Der Achillessehne haftet schon aufgrund ihrer Bezeichnung etwas sagenumwobenes an, welche Sehne des menschlichen Körpers wird sonst selbst in den Standardwerken der Anatomie mit einem Namen aus der antiken griechischen Mythologie belegt? Tatsächlich spiegelt die menschliche Achillessehne auch die beiden Extreme des homerischen Helden, nämlich zum einen übermäßige Stärke und zugleich erstaunliche Verwundbarkeit, wider. So sind nicht nur Männer im mittleren Lebensalter mit sitzender Tätigkeit und gelegentlicher sportlicher Betätigung, sondern auch jüngere Patienten und Sportler von Pathologien bis hin zur kompletten Ruptur der Sehne betroffen.

Die gesunde Achillessehne hält Belastungen von bis zu 900 kg, was sie zur kräftigsten Sehne des Menschen macht [3]. Allerdings beginnen degenerative Veränderungen bereits häufig in der 3. bis 4. Lebensdekade und werden durch unzweckmäßiges Schuhwerk, regelmäßige Über- bzw. Fehlbelastung, unregelmäßiges Training, dauerhafte Medikamenteneinnahme sowie entzündliche Vorerkrankungen befördert [4]. Die akute Achillessehnenruptur – vor 100 Jahren noch eine berichtenswerte Rarität – weist (bei großen regionalen Unterschieden) inzwischen eine Inzidenz von bis zu 50 pro 100.000 Personen pro Jahr auf, womit sie zur häufigsten Sehnenruptur avanciert ist [3, 4]. Entsprechend ungebrochen ist das Interesse sowohl an der Pathogenese als auch an der idealen Therapie der Achillessehnenruptur. Das vorliegende Themenheft soll diesem Interesse Rechnung tragen und einen aktuellen Überblick über Anatomie, Biomechanik, Diagnostik und Therapie der akuten und chronischen Achillessehnenruptur geben.

Wir freuen uns sehr, dass sich eine Gruppe nationaler und internationaler Experten bereiterklärt hat, dieses Heft mit den aktuellen Entwicklungen auf diesem Gebiet zu füllen. Die Autoren um O. Naňka aus dem renommierten Anatomischen Institut der Karls-Universität in Prag leiten mit einem hervorragend bebilderten Essay zur makro- und mikroskopischen Anatomie der Achillessehne in das Thema ein, wobei die anatomischen Präparate jeweils der modernen Bildgebung gegenübergestellt werden und auch relevante embryologische, physiologische und biomechanische Aspekte Beachtung finden [8].

Die interdisziplinäre Arbeitsgruppe aus Buenos Aires um G. Joannas und G. Arrondo befasst sich seit mehreren Jahren mit der Bildgebung sowohl der Achillessehnenruptur als auch der Heilungsprozesse mit Schwerpunkt auf minimal-invasiven Nahttechniken. Die Autoren setzen sich kritisch mit den am häufigsten eingesetzten Modalitäten auseinander und kommen in der aktuellen Studie zu dem Schluss, dass die Ultraschalluntersuchung weiterhin den Goldstandard für die Diagnostik, Indikationsstellung und das Monitoring während der Sehnenheilung darstellt und in einigen Aspekten sogar der wesentlich aufwändigeren und kostenintensiven MRT überlegen ist [6].

Der folgende Beitrag der Gastherausgeber dieses Heftes widmet sich der Frage nach der optimalen Therapie der frischen Achillessehnenruptur. In einer systematischen Literaturübersicht wird deutlich, dass sich trotz zahlreicher Studien mit hohem Evidenzgrad keine pauschale Überlegenheit der operativen oder konservativen Therapie darstellen lässt. Dies unterstreicht die Notwendigkeit einer individuellen Beratung des Patienten unter Berücksichtigung von Compliance, Funktionsanspruch und eventuellen Komorbiditäten [2]. Bereits seit den 1970er-Jahren wurden perkutane und minimal-invasive Techniken entwickelt mit dem Ziel, die Vorteile der operativen und konservativen Therapie, nämlich niedrige Rerupturraten bei geringem Komplikationsrisiko, zu kombinieren. Auch diese Verfahren müssen eine eventuelle Überlegenheit gegenüber den anderen Therapieoptionen noch in kontrollierten Studien nachweisen.

Der Beitrag von M. Amlang et al. gibt einen Überblick über den aktuellen Stand mit Risiken und Aussichten der minimal-invasiven Nahttechniken. Entscheidend für die sichere Vermeidung der bei perkutanen Verfahren immer noch regelmäßig berichteten Suralisläsion ist eine strikte Einhaltung der originalen, vom Erstautor beschriebenen Dresdner Technik mit posteromedialer Inzision und streng subfaszialer Präparation [1]. Insbesondere der Erhalt des Peritendineums scheint bei weniger invasiven Verfahren mit verbesserten funktionellen Resultaten einherzugehen, wie eine erste Metaanalyse zu diesem Thema herausgearbeitet hat [5]. Bereits in der Originaltechnik, insbesondere jedoch durch die Hinzufügung einer dritten Naht und die Verwendung von nicht resorbierbarem Nahtmaterial, wird mit der Dresdner Technik eine der offenen Krackow-Naht vergleichbare Stabilität bei deutlich vermindertem Komplikationsrisiko erreicht [10].

Ein hohes Maß an Expertise in der Behandlung von akuten und chronischen Läsionen der Achillessehne bringen die Autoren um M. Walther von der Schön-Klink in München-Harlaching und kooperierenden Einrichtungen in München, Augsburg und Salzburg in dieses Themenheft ein. In ihrem Beitrag werden die zahlreichen Optionen zur Rekonstruktion chronischer Rupturen und Defekte der Achillessehne in systematischer und übersichtlicher Weise mit den jeweiligen individuellen Indikationen dargestellt und ein Therapiealgorithmus präsentiert [9]. Die Autoren nehmen dankenswerterweise auch explizit zum relevanten Thema der Wiedererlangung der Sportfähigkeit Stellung.

Unabhängig von der primären Therapie nimmt bei akuten und chronischen Achillessehnenrupturen die funktionelle Nachbehandlung mit früher Vollbelastung und Beübung der Wadenmuskulatur unter Protektion in einem Spezialstiefel und Supervision des Patienten einen entscheidenden Platz ein, um sowohl das Risiko einer Reruptur als auch dasjenige eines Vorspannungsverlustes zu minimieren. Dies wird von mehreren Autoren dieses Themenheftes bereits dargestellt, ein separater Beitrag hierzu wird noch in einem der kommenden Hefte von Die Orthopädie erscheinen.

Die eigentliche Schwachstelle des Helden aus der Ilias, nämlich die „Achillesferse“, liegt interessanter Weise gar nicht in der Sehne selbst, sondern am Hinterrand des Calcaneus. Diese Übergangszone, welche erheblichen Zug- und Hebelkräften ausgesetzt ist, ist eine Prädilektionsstelle für Insertionstendinopathien und weitere Pathologien im Ansatzbereich, welche den Rahmen dieses Heftes sprengen würden, jedoch kürzlich in einer „Schwesterzeitschrift“ von Die Orthopädie ausführlich abgehandelt wurden [7].

Wir wünschen Ihnen nun viel Freude und hoffentlich einige neue Anregungen bei der Lektüre dieses Heftes und freuen uns selbstverständlich über Rückmeldungen aller Art zu diesem für unsere tägliche Praxis sehr relevanten und sicher noch nicht abschließend behandelten Thema.

Stefan Rammelt (Dresden)

Matthias Aurich (Halle a. d. Saale)