Bereits die berühmte Studie des Institute of Medicine der amerikanischen National Academy of Sciences „To err is human” von Kohn et al. 1999 Kohn LT, Corrigan JM, Donaldson MS (1999) (eds) To err is human. Building a safer health system. National Academy, Washington, DC zeigte, dass es sich bei behandlungsbedingten Gesundheitsschäden vorrangig um Systemfehler, also um Organisationsmängel, und weniger um individuelle Versäumnisse von Leistungserbringern handele. „Wenn sich Politik und Öffentlichkeit bei Behandlungsschäden ausschließlich auf die Ärzteschaft fokussiere, könnte dies zu kurz gesprungen sein“ (Weidringer). Weidringer JW (2006) Qualitätsmanagement in Klinik, Praxis und sektorübergreifender Versorgung. In: Berg, D, Ulsenheimer K: Patientensicherheit, Arzthaftung, Praxis- und Krankenhausorganisation. Springer, Berlin Heidelberg New York Tokio.

Eigene Untersuchungen in der Gutachterstelle für Arzthaftpflichtfragen bei der Landesärztekammer Bayern (Berg u. Windbichler, in Vorbereitung) lassen Ähnliches vermuten. Allerdings wird bei den dort anhängigen Verfahren in der Regel ein bestimmter Arzt angeschuldigt, einen Behandlungsfehler begangen zu haben. Eine exakte Zuordnung − „individueller Fehler“ vs. „Systemfehler“ − lässt sich daher hier nicht vornehmen, auch wenn davon auszugehen ist, dass in vielen Fällen organisatorische und logistische Defizite einem Behandlungsfehler zugrunde liegen.

Unter den 2434 der Jahre 2009-2012 von der Gutachterstelle Bayern bearbeiteten Schadensfällen waren gynäkologisch-geburtshilfliche mit nur 8,3 % vertreten. Allerdings finden sich in dieser Gruppe die meisten Groß-Schäden mit Entschädigungssummen bis zu mehreren Millionen Euro. Typisch ist der Vorwurf der verspäteten Sectio, die zu einer schweren kindlichen Hirnschädigung führte. Typisch deshalb, weil hier in der Regel Systemfehler vorliegen.

In den letzten Jahren betrug die anerkannte Behandlungsfehlerquote im Durchschnitt 32,5%.

Nach eigenen Erfahrungen bei der Auditierung von Krankenhäusern verschiedener Größenordnungen liegt in nahezu allen Häusern eine Reihe von haftungsbegründenden systematischen Fehlern vor.

In fast allen Krankenhäusern gibt es haftungsbegründende systematische Fehler

Vor dem Hintergrund von zu beobachtenden Organisationsmängeln scheint es uns geboten und hilfreich, Grundsätze der logistischen Versorgung zu besprechen. Für einige Situationen liegen Leitlinien vor (z. B. „Mindestanforderungen“ und „EE-Zeit“ von Berg sowie Berg und Ratzel), die einen Behandlungsrahmen vorgeben. Überschreitungen des Rahmens sind dabei möglich, müssen aber sorgfältig begründet werden.

Anforderungen an die Personal-Organisation – vielfach als Erschwernis empfunden – besprechen die Herren Bock und Griebeling im Beitrag „Arbeitszeitgesetz“ und Frau Ramsauer im Beitrag „Bedeutung des hohen Frauenanteils“. Herr Teichmann bespricht das wichtige Thema der Zusammenarbeit zwischen Arzt und Hebamme in der Geburtshilfe.

Herr Fiedler und Mitarbeiter erläutern die Forderungen der Neonatologen an eine optimale Versorgung des Kindes während und nach der Geburt. Und schließlich besprechen die Herren Sillem und Heitzelmann die Auswirkungen aller dieser Anforderungen an die Organisation für die Struktur mittelgroßer und kleinerer geburtshilflicher Abteilungen.

Im vorliegenden Themenheft werden Situation und Rechtsprechung des Jahres 2012 referiert und diskutiert. Hinsichtlich der Bereiche „Organisationsverschulden in der Judikatur“, „ärztlicher Personaleinsatz“, „Einarbeitung“, „Fortbildung“, „rechtliche Aspekte der interdisziplinären Zusammenarbeit“ und „Zusammenarbeit von Hebamme und Arzt in der Geburtshilfe“ sowie „Aufklärung“ und „Dokumentation“ verweisen wir auf die Literatur Berg D, Ulsenheimer K (2006) (Hrsg) Patientensicherheit, Arzthaftung, Praxis- und Krankenhausorganisation. Springer, Berlin Heidelberg New York Tokio.

Prof. Dr. Dietrich Berg, Amberg