Zusammenfassung
Hintergrund
Die Kenngrößen der Pharmakokinetik des Äthanols unterliegen erheblichen inter- und intraindividuellen Variationen. Dadurch weisen die Ergebnisse von Rückrechnungen und Konzentrationsberechnungen aus Trinkmengen weite Schwankungsbreiten auf.
Ziel der Arbeit
Im Rahmen der vorliegenden Studie sollte eine Rückrechnungsformel, die einen rückrechnungsfreien Zeitraum von 2 h ab Vortrunkende berücksichtigt (Variante A), mit einer Rückrechnungsformel, die bis zum Nachtrunkende zurückrechnet (Variante B), verglichen werden.
Material und Methoden
Mithilfe von 52 Probanden wurden insgesamt 200 Nachtrunksituationen nachgestellt. In Gruppe 1 (n = 29) wurden größere Vortrunkmengen mit kleineren Nachtrunkmengen kombiniert, in Gruppe 2 (n = 23) kleinere Vortrunkmengen mit größeren Nachtrunkmengen. Der Nachtrunk erfolgte jeweils innerhalb einer Zeitspanne von weniger als 2 h nach Vortrunkende. Von 2 fiktiven Blutentnahmezeitpunkten BE 1 und BE 2 wurde über unterschiedlich lange Zeiträume auf einen willkürlich gewählten, kurz vor der Nachtrunkaufnahme liegenden Vorfallszeitpunkt nach forensischen Kriterien zurückgerechnet.
Ergebnisse
Mit der Rückrechnungsformel in der Variante B konnten Ergebnisse erzielt werden, die näher an den gemessenen Konzentrationen lagen. Nur in einem der 200 Fälle kam es durch die Berechnung mit der Variante B zu einer geringfügigen Überschreitung des Rechenwerts über den Messwert um 0,02 ‰.
Schlussfolgerung
Angesichts der Ungenauigkeiten, die sich aus dem Rechenweg, insbesondere aus der Verwendung des Widmark-Faktors als Durchschnittwert ergeben, scheint eine wie oben angeführte seltene und geringe Abweichung kein Grund, in der Praxis den Rechenweg der Variante B (Verkürzung des rückrechnungsfreien Zeitraums auf das Ende des Nachtrunks) zu beschreiten. Dafür sprechen neben diesen experimentellen Ergebnissen auch die grundlegenden pharmakokinetischen Überlegungen, wonach der Nachtrunk in der Resorption den Vortrunk nicht überholen kann.
Abstract
Background
The parameters of the pharmacokinetics of ethanol are subject to considerable interindividual and intraindividual variation. The results of back calculations and calculations of concentrations from the amount drunk therefore show broad ranges of fluctuation.
Aim
Within the framework of this study a formula for back calculation which incorporates a back calculation lag time of 2 h after cessation of drinking prior to the event (version A) was compared with a formula for back calculation which allowed for back calculation until the after-drink had been completed (version B).
Material and methods
The study comprised 200 scenarios of a hip flask defence monitored in 52 subjects. In group 1 (n = 29) a higher amount of alcohol before “driving” was combined with a lower amount of alcohol in “post-offence drinking”. In group 2 (n = 23) doses of ethanol were given in reverse order. The after-drink followed the preceding alcohol intake always within a time interval of less than 2 h. Back calculation according to forensic criteria was performed for different time frames ranging from two points in time of blood collection (BE 1 and BE 2) to a randomly chosen point in time shortly before the after-drink was started representing the time point of the event.
Results
Compared to estimations using the version A formula, computed results using version B were closer to the actual readings measured. There was only 1 case out of the 200 scenarios where the estimated concentration using version B minimally exceeded the measured value by 0.02‰.
Conclusion
This small difference occurring on rare occasions appears insufficient to refrain from using version B in forensic casework especially with regard to the inaccuracy resulting from a definite Widmark’s “r” factor. Beside these experimental results, the fundamental pharmacokinetic considerations support the idea that absorption of the after-drink cannot overtake the amount of ethanol consumed prior to the event.
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Danksagung
Wir danken dem Bund gegen Alkohol und Drogen im Straßenverkehr und der Verkehrswacht Bruchsal-Bretten für die freundliche Unterstützung der Studie.
Einhaltung ethischer Richtlinien
Interessenkonflikt. A. Dettling, M. Vermesse, G. Skopp, H.-T. Haffner geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht. Alle im vorliegenden Manuskript beschriebenen Untersuchungen am Menschen wurden mit Zustimmung der zuständigen Ethikkommission, im Einklang mit nationalem Recht sowie gemäß der Deklaration von Helsinki von 1975 (in der aktuellen, überarbeiteten Fassung) durchgeführt. Von allen beteiligten Patienten liegt eine Einverständniserklärung vor.
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Dettling, A., Vermesse, M., Skopp, G. et al. Berücksichtigung des rückrechnungsfreien Zeitraums bei Nachtrunkkonstellationen. Rechtsmedizin 25, 40–45 (2015). https://doi.org/10.1007/s00194-014-0999-5
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DOI: https://doi.org/10.1007/s00194-014-0999-5