Einleitung

Die ärztliche Weiterbildung in Deutschland verändert sich. Mit der Verabschiedung der neuen Musterweiterbildungsordnung (MWBO) 2018 wurde durch den Deutschen Ärztetag der Weg zu einer kompetenzorientierten Weiterbildung gebahnt [5]. Darauf aufbauend hat die Deutsche Gesellschaft für Urologie (DGU) in Kooperation mit der German Society of Residents in Urology e. V. (GeSRU) sowie dem Berufsverband Deutscher Urologen (BvDU) das „Weiterbildungscurriculum Urologie“ (WECU) entwickelt. Es soll strukturiert und vergleichbar weitergebildet werden, um die Qualität der Patientenversorgung zu steigern und das Fach Urologie attraktiver für den Nachwuchs zu gestalten [25].

In den nächsten 10 Jahren wird der urologische Versorgungsbedarf um 20 % steigen [34]. Zudem werden in 15 Jahren 74 % der aktuell praktizierenden Urolog:innen berentet sein [11]. Ein verändertes ärztliches Selbstverständnis und Vorgaben des Arbeitszeitgesetzes verändern auch die urologischen Arbeitsabläufe in den Kliniken und Praxen. Eltern nehmen mehr Auszeiten für die Kindererziehung und Forschende wünschen geschützte Zeit für wissenschaftliches Arbeiten [2, 16].

Um die Weiterbildungs- und Arbeitsbedingungen urologischer Ärzt:innen in Deutschland zu diskutieren, hat die GeSRU bereits 2015 eine erste große Online-Befragung durchgeführt. Hier zeigten sich die Teilnehmenden trotz einer hohen psychosozialen Arbeitsbelastung insgesamt mit ihrer beruflichen Situation zufrieden. Sie äußerten aber deutliches Verbesserungspotential bei der Supervision sowie der Vereinbarkeit von Beruf, Familie und Forschung [3].

Ziel dieser Studie ist im Auftrag der AG Junge Urologen der DGU und der GeSRU die erneute systematische Erhebung eines Meinungsbildes über die Qualität und Rahmenbedingungen der urologischen Weiterbildung in Deutschland im Jahr 2020, um Chancen und Herausforderungen zu analysieren sowie Lösungsansätze und Perspektiven zu formulieren. Zudem soll die Lage vor der flächendeckenden Anwendung des WECU und der neuen kompetenzorientierten MWBO, welche im Juli 2020 in Kraft trat, dargestellt, sowie Veränderungen im Vergleich zur Vorumfrage von 2015 aufgezeigt werden, um die Zukunft der Urologie gemeinsam mit dem urologischen Nachwuchs zu gestalten.

Methoden

Studienpopulation

Zielgruppe der anonymisierten, digitalen Umfrage waren alle Ärzt:innen in Weiterbildung (ÄiW) für Urologie in Deutschland. Der Befragungszeitraum umfasste Juli bis Dezember 2020. Der Aufruf zur Teilnahme erfolgte über den Newsletter der GeSRU an alle eingetragenen Mitglieder, die öffentlich zugängliche GeSRU-Homepage sowie die Social-media-Kanäle der GeSRU. Erinnerungen wurden alle 2 Wochen verschickt. Zusätzlich erfolgte im Oktober die Bewerbung der Teilnahme an der Umfrage in diversen Fachzeitschriften sowie im Dezember der Versand des Umfragelinks über den E‑Mail-Verteiler der Leitenden Ärzt:innen der DGU. Die Umfrage wurde über SurveyMonkey® (Survey Monkey Inc., San Mateo, CA, USA) durchgeführt.

Fragebogen

Die Befragung umfasste insgesamt 82 Fragen mit einer minimal bzw. maximal möglichen Anzahl von 68 bzw. 77 Fragen je nach Folgeantwortlogik. Die Umfrage wurde in 8 Abschnitte unterteilt:

  1. 1.

    Arbeitsbedingungen im Berufsalltag (7–9 Fragen),

  2. 2.

    ärztliche Fort- und Weiterbildung (8 Fragen),

  3. 3.

    operative Ausbildung (13 Fragen),

  4. 4.

    Vereinbarkeit von Beruf und Familie (9 Fragen),

  5. 5.

    Einfluss ökonomischer Erwägungen auf ärztliches Handeln (7 Fragen),

  6. 6.

    Vereinbarkeit von klinischem Arbeitsalltag mit Forschung und Wissenschaft (3–7 Fragen),

  7. 7.

    arbeiten in der Schwangerschaft (0–4 Fragen)

  8. 8.

    Basisdaten (18 Fragen).

Struktur und Inhalt des Fragebogens orientieren sich zum Großteil an der Vorbefragung von 2015 sowie an Befragungen von ÄiW im Fachbereich Innere Medizin [29, 31], um eine inter- sowie intradisziplinäre Vergleichbarkeit der Erhebung zu sichern.

Erneut wurde wieder die Kurzfassung des validierten Fragebogens zum Modell der beruflichen Gratifikationskrisen verwendet (2 Fragen mit jeweils 8 Unterfragen, „Effort-reward-imbalance“[ERI]-Fragebogen mit 4‑Punkte-Likert-Skala). Dabei handelt es sich um ein Selbstbeurteilungsverfahren zur Erfassung von arbeits- und berufsbezogenen Stresserfahrungen. Das Modell geht davon aus, dass ein Missverhältnis von hohen geleisteten arbeits- bzw. berufsbezogenen Verausgabungen einerseits und niedriger Gratifikation (Belohnungen in Form von Bezahlung, Wertschätzung, beruflichem Aufstieg, Arbeitsplatzsicherheit) andererseits zu Stresserleben und gesundheitlichen Beeinträchtigungen führt. Die Gratifikationskrise fällt umso stärker aus, je höher die geleistete Verausgabung im Verhältnis zu den erfahrenen Gratifikationen ist. Außerdem wird im Modell angenommen, dass ein höheres Belastungs- bzw. Krankheitsrisiko dann besteht, wenn eine hohe berufliche Verausgabungsneigung vorliegt.

Zur Vergleichbarkeit der Ergebnisse erfolgte die Adjustierung der drei Subskalen für den Umfang des Fragebogens und die Skalierung. Der aus den adjustierten Werten von Verausgabung und Belohnung gebildete Quotient (ER-Ratio) stellt eine quantitative Abschätzung des Ausmaßes beruflicher Gratifikationskrisen dar.

Neuer Themenkomplex der Umfrage bildete der Abschnitt „Arbeiten in der Schwangerschaft“. Darüber hinaus wurden die Bereiche „Arbeitsbedingungen im Berufsalltag“ um drei Fragen und „Vereinbarkeit von Beruf und Familie“ um eine Frage erweitert sowie „Basisdaten“ um zwei Fragen reduziert und eine Frage ergänzt. Die restlichen Bereiche blieben im Vergleich zur Befragung 2015 unverändert.

Statistik

Die statistische Auswertung wurde mit SPSS 27.0 (IBM, New York, USA) durchgeführt. Als parametrische Verfahren wurden zum Vergleich von 2 Gruppen der t‑Test für unabhängige Stichproben (95 %-Konfidenzintervall [KI]) oder bei ≥ 2 Gruppen eine ANOVA mit Tukey als Post-hoc-Test verwendet. Als nicht-parametrische Verfahren kamen der Mann-Whitney-U- und der Kruskal-Wallis-Test zum Einsatz. Beobachtete und erwartete Verteilungen wurden durch Kreuztabellen verglichen und durch χ2-Test auf Signifikanz getestet. Ein p-Wert < 0,05 wurde als statistisch signifikant gewertet.

Für den jeweiligen Test wurden zusätzlich etablierte Kennzahlen der Effektstärke angegeben: t‑Test: Cohen’s d (Effektgröße für Mittelwertunterschiede), ANOVA: η2 (Anteil erklärter Varianz), MWU-test: r (Effektgröße für Medianunterschiede), χ2: Cramer‑V (Zusammenhangsmaß).

Ergebnisse

Basisdaten

Insgesamt haben 332 ÄiW an der Umfrage teilgenommen. Eine bundesweite Gesamtanzahl der ÄiW für Urologie wird in offiziellen Statistiken nicht geführt. Basierend auf dem hessischen Weiterbildungsregister und der Ärztestatistik der Bundesärztekammer gehen die Autor:innen von schätzungsweise 1780 urologischen ÄiW in Deutschland aus. Damit wurden Antworten von rund 19 % der deutschen urologischen ÄiW erfasst.

Die Basisdaten dieser Befragung sind im Vergleich zur Vorbefragung von 2015 in Tab. 1 dargestellt.

Tab. 1 Basisdaten der deutschlandweiten Befragungen von Ärzt:innen in Weiterbildung für Urologie 2015 und 2020 im Vergleich

Arbeitsbedingungen im Berufsalltag

Im Vergleich zur Vorbefragung zeigt sich eine deutlich höhere Gesamtzufriedenheit mit der beruflichen Situation unter den Befragten mit 54 % (Abb. 1). 22 % sind jedoch eher oder sehr unzufrieden, 25 % unentschieden. In Bezug auf die Fachgebietswahl Urologie sind > 79 % eher oder sehr zufrieden, 3 % sind unentschieden und 18 % sind eher oder sehr unzufrieden. Mit ihrer Weiterbildungsstätte sind nur 48 % eher oder sehr zufrieden, 27 % sind unentschieden und 24 % sind eher oder sehr unzufrieden.

Abb. 1
figure 1

Zufriedenheit von Ärzt:innen in Weiterbildung für Urologie mit ihrer beruflichen Situation der Befragungen 2015 und 2020 im Vergleich

Als Gründe für die angegebene Unzufriedenheit wurden insbesondere ein zu hoher Anteil nichtmedizinischer Tätigkeiten im Berufsalltag (42 %), die Arbeitsverdichtung (41 %) und eine mangelnde Qualität der Weiterbildung (34 %) genannt. Außerdem wurden zu viele Arbeitsstunden pro Monat (29 %), eine fehlende Anleitung und/oder Supervision (23 %), ein zu großer Einfluss ökonomischer Faktoren auf fachlich-medizinische Entscheidungen (20 %), eine schlechte Vereinbarkeit von Familie und Beruf (19 %) und eine geringe Anerkennung für geleistete Arbeit (18 %) angegeben. Seltene Gründe waren ein schlechtes Arbeitsklima (6 %), zu steile Hierarchien (5 %) oder mangelnde Autonomie (3 %). Männliche Befragte geben im Vergleich zu weiblichen Befragten signifikant häufiger einen zu hohen Anteil nicht-medizinischer Tätigkeiten im Berufsalltag als Grund für ihre Unzufriedenheit an (51 % vs. 35 %; t‑Test; p < 0,05).

Durch die Veränderungen im ärztlichen Arbeitsumfeld über die letzten 5 bis 10 Jahre sehen 78 % die Qualität der Krankenversorgung gefährdet. Gründe hierfür stellen v. a. die Arbeitsverdichtung (87 %), eine Zunahme nichtärztlicher Tätigkeiten (75 %) und mangelnde ärztliche Fort- und Weiterbildung (41 %) dar.

Eine vollständige Dokumentation von Überstunden geschieht bei 61 % der Befragten. Nur 39 % erhalten eine vollständige Vergütung ihrer Überstunden, die bei 11 % vollständig monetär, 34 % anteilig monetär und in Freizeit und bei 43 % ausschließlich durch Freizeitausgleich erfolgt. Hier ergeben sich keine signifikanten Unterschiede zwischen den drei Gruppen der Klinikträger.

Aufgrund ihrer Unzufriedenheit haben bereits 35 % der Befragten Konsequenzen gezogen, häufiger als noch 2015 (Abb. 2). 80 % haben aufgrund ihrer Unzufriedenheit zumindest erwogen ihre Arbeitssituation zu verändern.

Abb. 2
figure 2

Konsequenzen aus Unzufriedenheit über ihre Arbeitsbedingungen der Befragungen 2015 und 2020 im Vergleich (Mehrfachantworten möglich)

Ärztliche Fort- und Weiterbildung

Rund 23 % bekamen von ihrem Weiterbildenden eine Struktur für die Weiterbildung in Form eines Curriculums oder Weiterbildungsplans. Die Hälfte (51 %) rechnet damit, innerhalb der Regelweiterbildungszeit von 5 Jahren die vorgeschriebene Weiterbildungsinhalte zu absolvieren. Ein ambulanter Weiterbildungsabschnitt wurde bisher von 3 % absolviert, ist von 6 % geplant und wird von 41 % der Befragten gewünscht.

Jährliche Weiterbildungsgespräche mit dem Weiterbildungsermächtigten finden in 32 % der Fälle in der geforderten Regelmäßigkeit und in 47 % unregelmäßig statt. Hiervon waren nur 26 % der Ansicht, dass die Gespräche für ihre Weiterbildung hilfreich seien. 22 % der Befragten haben keine Weiterbildungsgespräche.

Regelmäßig durchgeführte interne Fortbildungen finden v. a. in einem wöchentlichen (55 %) oder einem monatlichen (27 %) Rhythmus statt. 21 % berichten über keine internen Fortbildungsveranstaltungen in ihrer Abteilung. Externe Fortbildungen erachten 48 % als hilfreich und 45 % sogar als unerlässlich, um die Kompetenzen der Weiterbildungsordnung zu erlernen.

Operative Ausbildung

Die kumulative Anzahl der selbstständig durchgeführten Operationen differenziert nach Weiterbildungsjahr (WBJ) ist in Abb. 3 dargestellt. Im fünften Weiterbildungsjahr liegt die mediane kumulative Anzahl der selbstständig durchgeführten Operationen bei 102 Eingriffen (1. Quartil 53, 3. Quartil 189).

Abb. 3
figure 3

Kumulative Anzahl der selbstständig durchgeführten Operationen: a alle Operationen, b kleine Operationen, c endourologische Operationen, d große Operationen

Bei 45 % der Befragten werden Eingriffe bescheinigt, ohne sie durchgeführt zu haben. Lediglich 28 % führen alle laut WBO geforderten Eingriffe selbst durch. 27 % erfüllen den Operationskatalog nicht vollständig. 64 % der befragten ÄiW sind unzufrieden mit der Art und Häufigkeit ihrer operativen Einsätze.

Vereinbarkeit von Beruf und Familie

Dass in ihrer Abteilung keine Maßnahmen ergriffen werden, um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu unterstützen, geben 38 % an. Bei 44 % erfolgt eine Unterstützung durch individuelle Arbeitszeitmodelle, bei 25 % durch Kinderbetreuung. Gesonderte Sozialleistungen wie finanzielle Unterstützung und Notfallkinderbetreuung (5 %) und ein spezielles Schichtsystem (2 %) gibt es nur selten.

Keine Stellen mit reduzierter Wochenarbeitszeit könnten 32 % der Teilnehmenden in ihrer Abteilung in Anspruch nehmen. Es zeigen sich hierbei keine signifikanten Unterschiede in Abhängigkeit von der Trägerschaft der Klinik. 61 % der Arbeitgeber bieten eine betriebliche Kinderbetreuung an, die allerdings aufgrund begrenzter Kapazitäten und nicht passender Betreuungszeiten nur in 20 % genutzt wird bzw. werden könnte. Öffentliche Klinikträger bieten signifikant häufiger eine Kinderbetreuung an als Freigemeinnützige. Tab. 2 gibt einen Überblick über die subjektive Zufriedenheit zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie die Aufteilung der Elternzeit.

Tab. 2 Subjektive Zufriedenheit zum Thema Vereinbarkeit von Beruf und Familie und die Aufteilung der Elternzeit differenziert nach Geschlecht und im Vergleich zu 2015 (in Schulnoten 1–6)

Arbeiten in der Schwangerschaft

Während ihrer klinischen Tätigkeit waren bereits 26 % (35/134) der befragten Frauen schwanger, davon haben 57 % (20/35) schwanger operiert. Von diesen würden 95 % (19/20) in einer weiteren Schwangerschaft wieder operieren wollen. 79 % (78/99) der befragten Frauen, die noch nicht schwanger waren, würden gerne auch schwanger operieren. Operierende Schwangere haben durchschnittlich in der 11. ± 4,6 Schwangerschaftswoche (SSW) ihre Schwangerschaft bekannt gegeben, bis zur 19. ± 9,4 SSW operiert und bis zur 25. ± 8,4 SSW gearbeitet. Die Abb. 4 zeigt die gewünschten Tätigkeiten im Vergleich zu den tatsächlich durchgeführten Tätigkeiten schwangerer ÄiW (Mehrfachauswahl möglich).

Abb. 4
figure 4

Tätigkeiten schwangerer Ärztinnen in Weiterbildung für Urologie

Einfluss ökonomischer Erwägungen auf ärztliches Handeln

Es berichteten 85 % der Befragten, dass ökonomische Erwägungen ihre ärztlich-fachlichen Entscheidungen beeinflussen. Bei 35 % war dies selten, bei 31 % jede Woche und bei 20 % beinahe täglich. 69 % werden über die Verweildauer ihrer Patient:innen beispielsweise durch das Controlling oder die Kliniksoftware informiert, davon werden etwa ein Viertel (24 %) sogar durchgehend darauf hingewiesen. Zwei Drittel (66 %) der Befragten haben den Eindruck, dass die Verweildauer den Entlassungszeitpunkt unabhängig von rein medizinisch-fachlichen Erwägungen beeinflusse. Unter einem privaten oder freigemeinnützigen Arbeitgeber wird eine signifikant häufigere Beeinflussung gesehen (79 %/75 % vs. 58 %; ANOVA/Tukey; p = 0,009; η2 = 0,04). Arbeitgeber in privater Trägerschaft führen signifikant häufiger DRG-Schulungen durch als Arbeitgeber in öffentlicher oder freigemeinnütziger Trägerschaft durch (53 % vs. 26 %/25 %; ANOVA/Tukey; p = 0,001; η2 = 0,05). 31 % werden durch ein „case management“ bei der Stationsarbeit unterstützt.

Urologische ÄiW fühlen sich durch den wirtschaftlichen Druck in der Klinik signifikant häufiger belastet, wenn sie bei einer privaten Trägerschaft im Vergleich zu einer öffentlichen Trägerschaft angestellt sind (40 % vs. 17 %). 63 % der Befragten empfinden, dass sich der wirtschaftliche Druck in der Klinik negativ auf ihre Weiterbildung auswirke.

Vereinbarkeit von klinischem Arbeitsalltag mit Forschung und Wissenschaft

Eine Promotion haben 45 % abgeschlossen. In dieser Umfrage geben 13 % bzw. 71 % an, keine Promotion bzw. Habilitation anzustreben. 46 % der Befragten sind derzeit wissenschaftlich tätig, von denen 71 % unzufrieden mit ihren Forschungsbedingungen sind. Männer sind oder planen signifikant häufiger als Frauen wissenschaftlich tätig zu sein (58 % vs. 35 %; t‑Test; 95 %-KI −0,35 bis −0,10; p = 0,001; Cohen’s d = 0,49). Bei der Hälfte der wissenschaftlich Tätigen findet die Forschung außerhalb der regulären klinischen Arbeitszeit statt. Dies stellt mit 80 % den meistgenannten Grund für Unzufriedenheit mit den Forschungsbedingungen dar. Die ÄiW, die nicht wissenschaftlich tätig sein wollen, begründen dies zu 73 % mit fehlender Zeit, zu 50 % mit fehlender Relevanz für ihre Karriere und zu 30 % mit fehlendem wissenschaftlichem Interesse.

Modell beruflicher Gratifikationskrisen

Die adjustierten Ergebnisse der Erhebung der psychosozialen Arbeitsbelastung nach dem Modell der beruflichen Gratifikationskrisen sind in Tab. 3 dargestellt. Die vorliegende Befragung zeigt eine erhöhte psychosoziale Arbeitsbelastung urologischer ÄiW mit einem Ungleichgewicht von Verausgabungs- und Belohnungsfaktoren (Verausgabungs-Belohnungs-Verhältnis, ER-Ratio > 1). 86 % der Befragten weisen eine ER-Ratio > 1 auf, 25 % sogar eine ER-Ratio > 2.

Tab. 3 Psychosoziale Arbeitsbelastung nach dem Modell der beruflichen Gratifikationskrisen

Befragte mit fortgeschrittener Weiterbildung haben höhere ER-Ratios. Bei Vorliegen eines strukturierten Weiterbildungscurriculums innerhalb des Klinikums zeigt sich eine signifikant geringere ER-Ratio als in der Vergleichsgruppe (t-Test; 95 %-KI −0,74 bis −0,20; p < 0,001; Cohen’s d = 0,33). Je gefährdeter die Befragten die Qualität der Krankenversorgung sehen, desto höher liegt deren ER-Ratio (Antwortmöglichkeiten „Weiß nicht“ und „Nein, überhaupt nicht“ ausgeschlossen; ANOVA/Tukey; p < 0,001; η2 = 0,10, „Nein, eher nicht“ vs. „Ja, sehr deutlich“: 95 %-KI −1,74 bis −0,38, p < 0,001; „Ja, eher schon“ vs. „Ja, sehr deutlich“: 95 %-KI −1,37 bis −0,42, p < 0,001).

Signifikante Unterschiede der ER-Ratios liegen zudem bei einer Differenzierung nach Geschlecht (t-Test; 95 %-KI 0,01 bis 0,73; p = 0,039; Cohen’s d = 0,26), nach der wöchentlichen Arbeitszeit (ANOVA/Tukey; p = 0,034; η2 = 0,03, < 50 h vs. ≥ 60 h: 95 %-KI −1,19 bis −0,05, p = 0,029) und nach der Anzahl der Dienste (Antwortmöglichkeit „0“ ausgeschlossen; ANOVA/Tukey; p = 0,025; η2 = 0,03, 4–6 vs. ≥ 7: 95 %-KI −1,23 bis −0,07, p = 0,023) vor.

Diskussion

Ziel dieser Arbeit ist eine aktuelle Erhebung der Arbeits- und Weiterbildungsbedingungen der angehenden Urolog:innen in Deutschland vor der flächendeckenden Anwendung der 2018 novellierten MWBO [5] und des WECU [25]. Zudem erfolgt ein Vergleich mit den Ergebnissen der Vorbefragung von 2015. Ein neuer Schwerpunkt in dieser Arbeit ist das Operieren in der Schwangerschaft. Mit dieser Umfrage sollen Stärken und Konfliktfelder in der urologischen Weiterbildung sowie Verbesserungs- und Entwicklungsmöglichkeiten aufzeigt werden, um Medizinstudierende für das Fach Urologie zu begeistern und den urologischen Nachwuchs bestmöglich aus- und weiterzubilden. Im Vergleich zur Vorbefragung von 2015 zeigt sich eine etwas geringere Rücklaufquote. Gründe hierfür könnten in der während der COVID-19-Pandemie („coronavirus disease 2019“) bestehenden höheren Arbeitsbelastung sowie großen Anzahl an parallel durchgeführten Online-Befragungen liegen. Außerdem wäre es möglich, dass weniger ÄiW als 2015 eine solche Umfrage als sinnvoll erachten bzw. glauben, durch solche Umfragen etwas bewirken zu können und sich deshalb gegen eine Teilnahme entschieden haben.

Ärztliche Weiterbildung

Bereits 2015 waren die Befragten mit ihrer beruflichen Situation durchaus zufrieden. Diese Zufriedenheit steigerte sich in dieser Umfrage um 10 % auf 54 %. Auch die Wahl des Faches Urologie war für fast 80 % die Richtige. Gleichzeitig denken mehr ÄiW darüber nach, die Arbeitszeit zu reduzieren oder den Arbeitsplatz zu wechseln und setzten diese Überlegungen auch öfter als vor 5 Jahren um (Abb. 2). Als Gründe für Unzufriedenheit wurden v. a. ein zu hoher Anteil an nichtmedizinischer Tätigkeiten, die Arbeitsverdichtung und eine mangelhafte Weiterbildung genannt. Laut einer Umfrage des Marburger Bundes [17] fühlt sich fast die Hälfte der Ärzt:innen häufig überlastet. 75 % der Befragten werden von ihrer Arbeit so stark in Anspruch genommen, dass dadurch deren Privat- und Familienleben leidet. Die durchschnittliche wöchentliche Arbeitszeit bei Ärzt:innen in Vollzeit liegt bei 56,5 h – die gewünschte Wochenarbeitszeit dagegen nur bei 42,3 h. Somit werden 14 h mehr als gewünscht pro Woche gearbeitet – und wie diese Umfrage zeigt, weder systematisch erfasst noch finanziell honoriert. Wertschätzung durch Vorgesetzte, verlässliche Arbeitszeiten und Entlastung durch IT und medizinische Dokumentare könnten Abhilfe leisten [20, 32]. Hierdurch wird auch die Klinik als Arbeitgeber attraktiver. In der Folge sinkt die Personalfluktuation, es müssen weniger Mitarbeitende eingearbeitet werden und die Weiterbildung kann strukturierter erfolgen.

Die vorliegende Erhebung zeigt, dass nur bei einem Viertel der Befragten eine strukturierte Weiterbildung und bei weniger als einem Drittel die vorgesehenen jährlichen Weiterbildungsgespräche stattfinden. Finden Weiterbildungsgespräche statt, führen davon nur 20 % zu einem subjektiven Mehrwert für die Weiterbildung. Hieraus lassen sich Verbesserungsmaßnahmen ableiten, die mit wenig Aufwand umgesetzt werden können: Geschulte Weiterbildungsbefugte, ein transparentes Weiterbildungscurriculum (z. B. das WECU) und standardisierte, zielorientierte Mitarbeiter:innengespräche sind kostengünstige, einfache und wirksame Werkzeuge, um die Zufriedenheit und die Weiterbildung und damit auch die Versorgungsqualität zu verbessern [13, 19, 22, 33].

Operative Ausbildung

Obwohl sich der Trend eines nicht vollständig erfüllen Operationskatalog zu 2015 verstärkt, geben nun die ÄiW an mehr zu operieren. Dies untermauert, dass eine kompetenzbasierte Weiterbildung sinnvoller als eine zahlenorientierte ist und der Realität mehr entspricht. Über 60 % der angehenden Urolog:innen sind wie auch schon vor 5 Jahren unzufrieden mit ihrer operativen Ausbildung. Ebenso viele sind der Meinung, dass die Weiterbildungsoperationen weder transparent noch fair verteilt werden. Ein strukturiertes, transparentes Curriculum stellt auch in der operativen Weiterbildung eine Lösung dar [5,6,7,8, 24, 27]. Es sollte einen theoretischen Ausbildungsteil, Simulationstraining und die praktische strukturierte Ausbildung beinhalten. Ein vergleichbarer, einheitlicher Ausbildungsstand der ÄiW erleichtert zudem die Personalplanung bei einem Stellenwechsel.

Vereinbarkeit von Beruf und Familie

Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie, Planung der Elternzeit und der Wiedereinstieg werden konstant, wie auch schon 2015, mit der Schulnote 3 bis 4 bewertet. Eine reduzierte Wochenarbeitszeit scheint individuell weiterhin schwierig umsetzbar zu sein, wird aber vermehrt angeboten (2020: 44 % vs. 2015: 36 %). Erstaunlich ist, dass im Jahr 2020 noch immer 23 % der Kliniken (2015: 28 %) gar keine Teilzeitmodelle anbieten. Laut der Befragung des Hartmannbundes [15] empfinden 66 % die Arbeitsbelastung als so groß, dass das Privat- und Familienleben darunter leiden weil soziale Kontakte abbrechen und familiäre Zuwendung vernachlässigt wird. Dass der Arbeitgeber keine flexible Arbeitszeitengestaltung ermöglicht wird in derselben Umfrage von 45 % als das größte Hindernis bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf angesehen. Die Autor:innen schließen sich den Empfehlungen des BMSFJF [12] an und fordern die Krankenhäuser als Arbeitgeber auf Vereinbarkeitsangebote zu kommunizieren, flexible Arbeitszeitmodelle zu fördern, Entlastungsangebote und Kinderbetreuung anzubieten und Karrieren nicht an Vollzeittätigkeit zu binden.

Arbeiten in der Schwangerschaft

Die überwiegende Mehrheit der Ärztinnen in Weiterbildung möchte gerne schwanger operieren [30]. Gefragt nach den Tätigkeiten, welche schwangere ÄiW ausüben dürfen und welche sie tatsächlich ausüben, zeigt sich eine Diskrepanz der Erwartungen und der gelebten Realität (Abb. 4). Gut ausgebildeten, in den Klinikablauf integrierten Urologinnen sollte es möglich sein, unter vollem Mutterschutz weiterzuarbeiten. Weitere Arbeiten bestätigen, dass die große Mehrheit der ÄiW auch schwanger operieren will [14, 21, 21, 23]. Auch das Mutterschutzgesetz (MuSchG), zuletzt 2018 novelliert, erlaubt Interventionen. 2021 beleuchteten Arnold et al. erstmals die haftungsrechtlichen Aspekte für schwangere urologisch Tätige [4]. Unter Berücksichtigung der Vorschriften des MuSchG übersteigt das Haftungsrisiko nicht jenes, welches der Arbeitgeber i. Allg. zu tragen hat. Arbeitsverbote gegen den Willen der Schwangeren sollten somit vermieden werden [26].

Einfluss ökonomischer Erwägungen auf ärztliches Handeln

Die Ökonomisierung ist im Arbeitsalltag der Befragten weiterhin spürbar. Dabei stieg im Vergleich zur Vorbefragung sowohl der Anteil, der den wirtschaftlichen Druck als belastend empfindet (45 % vs. 38 %), als auch der Anteil, der negative Auswirkungen auf seine Weiterbildung empfindet (63 % vs. 55 %). Ähnliche Zahlen erheben auch Weiterbildungsumfragen aus anderen Fachrichtungen [18]. Junge Mediziner:innen wünschen sich, dass ökonomische Aspekte medizinisch-fachliche Entscheidungen weniger beeinflussen [32]. Dass konkrete Konzepte wie Forschung und Weiterbildung in der Vergütung der Krankenversorgung berücksichtigt werden können, wäre wünschenswert. Es sollte festgelegt werden, wie ökonomische Erwägungen in der Aus- und Weiterbildung des ärztlichen Nachwuchses geschult werden und wo die Grenzen dieser ökonomischen Erwägungen liegen sollten.

Vereinbarkeit von klinischem Arbeitsalltag mit Forschung und Wissenschaft

Forschung und Wissenschaft sind für die Befragten weiterhin schwer mit dem klinischen Arbeitsalltag zu vereinbaren. Der Trend zur Promotion und Habilitation geht etwas zurück. 13 % bzw. 71 % geben an, keine Promotion bzw. Habilitation anzustreben; 3 % mehr als 2015. Die generelle Bereitschaft, wissenschaftlich zu arbeiten, steigt jedoch deutlich um 7 % auf 46 %. 56 % der Männer geben an, wissenschaftlich zu arbeiten oder dies vorzuhaben (2015: 53 %), jedoch nur 35 % (2015: 29 %) der Frauen. Warum dieser signifikante Unterschied zwischen den Geschlechtern besteht, kann diese Umfrage nicht abschließend beantworten. Die Autor:innen schließen sich dem Maßnahmenkatalog zur urologischen Forschungsförderung von Ralla et al. an, der strukturell ausgebaute Clinical-scientist-Programme und Forschungsfreistellungen fordert. Des Weiteren sollten die bereits bestehenden Forschungsförderungen aktiver beworben, ein DGU-eigenes Stipendienprogramm etabliert werden [28].

Modell beruflicher Gratifikationskrisen

Im Vergleich zur Vorbefragung zeigt sich insgesamt eine deutlich höhere ER-Ratio einerseits und eine geringere Verausgabung, Belohnung und Verausgabungsneigung andererseits (2015: ER-Ratio 1,37 ± 0,42, Verausgabung 83 ± 14, Belohnung 64 ± 12, Verausgabungsneigung 63 ± 14). Vergleichbare Umfragen aus anderen medizinischen Fachdisziplinen wiesen ebenfalls eine hohe psychosoziale Arbeitsbelastung auf [18]. Dabei liegt die ER-Ratio dieser Befragung im oberen Mittelfeld. Studien belegen, dass eine erhöhte psychosoziale Arbeitsbelastung negativen Einfluss auf die Gesundheit und insbesondere auf ein erhöhtes Burnout-Risiko haben kann [9]. Eine hohe psychosoziale Arbeitsbelastung kann die Behandlungsqualität verschlechtern [20, 32]. Auch diese Arbeit bestätigt diesen Zusammenhang: Je ausgeprägter die Gratifikationskrise ist, desto stärker sehen die Befragten die Qualität der Krankenversorgung gefährdet.

Limitationen

Bei Beurteilung der Studienergebnisse ist die Möglichkeit einer Stichprobenverzerrung zu berücksichtigen. Gegebenenfalls sind mehr unzufriedene ÄiW der Einladung zur Teilnahme gefolgt. Des Weiteren kann nicht ausgeschlossen werden, dass Mitmachende die Befragung mehrfach ausfüllten. Da die Beantwortung relativ lange dauert (ca. 25 min) sollte der Anteil vernachlässigbar sein. Es ist möglich, dass neben ÄiW auch Fachärzt:innen sowie ÄiW aus Österreich und der Schweiz an der Umfrage teilnahmen, da die GeSRU-Mitgliedschaft und der GeSRU-E-Mail-Verteiler nicht an den Weiterbildungsstatus oder Tätigkeitsort gebunden sind.

Fazit für die Praxis

  • Urologische Ärzt:innen in Weiterbildung sind mit ihrem Beruf zufrieden, äußern aber wie schon 2015 deutliche Kritik an den bestehenden Arbeits- und Weiterbildungsbedingungen.

  • Im stark verdichteten Arbeitsalltag fehlt es in der Weiterbildung an Struktur, Transparenz sowie an familien- und forschungsfreundlichen Arbeitsbedingungen.

  • Die überwiegende Mehrheit der befragten Ärztinnen in Weiterbildung möchte auch schwanger gerne operieren.

  • Subjektiv beeinflussen ökonomische Maßgaben medizinische Entscheidungen.

  • Die psychosoziale Arbeitsbelastung ist weiterhin sehr hoch mit negativen Folgen für die Behandlungsqualität, die Gesundheit der Ärzt:innen und die Personalfluktuation.

  • Für eine gute ärztliche Weiterbildung sind Zeit, Struktur und Feedback wesentliche Faktoren.