Sehr geehrte Leserinnen und Leser,

auf Grund der demographischen Entwicklung der Bevölkerung und der Fortschritte in der Therapie maligner Erkrankungen nimmt die Häufigkeit von Wirbelsäulenmetastasen zu. Die heute implementierten stringenten Stagingprotokolle und der routinemäßige Einsatz der sich immer weiter entwickelnden diagnostischen Möglichkeiten führen zudem zu einer früheren Diagnose. Gleichzeitig haben sich die operationstechnischen Möglichkeiten in den letzten 2 Jahrzehnten erheblich geändert; die zur Verfügung stehende Palette ist kontinuierlich breiter geworden. Von minimal-invasiven Eingriffen bis hin zur En-bloc-Resektion bei solitären Metastasen kann heute ein breites operatives Spektrum vorgehalten werden, um allen entsprechenden Pathologien begegnen zu können.

Die Chirurgie von Metastasen stellt in aller Regel nur einen Baustein im therapeutischen Spektrum dar. Bis auf die eher seltenen Fälle operativer Notfallindikationen muss daher die operative Metastasenchirurgie in ein interdisziplinäres therapeutisches Konzept eingepasst werden. Entscheidungen hierzu werden üblicherweise individuell angepasst und im interdisziplinären Tumorboard getroffen.

Bei der weit überwiegenden Mehrzahl aller Patienten ist Metastasenchirurgie palliativ ausgerichtet. Klinische Studien haben gezeigt, dass bei Skelettmetastasen die chirurgische Therapie praktisch immer ohne Auswirkung auf die Prognose einschließlich verbleibender Lebenszeitdauer ist. Ziel einer chirurgischen Therapie von Wirbelsäulenmetastasen ist daher derzeit der Erhalt bzw. die Verbesserung der Lebensqualität. Durch operative Maßnahmen sind eine Dekompression neurogener Strukturen, eine Stabilisierung des Achsorgans und eine Senkung der Gesamttumorlast möglich; dies alles dient im Einzelfall der Schmerzreduktion, dem Erhalt der Selbstständigkeit und der Mobilität sowie der Vermeidung neurologischer Defizite.

Da durch die chirurgische Behandlung von Wirbelsäulenmetastasen die Prognose des Grundleidens derzeit nicht wesentlich beeinflusst werden kann, müssen bei jedem Eingriff die unvermeidbare perioperative Morbidität ebenso wie eine nicht geringe Zahl an möglichen Komplikationen bei der Entscheidungsfindung in hohem Maße mit berücksichtigt werden. Nur unter der umfassenden Beurteilung des jeweiligen Krankheitsbildes können für operative Maßnahmen sowohl die Frage nach der grundsätzlichen Indikation als auch die Frage nach dem richtigen Zeitpunkt und der sinnvollsten Vorgehensweise im Einzelfall ausreichend begründet werden.

In diesem Heft sollen Entscheidungshilfen dargestellt werden; darüber hinaus wird von auf dem jeweiligen Gebiet ausgewiesenen Experten auf spezielle Behandlungsverfahren hingewiesen.

Einen einleitenden Überblick über das grundsätzliche diagnostische Vorgehen gibt der Artikel von Putzier et al.

Im Artikel von Bullmann u. Liljenqvist werden die gutartigen und semimalignen Tumoren der Wirbelsäule sowohl in ihrer differenzialdiagnostischen Abgrenzung als auch mit ihren diagnostischen und therapeutischen Besonderheiten dargestellt.

Mit den Prognosefaktoren und Scoringsystemen bei Metastasen der Wirbelsäule beschäftigt sich der Artikel der Arbeitsgruppe von der Höh et al.

Das Spektrum der heute zur Verfügung stehenden operativen Verfahren wird im Artikel von Heyde et al. aufgezeigt, gleichzeitig im Sinne eines abgestuften Therapiekonzepts.

Die obere Halswirbelsäule stellt aus anatomischen Gründen bei zahlreichen Erkrankungen und Verletzungen eine Besonderheit dar. Dies gilt auch für die Behandlung von Wirbelsäulenmetastasen. Der Artikel von Jeszenszky et al. weist auf diesbezügliche Besonderheiten hin und bietet entsprechende Lösungsmöglichkeiten an.

Eine der aufwendigsten Therapieoptionen in der gesamten Wirbelsäulenchirurgie stellt die En-bloc-Resektion von Geschwülsten dar. Dieses zunächst für die seltenen primären malignen Geschwülste der Wirbelsäule empfohlene Verfahren wird inzwischen in zunehmender Weise auch bei solitären Metastasen der Wirbelsäule angewendet. Dabei ist ein abschließendes Urteil zur Wertigkeit für die Metastasenchirurgie derzeit kaum möglich; umso wertvoller erscheint die Darstellung der Arbeitsgruppe von Schaser et al. anhand der umfangreichen eigenen Erfahrungen und der bisherigen Literaturmitteilungen.

Wie in der allgemeinen Chirurgie und der Chirurgie der Haltungs- und Bewegungsorgane gibt es auch im Bereich der Wirbelsäulenchirurgie Bestrebungen, durch minimal-invasive Verfahren therapeutische Probleme mit gleicher Sicherheit und gleichem Erfolg, dabei aber mit geringer Morbidität für den Patienten zu lösen. Welchen Stellenwert diese Verfahren derzeit in der Metastasenchirurgie der Wirbelsäule haben, wird von Josten et al. diskutiert.

Zum Abschluss wird durch 2 Arbeitsgruppen mit der Kypho-IORT ein Verfahren vorgestellt, mit dem eine lokale und gezielte intraoperative Bestrahlung mit nachfolgender Zementaugmentation in gleicher Sitzung kombiniert wird. Nach der Darstellung der operationstechnischen Einzelheiten durch Kayser et al. diskutieren Bludau et al. über die Besonderheiten und über die Lehr- und Erlernbarkeit solch neuer Verfahren anhand dreier Jahre klinischer Erfahrung.

Mehr noch als in anderen Bereichen der operativen Therapie stellt die Metastasenchirurgie wegen der Besonderheiten der Grunderkrankung besondere Anforderungen an die Indikationsstellung und technische Durchführung jeder operativen Maßnahme. Es war uns ein wesentliches Anliegen, die besondere ärztliche Verantwortung aller in derartige Behandlungen Eingebundenen darzustellen und für den Wirbelsäulenchirurgen spezielle Entscheidungshilfen zu geben. Jedem mit der Indikationsstellung zu operativen Maßnahmen in der Wirbelsäulenmetastasenchirurgie befassten Arzt sollte stets bewusst bleiben, dass das vorrangige Ziel nur der Erhalt bzw. die Verbesserung der Lebensqualität für den von der Grunderkrankung vorgegebenen Zeitraum sein kann. Dies besitzt damit als Entscheidungsgrundlage höchste Priorität.

Ihre

Prof. Dr. U. Weber Prof. Dr. C.-E. Heyde