Das Konzept der regenerativen Medizin stellt seit Ende des 20. Jahrhunderts eine entscheidende Herausforderung an der Schnittstelle von Medizin, den Lebens- und Ingenieurwissenschaften dar, um Gewebefunktionen zu verbessern, zu erhalten oder wiederherzustellen. In diesem Zusammenhang spielt das „Tissue Engineering“ eine tragende Rolle als interdisziplinäres Forschungsgebiet mit wesentlichen klinischen Endpunkten.

In der orthopädischen und traumatologischen Chirurgie ist das „Tissue Engineering“ vergleichsweise weit entwickelt

Gerade in der orthopädischen und traumatologischen Chirurgie ist das „Tissue Engineering“ vergleichsweise weit entwickelt und bereits in einigen Anwendungen entweder im Stadium der klinischen Forschung oder bereits in der klinischen Anwendung. Die entscheidenden Zielstrukturen sind hierbei Knochen, Knorpel sowie Sehnen und Bänder. Beispiele für Tissue-Engineering-Strategien in der klinischen Anwendung sind die unterschiedlichen Generationen der autologen Chondrozytentransplantation und der materialbasierten Osteosyntheseverfahren zur Überbrückung kritischer Knochendefekte.

Traumatische oder degenerative Läsionen sind prädestiniert für Tissue-Engineering-basierte Behandlungsstrategien

Gerade traumatische oder degenerative Läsionen sowie kritische Gewebedefekte nach Tumorresektionen im Skelettsystem sind prädestiniert für Tissue-Engineering-basierte Behandlungsstrategien, da sie materialbasierten Ansätzen zugänglich sind und hohen biomechanischen Anforderungen genügen müssen. So waren die Materialwissenschaften schon lange Zeit als angewandte Wissenschaft insbesondere bei der Entwicklung von Transplantaten in die Skelettchirurgie involviert. In dieser Periode waren vor allem die Biokompatibilität, die Zelltoxizität und Stabilität des implantierten Materials entscheidende klinische Fragestellungen. In den letzten 10–20 Jahren hat allerdings ein Paradigmenwechsel stattgefunden, weg von der reinen Transplantation von Fremdmaterial hin zu einer Biofunktionalität, der das Bemühen um ein besseres Verständnis der strukturellen Organisation und Funktion von Grenzflächen zugrunde liegt. Das Bemühen, diese natürlichen Funktionen zu imitieren, indem ein Biomaterial auf Änderungen der Umgebung reagiert, wird als biomimetisches Konzept bezeichnet. Weiterhin sollen (wenn möglich) Biomaterialien dazu beitragen, ex vivo oder in vivo gewebeähnliche Strukturen zu bilden, die dann in das umgebende Gewebe integriert werden und so strukturell und funktionell möglichst dem biologischen ortsständigen Gewebe entsprechen sollen. Für solche biomimetischen Tissue-Engineering-Ansätze sind drei Elemente essentiell: Biomaterialien, bioaktive Signalmoleküle und Zellen.

Auf dem Gebiet der Biomaterialien sind für das „Tissue Engineering“ von Knorpel bereits einige Zellträgersysteme auch in klinischer Anwendung, wie der Beitrag von Marlovits in diesem Band aufzeigt. Im Bereich des Knochen-Tissue-Engineering sind bereits Materialien in Anwendung, welche über einen Gehalt an Wachstumsfaktoren funktionalisiert sind, wie der Beitrag von Bernstein et al. an Hand klinischer Erfahrungen beschreibt. Die Tatsache, dass gerade im Bereich der Wiederherstellung von Bandgewebe eine optimale klinische Anwendung noch nicht erreicht werden konnte und hier noch weitere Entwicklungsarbeit zu leisten ist, zeigt eindrücklich die Arbeit von Ignatius u. Dürselen. In der Übersicht von Milz wird deutlich, dass Grundlage hoher Anforderungen an die Wiederherstellung von Band- und Sehnenwiederherstellung die komplexe Biologie der beteiligten Zellen und deren Interaktion mit der extrazellulären Matrix ist. Die Wichtigkeit der zellbiologischen Grundlagen für mögliches „Tissue Engineeering“ ist auch bei Chondrozyten evident. In diesem Zusammenhang demonstriert der Beitrag von Grad u. Salzmann die Heterogenität von Chondrozyten nicht nur in Abhängigkeit von der anatomischen Lage sondern auch der funktionellen Anforderung an biomechanische Belastung.

Im Gegensatz zu bradytrophem Knorpel- und Bandgewebe besitzt Knochengewebe eine sehr gute Fähigkeit zur Regeneration und ist in der Lage, mechanische und metabolische Stimuli in biologische Antwort umzuwandeln. Die komplexen Regulationsmechanismen während der Frakturheilung, deren klinische Bedeutung und mögliche Rolle für eine Optimierung von „Tissue Engineering“ von Knochen liefert der Aufsatz von Hofmann et al. Hier wird die Bedeutung von Wachstumsfaktoren und Signalmolekülen für regenerative Prozesse deutlich. Wie wichtig hierbei die Interaktion unterschiedlicher Zellen, insbesondere unter Beteiligung von Endothelzellen ist, zeigt die Arbeit von Unger et al. auf. Der Beitrag von Brochhausen et al. demonstriert, wie aus der enchondralen Ossifikation Kandidatenmoleküle identifiziert werden können und wie solche Moleküle in einem innovativen Releasesystem in rationale Tissue-Engineering-Strategien integriert werden können. Von besonderer Bedeutung ist hierbei, dass Molekülgruppen, welche bereits seit langem bekannt und in pharmazeutischer Qualität vorhanden sind, interessante Kandidaten darstellen, die eine rasche und wenig kostenintensive Anwendung für „Tissue Engineering“ erlauben. Ein ganz neuer Aspekt stellt die Anwendung von Signalmolekülen und Wachstumsfaktoren durch direkten Gentransfer dar, wie Cucchiarini et al. darstellen. Tierexperimentelle Untersuchungen und erste klinische Studien erlauben hier vorsichtigen Optimismus.

Insgesamt wird deutlich, dass „Tissue Engineering“ in der Orthopädischen und Traumatologischen Chirurgie eine relativ lange Tradition hat, welche den Paradigmenwechsel vom Gewebeersatz durch Prothesen hin zur Regeneration funktionaler Zell-Gewebe-Konstrukten mitgegangen ist. Die Herausforderungen für die Zukunft liegen hier in der weiteren Funktionalisierung von geeigneten, womöglich bioabbaubaren Biomaterialien, der Verwendung von Progenitorzellen und der getriggerten Stimulierung, Proliferation und Differenzierung von ortsständigen Zellen zur weiteren Verbesserung der Geweberegeneration und Integration.

A. Meurer

C. Brochhausen

C.J. Kirkpatrick