Zusammenfassung
Die medizinischen Leistungserbringer befinden sich seit einigen Jahren in einem Verdrängungswettbewerb, den die Politik bewusst herbeigeführt hat, jedoch ohne für klare Regeln zu sorgen. Dadurch sind ökonomische Fehlanreize entstanden in Richtung nichtindizierter Behandlungsausweitungen und Missachtung kostenintensiver Sicherheitsstandards. Justiz und ärztliche Sachverständige müssen daher als Bundesgenossen klare Mindeststandards definieren und diese gegenüber allen Entscheidungsträgern in Kliniken und Praxen durchsetzen. In Schadensfällen bietet sich ein Abgleich mit 11 medizinischen Verdachtsfallgruppen an, in denen sich strafrechtliche Ermittlungen nicht nur gegen die unmittelbaren Behandler, sondern auch gegen Organisationsverantwortliche im medizinischen und im nichtmedizinischen Leitungsbereich richten sollten.
Abstract
Medical providers have become subject to predatory competition in recent years which was deliberately created in the public policy process. However, this competition lacks a comprehensive set of rules. This brought up adverse economic incentives to carry out non-indicated treatments and disregard costly safety standards. Therefore, justice and medical experts must act as allies, define clear minimum standards and enforce them against all decision makers in hospitals and doctor’s practices. In the event of damage, it is useful to review 11 medical case groups in which criminal investigations should be directed not only against direct practitioners but also against the responsible heads whether they are doctors or not.
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Neelmeier, T., Schulte-Sasse, U. Hypoxie durch Organisationsverschulden. Rechtsmedizin 22, 406–414 (2012). https://doi.org/10.1007/s00194-012-0846-5
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