Ohne Zweifel stellen die erfolgreiche Analyse und anschließende Synthese des GnRH(„gonadotropin releasing hormone“)-Dekapeptids durch Andrew Schally und Roger Guillemin einen Meilenstein in der humanen Endokrinologie dar, der folgerichtig im Jahr 1977 mit dem Nobelpreis für Physiologie geehrt wurde [1, 2]. Im Zusammenspiel mit den bahnbrechenden Arbeiten von Ernst Knobil und Ludwig Wildt konnten dann die Funktionsweise und Rückkoppelungsphänomene der HPO(hypothalamo-hypophysär-ovariellen)-Achse als der Gonadenfunktion übergeordnete Einheit entschlüsselt werden. Es konnte gezeigt werden, dass dabei das GnRH und die durch seine pulsatile Sekretion gegebene permissive Wirkung die entscheidende übergeordnete Rolle spielt [3]. Diese für uns schon lange als selbstverständlich erscheinenden Kenntnisse sind zur damaligen Zeit sensationell gewesen. Und auch wenn unsere heutige Einsicht in weitere auf dieses System Einfluss nehmende Faktoren, wie Kisspeptine, Neuropeptide und Neuroopioide sowie möglichen Mutationen des GnRH-Rezeptors, stetig wächst, so ändert dies nichts an der epochalen Bedeutung der Entschlüsselung der HPO-Achse.

Hinzu kamen die von Erfolg gekrönten Anstrengungen, das ursprüngliche Dekapeptid in seiner Aminosäurestruktur zu modifizieren, und so dessen Affinität zum GnRH-Rezeptor zu verändern, seine Halbwertszeit zu modulieren bzw. zu verlängern und auch seine intrinsische Aktivität auszuschalten. Diese Arbeiten, die ebenfalls untrennbar mit den Namen von Andrew Schally, aber auch von Forschern wie Jean Rivier und Philippe Bouchard verbunden sind, führten dann zur Entwicklung der GnRH-Agonisten und GnRH-Antagonisten. Substanzen wie Triptorelin, Goserelin und Leuprorelin konnten sich rasch etablieren in klinischen Situationen, in denen eine medikamentös induzierte, temporäre und reversible Unterdrückung der Gonadenfunktion indiziert erscheint. Damit hatten diese Substanzen einen großen Einfluss auf Therapiemöglichkeiten in der Gynäkologie, der humanen Reproduktionsmedizin, der gynäkologischen Onkologie und der Urologie, aber auch in der Pädiatrie bei der Behandlung der Pubertas praecox. Die Bedeutung dieser Medikamente mag daran erkannt werden, dass z. B. Leuprorelin von der WHO (World Health Organization) in die Liste der „essential medicines“ aufgenommen wurde. Diese Möglichkeit der medikamentösen Kastration bei sexualsteroidabhängigen Erkrankungen ist aus unserem therapeutischen Portfolio nicht mehr wegzudenken.

Allerdings bestand von Anfang an der Wunsch, den durch die GnRH-Agonisten initial ausgelösten stimulatorischen und damit nicht erwünschten Effekt („flare up effect“) zu vermeiden. Daher wurden zeitgleich mit den GnRH-Agonisten auch GnRH-Antagonisten entwickelt, die durch Veränderungen der Aminosäuresequenz im Kopfteil des Dekapeptids ihre intrinsische Aktivität verloren hatten. Substanzen wie NalGlu oder Antide sind den Fachleuten sicherlich auch heute noch bekannt, konnten sich aber wegen histamininduzierter allergischer und anaphylaktischer Nebenwirkungen nicht etablieren. Erst die Vertreter der dritten Generation der GnRH-Antagonisten, Cetrorelix und Ganirelix, konnten diese Nebenwirkungen vermeiden und wurden in den 90er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts bis zur Marktreife entwickelt. Sie fanden dann im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts ihren festen Platz in der kontrollierten ovariellen Hyperstimulation (KOH) zur assistierten Reproduktion. Mittlerweile werden weltweit über 70 % aller Behandlungen nach dem in Lübeck entwickelten GnRH-Antagonisten-Protokoll („GnRH-antagonist multiple-dose protocol“ oder auch „Lübecker Protokoll“) durchgeführt [4].

Weltweit werden mehr als 70% der KOH-Behandlungen nach dem „Lübecker Protokoll“ durchgeführt

Natürlich bestand auch hier von Anfang an das Bestreben, diese antagonistischen Peptidhormone in anderen Indikationen einzusetzen, so bei Endometriose oder Uterus myomatosus. Dazu wurden erfolgreiche „proof of concept studies“ in Deutschland durchgeführt und auch publiziert [5, 6], doch wegen der horrenden Kosten fehlte das Interesse der entsprechenden produzierenden Firmen, diese Ansätze weiter zu verfolgen.

Aufgrund der Entwicklung oral anwendbarer antagonistisch wirkender GnRH-Mikromoleküle, wie Elagolix oder Relugolix, erleben wir aber nun eine revolutionäre Renaissance der GnRH-Antagonisten in anderen Indikationen als allein für die ovarielle Stimulation. Die chronischen Krankheiten Endometriose und Uterus myomatosus können nun prinzipiell mit einer titrierbaren, das therapeutische Fenster respektierenden Medikation erfolgreich behandelt werden.

Einer der Höhepunkte des diesjährigen, aufgrund der COVID-19-Pandemie nur virtuell stattfindenden Kongresses der amerikanischen Krebsgesellschaft (ASCO, American Society of Clinical Oncology) war ohne jeden Zweifel die Präsentation der Ergebnisse der HERO-Studie. Hier konnte gezeigt werden, dass mit der täglichen Einnahme des oral aktiven GnRH-Antagonisten Relugolix Patienten mit fortgeschrittenem kastrationsresponsivem Prostatakarzinom erfolgreich behandelt werden konnten. Dabei war einerseits die Testosteronsuppression derjenigen im Kontrollarm mit Leuprorelin überlegen, und andererseits konnte das Risiko für „major adverse cardiovascular events“ um 54 % reduziert werden [7].

Auch wenn diese bahnbrechenden Ergebnisse im onkologischen Bereich aus der Urologie stammen, so werden sie mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auch auf die gynäkologische Onkologie übergreifen. Wir erleben spannende Zeiten.

figure b

Prof. Dr. Ricardo Felberbaum

figure c

Prof. Dr. Wolfgang Küpker

figure d

Prof. Dr. Thomas Strowitzki

figure e

Prof. Dr. Günther Emons

figure f

Prof. Dr. Klaus Diedrich