jahr 2014 wurden 14 % der TB nach Sichtung beanstandet, im Jahr 2015 12 %. Beanstandungen betrafen Kliniken zu knapp 70 % und niedergelassene Ärzte zu 30 %. Bei jeder 400. TB (0,25 % aller Fälle, n = 67) wurde ein natürlicher Tod bescheinigt, obwohl die Bescheinigung einer nichtnatürlichen bzw. ungeklärten Todesart korrekt gewesen wäre. Dabei war in 48 Fällen ein Unfallereignis vermerkt worden, und in 36 Fällen war die Rubrik „Anhaltspunkte für einen nichtnatürlichen Tod“ ausgefüllt worden.
Schlussfolgerung
Es stehen nun Daten aus einem Großstadtgesundheitsamt zur Verfügung, die eine realistische Abschätzung der Größe des Problems der unkorrekt bescheinigten natürlichen Todesart erlauben. Ein bestehender systematischer Fehler konnte herausgearbeitet werden: Die Definition des natürlichen bzw. nichtnatürlichen Todes scheint nicht allen Ärzten geläufig zu sein.
Abstract
Background
The quality of post-mortem external examinations of corpses has been criticized as unsatisfactory for many years. The municipal public health and environment department of Munich showed in a review of death certificates from 2010 to 2013 that 1 out of 10 death certificates was incorrect. Our investigation in 2014 and 2015 focused on the falsely certified “natural deaths”, as here serious consequences, also in the field of criminal liability, are possible.
Material and methods
All death certificates issued in Munich from 2014 and 2015 were screened and encoded and a statistical analysis was performed.
Results
A total of 27,164 death certificates were included of which 61% were from hospitals and 39% from private practitioners. In 2014, 14% of the death certificates were incorrect and 12% in 2015. Of the incorrect death certificates 70% were issued in hospitals and 30% by practitioners. For approximately every 400 death certificates 1 (0.25% of all death certificates, 67 cases) was certified as a natural death although an unclear or unnatural manner of death would have been correct. In 48 an accident was stated and in 36 the field “indications for unnatural death” was filled in.
Conclusion
Data from a survey by a public health department of a major city are now available which allow a realistic estimation of the dimension of the problem of incorrect certification of the manner of death (“natural death” versus “unclear”/“unnatural”). A systematic error could be identified: not all members of the medical community seem to be familiar with the correct definition of “natural” versus “unnatural” manner of death.
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S. Gleich, S. Viehöver, P. Stäbler, M. Graw und S. Kraus geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
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Gleich, S., Viehöver, S., Stäbler, P. et al. Falsch bescheinigter natürlicher Tod nach ärztlicher Leichenschau. Rechtsmedizin 27, 2–7 (2017). https://doi.org/10.1007/s00194-016-0132-z
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