Durchschnittlich bringt eine Frau in Deutschland 1,59 Kinder zur Welt, dahinter verbirgt sich eine starke Polarisierung: 22% sind kinderlos, 40% haben zwei Kinder, 18% haben drei Kinder und mehr. Die Zahlen beziehen sich auf die Kohorte der 1965 geborenen Frauen, d.h. auf die Frauen, die jetzt ihre Familienplanung abgeschlossen haben.

Deutschland ist also ein Land mit extrem niedriger Geburtenzahl – und dennoch wünscht sich immer noch die Mehrheit der Bevölkerung eine eigene Familie mit Kindern als Lebensperspektive. Aber es gibt auch eine wachsende Minderheit, die sich bewusst dagegen entscheidet. Und eine zunehmend große Zahl an prinzipiell gewünschten Kindern wird aus den unterschiedlichsten Gründen dann doch nicht geboren.

Der unendliche Kosmos möglicher Familienmodelle ist bereits Realität

Der unendliche Kosmos möglicher Familienmodelle ist bereits Realität, auch wenn in den meisten Familien immer noch Ehepaare mit Kindern zusammen leben. Dennoch ist die Familie im klassischen Sinne als zentrale Perspektive hinterfragt und problematisiert worden, ihre selbstverständliche Funktion als gesellschaftliche „Klammer“ ist verloren gegangen. Das Resultat dieser für Deutschland spezifischen Situation, in der Kinder zu nur einer unter vielen Optionen im Lebensentwurf geworden sind, ist die Entstehung einer kinderfernen Gesellschaft, Kinder sind nicht mehr selbstverständlich.

Kinder sind nicht mehr selbstverständlich

Niemand kann gesellschaftliche Entwicklungen aufhalten, sie entstehen nach eigenen Gesetzmäßigkeiten. Aber wir sind davon überzeugt, dass die Frauenheilkunde das Potenzial hat, steuernd einzugreifen. Dazu möchte dieses Themenheft „Zukunft mit Kindern“ ermutigen.

Die lebhaften Debatten in der Laienpresse bezüglich einer Abnahme der Fertilität bei Frauen und Männern sollen anhand der Datenlage wissenschaftlich analysiert werden. Darüber hinaus soll ein Bewusstsein für den achtsamen Umgang mit der Fertilität sowohl bei Frauen als auch bei Männern thematisiert werden (van der Ven, Haidl).

Die Frauenheilkunde kann Mädchen und Frauen dabei unterstützen, sich nicht nur beruflich, sondern auch im Hinblick auf ihren Kinderwunsch zu emanzipieren, ihn in ihrer Lebensplanung zu stabilisieren und dem biographischen Verlust des Kinderwunsches präventiv vorzubeugen (Gille).

Dass und warum mit zunehmendem Lebensalter der Frau die Wahrscheinlichkeit einer Befruchtung und Implantation abnimmt und die Risiken für Mutter wie Kind steigen, wird von einer Medizinjournalistin und Buchautorin diskutiert, die selbst ihr erstes Kind im Alter von 41 Jahren bekam (Ritzinger).

Außerdem hält die Frauenheilkunde Möglichkeiten bereit, Frauen mit Kinderwunsch über 35 Jahren mit Hilfe der Reproduktionsmedizin zu unterstützen, damit auch diese Frauen noch mit hoher Wahrscheinlichkeit konzipieren können (Bündgen, Rody, Diedrich, Cordes).

Die Zukunft von Kindern und Familie ist das Ergebnis gesellschaftlicher Verhandlungen, in denen die Gynäkologie Sitz und Stimme haben muss. Damit agiert sie auch in ihrem ureigensten Interesse, denn für das Fach Geburtshilfe ist die anhaltend sinkende Geburtenzahl nicht ohne Konsequenzen (Vetter).

Abb. 1
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Die Mehrheit der Bevölkerung wünscht sich eine eigene Familie mit Kindern als Lebensperspektive. (© Monkey Business – Fotolia)

Frauenheilkunde in der Praxis: Entgegen üblicher Gepflogenheit finden Sie in dieser Rubrik dieses Mal die trotz aller unverblümter Ironie durchaus sehr ernst gemeinte Stellungnahme einer niedergelassenen Frauenärztin zu den Problemen der absolut sicheren Verhütung bis zum absolut optimalen Zeitpunkt für das dann optimal geplante Wunschkind – ein Apercu, das zum Nachdenken über einen Paradigmenwechsel anregen soll (Enderer-Steinfort).

Elektronisch hergestellte Nähe, beispielsweise über Facebook, trägt nicht wirklich in die Zukunft. Gesundheit und Wohlbefinden definieren sich auch und gerade für Frauen über Beziehungsqualität. Hier hat die Frauenheilkunde bei der großen Komplexität des Themas „fertility awareness“ Erhebliches anzubieten. Sich auf diesem Feld bewusst als Hausarzt der Frau im umfassenden Sinne zu positionieren, ist eine zutiefst frauenärztliche Aufgabe. Um Hölderlin zu zitieren: „Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch“.

Dass dieses Themenheft das Seine dazu beitragen möge, wünschen sich und uns Allen

Dr. Gisela Gille

Prof. Dr. Klaus Diedrich

Prof. Dr. Thomas Strowitzki