Harninkontinenz ist ein häufiges jedoch oftmals unterversorgtes Problem, welches einen großen negativen Einfluss auf die Lebensqualität der betroffenen Personen haben kann. Mit steigender Überalterung der Gesellschaft wird das Problem weiter zunehmen und rückt daher immer mehr in den Fokus der Akteure des Gesundheitswesens und stellt perspektivisch ein relevantes globales Gesundheitsproblem dar. Die Urologie als Fachdisziplin spielt eine zentrale Rolle in der medizinischen Versorgung der Patientinnen und Patienten.

Exakte Prävalenz der Harninkontinenz ist unklar

Aufgrund der Stigmatisierung des Themas sowie einer mangelnden Versorgung ist die exakte Prävalenz der Harninkontinenz unklar, aber es wird geschätzt, dass rund 10–20 % der Bevölkerung in der Europäischen Union betroffen sind. Harninkontinenz als Folge einer Krebstherapie bzw. als Begleitsymptom einer neurologischen oder psychiatrischen Erkrankung wird oft nachranging diagnostiziert bzw. therapiert, trotz großen negativen Einflusses auf die Lebensqualität der Betroffenen. Durch entsprechende Notwendigkeit ärztlicher Konsultationen, der Hilfsmittelversorgung und der Entsorgung der Hilfsmittel bzw. einer reduzierten Produktivität sowie vermehrten Krankheitstagen und auch Folgeerkrankungen wie rezidivierende Harnwegsinfekte und eine mögliche Pflegenotwendigkeit, entstehen relevante Kosten für die Gesellschaft. Wie die Ärztezeitung zuletzt berichtete, werden die Folgekosten der Harninkontinenz für die europäische Gesellschaft im Jahr 2023 auf 40 Mrd. € geschätzt, die Prognose für das Jahr 2030 zeigt mögliche Folgekosten von über 300 Mrd. € auf, was die Zunahme des Problems plakativ beziffert. Auch die Politik hat das Problem mittlerweile erkannt und schenkt der Thematik nun zunehmend Aufmerksamkeit. Selbst in der Modebranche scheint die Awareness für das Problem Harninkontinenz gestiegen zu sein. Bei der Mailänder Modewoche wurde im Herbst 2023 eine Jeans mit dunklem Fleck im Schrittbereich, die den vielsagenden Namen „pee stain“ hat, vorgestellt.

Die europäische Gesellschaft für Urologie (European Association of Urology [EAU]) hat diese Thematik aufgegriffen und eine gemeinsame „Taskforce“ mit der World Federation for Incontinence and Pelvic Problems (WFIPP) sowie der International Continence Society (ICS) gebildet, um sich der Thematik anzunehmen bzw. Lösungen für eine adäquate medizinische Versorgung zu erarbeiten. Grundlage für diesen Zusammenschluss war die „Mental Health Strategy for Europe“ der Europäischen Kommission, die 2022 erarbeitet wurde und u. a. die bessere Versorgung der Harninkontinenz zum Ziel hat.

Auch die Deutsche Gesellschaft für Urologie e. V. ist daher aufgefordert, sich der Thematik verstärkt anzunehmen bzw. die adäquate Versorgung der Patientinnen und Patienten mitzugestalten. Eine Zunahme der Förderung von translationaler sowie klinischer Forschung zur Harninkontinenz und eine adäquate Unterstützung bei der Erfassung der „Real-life“-Daten im Rahmen der Versorgungsforschung erscheinen ebenso wichtig wie die fortgeführte Unterstützung bei der Erarbeitung entsprechender Leitlinien zur optimalen und effizienten Diagnostik und Therapie der verschiedenen Formen der Harninkontinenz.

Dieses Themenheft möchte mit einigen ausgewählten Artikeln verschiedene Aspekte zur Harninkontinenz differenzierter darstellen und Ihnen ein Update zu den verschiedenen Themen geben. Wir danken allen beteiligen Autorinnen und Autoren herzlich für Ihre Beiträge und hoffen, dass wir für Sie als Leserinnen und Leser eine interessante Auswahl an Themen getroffen haben.

Ihre Ricarda Bauer und Markus Grabbert