Neuromuskuläre Deformitäten der Wirbelsäule entstehen auf dem Boden verschiedenster angeborener oder erworbener Erkrankungen des zentralen Nervensystems, des ersten und zweiten Motoneurons und/oder der Skelettmuskulatur. Viele dieser Erkrankungen oder Erkrankungsgruppen führen mit mehr oder minder großer Wahrscheinlichkeit bereits im Wachstumsalter zu überwiegend skoliotischen Deformitäten, seltener aber auch zu Kyphosen oder kombinierten Fehlstellungen.

Diese neuromuskulär bedingten Skoliosen sind deutlich seltener als idiopathische, zeigen aber eine sehr eigene und krankheitsspezifische Dynamik sowie Progredienz, was spezielle Kenntnisse für die richtige Beurteilung und notwendige Therapieentscheidungen erforderlich macht.

Neben den Auswirkungen auf den gesamten Stütz- und Bewegungsapparat sind die zugrundeliegenden Erkrankungen häufig sowohl mit weiteren physischen als auch mit geistigen Beeinträchtigungen bis hin zu ausgeprägten Behinderungen verbunden. Somit ist ein ganzheitlicher Behandlungsansatz in dafür ausgewiesenen Zentren notwendig.

Unter den vielen dabei zu berücksichtigen Teilaspekten muss eine sich entwickelnde Wirbelsäulendeformität früh erfasst, konsequent kontrolliert und schließlich therapiert werden. Die verschiedenen Krankheitsgruppen variieren dabei stark in ihrer Wahrscheinlichkeit, Deformitäten auszubilden, und auch die zu erwartende Progredienz ist ursachenbedingt sehr unterschiedlich ausgeprägt.

Das vorliegende Themenheft widmet sich diesen Deformitäten der Wirbelsäule, ohne bei der Fülle der ursächlichen Erkrankungen und all ihrer Spezifika auch nur im Ansatz Anspruch auf Vollständigkeit erheben zu können. Dennoch ist es Ziel dieses Heftes, einen möglichst weiten Blick auf die Besonderheiten neuromuskulärer Skoliosen zu werfen. Dafür konnten auf diesem Gebiet erfahrene Autoren gewonnen werden, denen wir für ihr Engagement an dieser Stelle ausdrücklich danken möchten.

Im ersten Artikel wird auf ätiologische, epidemiologische und biomechanische Grundlagen neuromuskulär bedingter Wirbelsäulendeformitäten eingegangen. Die beiden nachfolgenden Artikel widmen sich den konservativen Therapiemöglichkeiten, einschließlich der erforderlichen orthopädietechnischen Versorgungsmöglichkeiten. Diese ersten Kapitel unterstreichen die Notwendigkeit eines ganzheitlichen und interdisziplinären Behandlungsansatzes als Grundlage einer lebensbegleitenden Therapie.

Im darauffolgenden Artikel wird zur Rolle der operativen Versorgung Stellung genommen, insbesondere unter dem Aspekt der Indikation und des günstigsten Zeitpunktes. Hier wird aufgezeigt, dass ein zeitgerechtes Eingreifen, beruhend auf einer fundierten Kenntnis der Prognose, segensreich sein kann.

Nachfolgend wird detailliert auf spezielle Krankheitsbilder und das jeweilig erforderliche therapeutische Vorgehen eingegangen. Dabei werden die Muskeldystrophie Typ Duchenne, zentral bedingte Paresen sowie spinale Muskelatrophien betrachtet. Die schwer zuzuordnenden Deformitäten auf der Grundlage einer Neurofibromatose Typ 1 werden ebenfalls besprochen. Diese Krankheitsbilder und -gruppen stellen zwar nur einen Ausschnitt aus dem Bereich sekundärer Wirbelsäulendeformitäten dar, sind aber bewusst ausgewählt und basierend auf dem aktuellen Wissensstand vorgestellt worden, da sie alle Besonderheiten hinsichtlich der konservativen, aber insbesondere auch der operativen Versorgungsnotwendigkeiten zeigen.

Das vorliegende Themenheft arbeitet somit Charakteristika neuromuskulärer Skoliosen heraus, wobei der Bogen bewusst von den allgemeinen Grundlagen über die konservative und die orthopädietechnische Versorgung bis hin zur operativen Therapie gespannt wurde. Trotzdem repräsentiert die Wirbelsäule nur einen – wenn auch wichtigen – Teilaspekt dieser ja überwiegend systemischen Erkrankungen. Somit muss der ganzheitliche und lebensbegleitende Aspekt der therapeutischen Herangehensweise bei allen erforderlichen Maßnahmen immer aufs Neue berücksichtigt werden.