Einleitung

Keine andere Erkrankung hat die medizinische Versorgung und die Politik weltweit vor ähnlich große Herausforderungen gestellt als die COVID-19-Pandemie („coronavirus disease 2019“). Zunächst traf die erste Welle Europa nahezu unvorbereitet mit einer hohen Virulenz von COVID-19 bei gleichzeitig lokalen Hotspots (Südtirol, Norditalien, Tirol, Elsass, Katalonien, Nordoberpfalz), was sehr schnell eine Überlastung der regionalen Behandlungszentren zur Folge hatte, während andere Regionen (Thüringen, Sachsen, Süditalien) oder Länder (Bulgarien, Griechenland) kaum betroffen waren [1,2,3]. Inzwischen erleben wir die zweite Welle, die von einer höheren Inzidenz geprägt ist bei europaweit deutlich niedriger Mortalitätsrate. Die aber insgesamt sehr hohe Anzahl betroffener Patienten belastet die medizinischen Systeme erneut. Dabei kommt hinzu, dass sich auch deutlich mehr medizinisches Personal unter den Infizierten befindet.

Für die Urologie hat die COVID-19-Pandemie im Frühjahr 2020 in erster Linie eine signifikante Einschränkung der operativen Kapazität bei gleichzeitiger Bettenreduktion in den Kliniken bedeutet [1,2,3,4]. Es ging darum, im Sinne unserer Patienten, wenigstens eine dringliche Versorgung bei Notfällen und Tumorerkrankungen zu gewährleisten. In Deutschland wurde sehr frühzeitig von der Deutschen Gesellschaft für Urologie (DGU) eine Priorisierungsliste der urologischen Operationen publiziert, die auch wesentlichen Eingang in die Empfehlungen der Guidelines Office Rapid Reaction Group der Europäischen Urologischen Gesellschaft (EAU) fand [5, 6].

Signifikante Einschränkung der operativen Kapazität bei gleichzeitiger Bettenreduktion

Es bestand also schon zu diesem Zeitpunkt einer effektive Kommunikation und Zusammenarbeit der Urologischen Zentren in Europa. Diese existiert bis zum heutigen Tage, wo wir mit der zweiten COVID-19-Welle konfrontiert werden (Abb. 1). Diese Welle ist interessanterweise von einer deutlich höheren Kontagiosität und damit Inzidenz geprägt bei allerdings niedriger Virulenz, was sich in der signifikant niedrigeren inzidenzbezogenen relativen Mortalität widerspiegelt (Abb. 1c).

Abb. 1
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Verlauf der COVID-19-Pandemie („coronavirus disease 2019“) in Europa: a Vergleich der Inzidenzen, b Vergleich der Mortalität, c Vergleich der inzidenzbezogenen relativen Mortalität (KW Kalenderwoche)

Wir wollen in diesem Artikel die unterschiedlichen Ansätze und deren zeitlicher Ablauf in den europäischen Nachbarländern beleuchten, mit dem Ziel, neue Erkenntnisse für uns Urologen in Europa zu gewinnen.

Material und Methoden

Basierend auf einer Recherche der relevanten europäischen Literatur zum Management der COVID-19-Pandemie in der Urologie dokumentieren wir seit März 2020 exakt Inzidenz und Mortalität in Deutschland, Spanien, Italien und Frankreich. Dies basiert auf den von der Berliner Morgenpost täglich publizierten Daten, welche sich aus den Meldungen des Robert-Koch-Instituts, der Deutschen Länder und des Johns-Hopkins-Instituts in Baltimore, USA, zusammensetzt [7]. Es erfolgte zudem eine Umfrage und Dokumentation der jeweils aktuellen Belegungssituation in den verschiedenen Ländern und Regionen mit dem Schwerpunkt auf die aktuelle Situation der Urologischen Kliniken. Die entsprechend erhobenen Befunde wurden mit den beteiligten Autoren diskutiert.

Die erste Welle der Coronapandemie

Die Historie der Entwicklung der COVID-19-Pandemie ausgehend von China ist weitestgehend bekannt [8, 9]. Waren es zunächst einzelne Infizierte in Europa mit Kontakten nach China, entstanden im Laufe des Februars 2020 einzelne regionale Hotspots. Dabei wurde v. a. in den Skigebieten in den Alpen die Bedeutung einer unentdeckten Coronainfektion als Trigger der Pandemie völlig unterschätzt. Im Wesentlichen zeigten sich zunächst drei Ereignisse als entscheidend für die schlagartige Verbreitung des Virus mit einem entsprechend hohen effektiven Reproduktionsfaktor von bis zu 3,0:

  • Faschingsveranstaltungen wie in Heinsberg,

  • Aprés-Ski-Events wie in Ischgl,

  • Gottesdienste wie in Mulhouse.

Dabei spielte außerdem das Reisen eine entscheidende Rolle für die rasche Verbreitung des Virus. Außer in Deutschland waren die betroffenen Länder unzureichend auf die Bewältigung der Pandemie vorbreitet, was an der vergleichsweise mangelhaften Infrastruktur (Beatmungsgeräte, Intensivkapazität, Personal) lag. Bedingt durch den Krankheitsverlauf der schweren COVID-19-Fälle mit einer Inkubationszeit von 7–10 Tagen und einem durchschnittlichen Aufenthalt auf der Intensivstation von 12–14 Tagen kam es innerhalb von 3 Wochen zu einer teilweise völligen Dekompensation der Patientenversorgung [2, 3, 8,9,10,11,12,13].

Die intereuropäische Zusammenarbeit setzte erst spät ein, so dass intensivpflichtige Patienten vom Elsass eher mit den TGV nach Südfrankreich transportiert wurden als in Zentren mit noch freien Kapazitäten im benachbarten Baden-Württemberg. Dies erfolgte erst später mit erfolgreicher Behandlung der Patienten in Mannheim, Freiburg, Heilbronn oder Ulm.

Reaktionsmuster der Regierungen in Europa auf die erste COVID-19-Welle

Interessanterweise unterschieden sich die ersten regionalen Maßnahmen nicht wesentlich in Europa (Tab. 1): Erster Schritt war die Isolierung von COVID-19-positiven Patienten, zunächst begrenzt auf einzelne Gruppen (Rheinland-Pfalz), danach folgte die Abriegelung ganzer Orte, wie in Norditalien oder Heinsberg. Es gelang damit aber nicht die Pandemie wesentlich zu beeinflussen.

Tab. 1 Verlauf und Intensität des ersten Lockdown wegen COVID-19 („coronavirus disease 2019“) in Europa – erste Welle

Der Verlauf der Pandemie war sehr unterschiedlich

Italien startete als erstes Land mit einem schrittweisen Lockdown: Schon am 24. Februar schlossen Schulen und Universitäten, Restaurants am 5. März und am 9. März erfolgte der komplette Lockdown mit absolutem Reiseverbot. Spanien schloss erst am 13. März die Restaurants gefolgt von einem kompletten Lockdown am 21. März. Frankreich startete gleich am 18. März mit einem kompletten Lockdown gefolgt von Deutschland am 23. März. Das war auch das Datum für europaweite Grenzschließungen.

Dennoch war der Verlauf der Pandemie sehr unterschiedlich (Tab. 2): Spanien hatte die höchste maximale Inzidenz mit 112 Fällen/100.000 Einwohnern. Während Deutschland bei nur 50 Fällen/100.000 Einwohnern lag. Aber auch die inzidenzbezogene Mortalität unterschied sich stark (Abb. 1c): In Italien erreichte sie in der 14. Kalenderwoche (KW) mit 17 % ihren Höchststand (5933 Tote bei 32.131 Fällen), in Spanien lag der Gipfel in der 18. KW bei 21 %, in Frankreich in der 16. KW bei 34 %, während die relative Mortalität in Deutschland ihren Zenit in der 19. KW bei nur 12 % hatte.

Tab. 2 Vergleich der beiden Coronawellen – erste Welle (COVID-19)

Entscheidend hierfür war also sicher nicht der Zeitpunkt des Lockdown, sondern die Infrastruktur und Intensivkapazitäten in den jeweiligen Ländern. Sie wurden in Deutschland zu keinem Zeitpunkt der ersten Welle völlig ausgeschöpft. Dies war in unseren europäischen Nachbarländern nicht der Fall [2, 3, 9, 11,12,13].

Allerdings kam hier auch für die Urologischen Kliniken der finanzielle Anreiz des Bundesgesundheitsministeriums für freie Betten für COVID-19-Patienten von 560 €/Tag erschwerend hinzu. Dies führte zur abstrusen Situation, dass beispielsweise an manchen Kliniken in Deutschland Urologische Stationen während der Pandemie leer standen, um für die vermeintliche „zweite Welle“ gerüstet zu sein.

Der komplette Lockdown war in allen europäischen Ländern erfolgreich, wobei nach 2 Wochen der Inzidenzzenit erreicht wurde und es anschließend zu einem deutlichen Abfall in allen Ländern mit einem konstanten effektiven Reproduktionsfaktor von 0,7 kam (Abb. 1a). Dies setzte sich auch nach der schrittweisen Beendigung des Lockdown fort. Entscheidend war zu diesem Zeitpunkt sicher auch das Reiseverbot mit erneuten Grenzkontrollen im Schengen-Raum.

Einfluss der ersten Welle auf die Urologischen Kliniken in Europa

Für die Urologischen Kliniken in Europa waren die Auswirkungen dementsprechend sehr unterschiedlich (Tab. 1). Sie reichten von der absoluten Umwidmung der Urologischen Stationen und COVID-19-Stationen, wie in Norditalien oder in Elsass-Lothringen (Grand Est), bis hin zu einer leichten Einschränkung der Operationskapazität, wie in Bulgarien. Häufig wurden auch, wie in Barcelona oder Modena, zwei Wochenarbeitsschichten gebildet, um das Infektionsrisiko für das ärztliche Personal zu reduzieren. In Deutschland kam es nur in absoluten Hotspotregionen (wie in Weiden) zu einem nahezu völligen Lockdown der Versorgung urologischer Patienten [1]. In diesem Zusammenhang war die frühzeitig von der DGU erarbeitete und publizierte Priorisierungsliste urologischer Eingriffe (Notfall – hohe Dringlichkeit – mittlere Dringlichkeit – Elektiveingriff) hilfreich in der Diskussion mit Verwaltung, Corona-task-Force und den anderen Fachabteilungen [1, 5]. Die Kliniken in Deutschland konnten sich sehr gut daran orientieren und dies umsetzen, was die Studie von Harke et al. [10] demonstriert.

Beendigung des Lockdown und sommerliche Interimsphase

Der Lockdown wurde mehr oder weniger einheitlich in der 19. KW (4. Mai 2020) schrittweise in Europa aufgehoben. Für die Kliniken bedeutete dies eine Öffnung in 2‑Wochen-Intervallen (75–90 % Bettenkapazität). Wegen des zeitlichen Verzugs von 2 bis 3 Wochen hinkte die Mortalität entsprechend hinterher (Abb. 1b). Die Grenzen öffneten erst am 15. Juni 2020 (24. KW), am 21. Juni öffnete Mallorca für Touristen (25. KW), was zunächst keinen Einfluss auf das Infektionsgeschehen hatte. Es kam zu einem weiteren Abfall der Inzidenz bis zur 27. KW. Dann triggerten v. a. Reiserückkehrer, Fremdarbeiter (Erntehelfer, Fleischproduktion), größere Familienevents (Hochzeitsfeiern) erneut lokale Hotspots, die wieder zu lokalen Lockdown-Maßnahmen führten.

Größere Veranstaltungen waren in ganz Europa untersagt, allerdings fand die Tour de France statt, während in den Bundesligastadien maximal 12.000 Zuschauer (Union Berlin) zu gelassen waren. Es begann aber eine ausgedehnte Urlaubsreiseaktivität begleitet von Öffnungen der Bars und Discos in den Urlaubsorten.

Die zweite Welle der Coronapandemie

Die eigentliche zweite Welle begann ausgehend von Spanien und Frankreich (Mittelmeerraum) schon Anfang September (36. KW). In Deutschland und Italien kam es erst Anfang Oktober (42. KW) zu einem starken Anstieg mit einem effektiven Reproduktionsfaktor zwischen 1,6 und 1,8 (Abb. 1c). Die zweite Welle erreichte aber die Krankenhäuser zunächst kaum, was sich in der niedrigen Mortalitätsrate widerspiegelte.

Die deutlich geringere Virulenz des wohl inzwischen mutierten Virus spiegelt sich in der konstant niedrigen inzidenzbezogenen relativen Mortalität wider, die zunächst europaweit bei <1 % lag (Abb. 1c). Allerdings zeichnet sich „COVID-20“ durch eine signifikant höhere Kontagiosität aus. Diese Phänomene können nicht allein durch Begleitfaktoren wie erhöhte Testkapazitäten, Mehrfachtests bei gleichen Patienten, eine höhere Anzahl an jüngeren infizierten Patienten oder durch falsch-positive PCR-Tests („polymerase chain reaction“) erklärt werden. Inzwischen besteht in allen Ländern in Europa eine echte Pandemie, die kaum eine Region ausspart. Außerdem ist jetzt eine echte Mutation ausgehend von England diagnostiziert worden.

„COVID-20“ zeichnet sich durch eine signifikant höhere Kontagiosität aus

Die extreme Zunahme der Inzidenz belastet inzwischen die medizinischen Systeme in Europa trotz der geringeren Virulenz sehr stark (Tab. 3): Lag die maximale Inzidenz in Frankreich während der ersten Welle bei maximal 31.275 (14. KW) betrug sie in der 45. KW (381.080) mehr als das 10-Fache! In Deutschland liegen die Zahlen etwas niedriger (14. KW 41.346; 46. KW 154.658). Somit kam es dennoch zu einem deutlichen Anstieg der absoluten Todeszahlen, die inzwischen über denen der ersten Welle liegen. Entscheidend ist auch, dass bei diesen hohen Zahlen eine effektive Nachverfolgung der Kontaktpersonen durch die Gesundheitsämter nicht mehr möglich ist.

Tab. 3 Vergleich der beiden Coronawellen – zweite Welle (COVID-20)

Reaktionsmuster der Regierungen in Europa auf die zweite COVID-Welle

Beeindruckt von den wirtschaftlichen und sozialen Folgen des ersten kompletten Lockdown bei gleichzeitig attenuiertem Virus, reagierten die einzelnen Staaten in Europa zunächst zögerlich (Tab. 4): Primär wurde auf regionale Maßnahmen in Hotspots (Mallorca, Madrid, Katalonien, Südtirol, Piemont, Bayern) gesetzt, was aber keinen zielführenden Effekt hatte. Somit startete Spanien am 25. Oktober den zweiten Lockdown mit nächtlicher Ausgangssperre (außer den Kanarischen Inseln), Frankreich begann am 27. Oktober mit einem harten Lockdown mit Schließung aller Einzelhandelsgeschäfte und echter Ausgangssperre, während Deutschland am 2. November nur mit Lockdown light (Schließung der Restaurants, Kinos und Sportstätten) reagierte. Italien folgte am 4. November mit einem Teil-Lockdown, der aber mit einem Ampelsystem versehen wurde. Diese führte dazu, dass in der Lombardei vom 3. bis 29. November ein harter Lockdown ähnlich wie bei der ersten Welle herrschte mit Schließung der Schulen, Ausgangssperre und Reiseverbot. Allerdings blieben die Grenzen offen.

Tab. 4 Verlauf und Intensität des zweiten Lockdown wegen COVID-19 in Europa – zweite Welle

Deutschland plante zunächst den Lockdown light abgesehen von der Weihnachtszeit bis zum 10. Januar 2021 zu verlängern. Dies führte aber zu einem weiteren Anstieg der Zahlen, so dass ab dem 5. Dezember verschärfte Regel mit nächtlicher Ausgangssperren in den Hauptregionen (Sachsen, Bayern, Baden-Württemberg) beschlossen wurden. Am 16. Dezember 2020 wurde dann ein bundesweiter harter Lockdown erlassen, der inzwischen über den Jahreswechsel bis zum 31. Januar 2021 verlängert wurde.

Die Wirkungen dieser Maßnahmen sind europaweit sehr unterschiedlich (Abb. 1b). Am besten schnitten Frankreich und Spanien ab, wo es zu einem dramatischen Abfall der Inzidenzzahlen nach 2 Wochen kam mit einem effektiven Reproduktionsfaktor von 0,5 und 0,7, während in Deutschland nur ein Stillstand auf hohem Plateau erreicht werden konnte (Reff = 0,98). Bezüglich der Wintersportaktivitäten gibt es bereits eine echte europaweite Koordination, was bedeutet, dass in Italien, Frankreich und Österreich die Hotels in den Wintersportgebieten über Weihnachten und Neujahr geschlossen blieben. Nur die Schweiz weicht hiervon ab [14].

Auch bezüglich der anstehenden Vakzinationskampagne gibt es eine innereuropäische Zusammenarbeit. So hat die EU schon mehrere Millionen an Vakzinedosen reserviert, um eine gerechte Verteilung der Impfung in Europa zu gewährleisten. Allerdings läuft die Impfkampagne wegen der limitierten Produktionskapazität relativ schleppend an.

Auswirkungen der zweiten Welle auf Urologische Kliniken in Europa

Es ist klar, dass Europa inzwischen viel besser auf die zweite Welle vorbereitet war, v. a. was die Ausrüstung und die Intensivkapazität anbelangt. Es kam damit nicht mehr zu chaotischen Zuständen in den Kliniken, wie zu Zeiten der ersten Welle (Madrid, Bergamo, Straßburg). Inzwischen steigen allerdings die Absolutzahlen v. a. in Deutschland und Italien oder Österreich ständig, so dass regional erste Engpässe auf den Intensivstationen gemeldet werden. Erschwerend ist hierbei, dass die Anzahl des von COVID-19 betroffenen Ärzte- und Pflegepersonals, sei es direkt oder als Kontaktperson, deutlich zugenommen hat. Allerdings stehen jetzt auch Schnell- und PCR-Tests für das Klinikpersonal in Europa zur Verfügung. Interessanterweise spielt das Kontaminationsrisiko bedingt durch das Zugangsmanagement in den Kliniken mit zuletzt auch dem Einsatz von Schnelltests für Patienten aber bisher keine große Rolle in der Urologie [15].

Die ständig hohen Zahlen auf einem Plateau führen zu einer kontinuierlichen Belastung der Kliniken

Dies hat natürlich zur Reduktion der Bettenzahl und OP-Kapazitäten geführt, jeweils abhängig von der regionalen Situation. Dabei sind Norditalien und Frankreich die größten Einschränkungen der OP-Kapazitäten zu sehen (40–60 %), während sie in Deutschland zunächst 75 % reduziert wurden, dementsprechend auch die OP-Kapazität. Dies war möglich, da die absolute Anzahl der intensivpflichtigen Patienten geringer war als während der ersten Welle. Auch hat die Einführung der Schnelltest (Antikörpertests) bei allen stationären Patienten eine deutlich geringere Anzahl der Patienten auf der COVID-Verdachtstation bewirkt.

Allerdings führen die ständig hohen Zahlen auf einem Plateau zu einer kontinuierlichen Belastung der Kliniken. Da die Patienten auch bei milden Verläufen etwa 14 Tage auf der COVID-Station bleiben, laufen diese voll (Abb. 2). In einigen Kliniken in Deutschland müssen sich daher Urologische Assistenten (wie in Italien und Frankreich) an der stationären Versorgung der COVID-Patienten anteilig beteiligen. Außerdem wird die OP-Kapazität weiter auf 40–50 % mit Beschränkung auf Level-III- bis -IV-Eingriffe in vielen Kliniken in Deutschland heruntergefahren. In Ländern mit immer noch nicht voll ausgebauter Infrastruktur führt die hohe Inzidenz zu einer signifikanten Überlastung.

Abb. 2
figure 2

Verlauf der Belegungssituation der COVID-19-Patienten an den SLK-Kliniken Heilbronn (KW Kalenderwoche)

Auswirkungen von COVID-19 auf die wissenschaftliche Aktivität und Ausbildung in Europa

Der Kongress der Nordrhein-Westfälischen Gesellschaft für Urologie vom 12. bis 13. März 2020 in Bochum war der letzte Präsenzkongress in der deutschen Urologie. In Italien war es der Nationale Kongress der Italienischen Endourologie Gesellschaft (IEA) vom 19. bis 21. Februar in Rom. Von da ab wurden alle Medizinkongresse abgesagt oder verschoben. Dies lag nicht nur an den hohen Infektionszahlen, sondern auch an den von den Krankenhäusern europaweit ausgesprochenen Reisebeschränkungen für alle Mediziner in den Kliniken.

Der Europäische Urologenkongress wurde zunächst von März auf den 17. bis 21. Juli verschoben. Es stellte sich aber schnell heraus, dass ein Präsenzkongress nicht realisierbar sein wird. Am 1. April wurde mitgeteilt, dass EAU 20 komplett virtuell stattfinden wird [17]. Es wurde eine virtuelle Veranstaltung aus zwei Studios mit einer rudimentären virtuellen Industrieausstellung (Abb. 3). Dabei wurde nur für Nichtmitglieder der EAU eine niedrige Teilnahmegebühr erhoben (75 €). Insgesamt registrierten sich über 15.000 Urologen weltweit. Der nächste EAU-Kongress wurde schon bewusst auf den 09. bis 12. Juli 2021 in Mailand verschoben, um einen Präsenzkongress zu ermöglichen. Die Planungen laufen dementsprechend, hängen aber sicher weiterhin von dem Verlauf der Pandemie und v. a. der Vakzinierung ab.

Abb. 3
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EAU (Europäische Urologische Gesellschaft) 20 Virtual Congress, Ankündigung im Netz. ©EAU

In Deutschland konnten wir mit dem Best of DGU 2020 Live online vom 23. bis 26. September in Leipzig ein besonderes Format entwickeln und auch realisieren, da wir zeitlich noch vor der zweiten Welle lagen [18]. Hierfür wurden etwa 150 Referenten und Moderatoren in das Kongresszentrum Leipzig eingeladen, um als Forum für die live aufgezeichneten Vorträge zu dienen. Insgesamt meldeten sich 3500 Teilnehmer an, wobei die Gebühr um 50 % zum Präsenzkongress reduziert wurde. Der Kongress wurde dann als Livestream gesendet. Flankiert war das Ganze von einer virtuellen Industrieplattform, die es allen Teilnehmern ermöglichte 56 Aussteller in 5 Hallen zu besuchen (Abb. 4). Dabei kam es zu über 70.000 Seitenaufrufe pro Tag. Die Sitzungen hatten zwischen 800 und 1200 konstante Teilnehmer. Die Ausstellungsstände wurden maximal 10.951-mal besucht (Tab. 5). Kritisiert wurde die unzureichend Kontaktaufnahme am Stand. Ein Vorteil der Plattform ist, dass sie bis zum Jahresende offen ist.

Abb. 4
figure 4

Best of DGU (Deutsche Gesellschaft für Urologie) 2020 live online. ©dgu: a virtueller Kongresszugang, b virtuelle Industrieausstellung mit fünf Hallen, c virtuelle Stände in der Maximillian Nietze-Halle, d virtueller DGU-Stand

Tab. 5 Best of DGU (Deutsche Gesellschaft für Urologie) 2020 live online – Besucherzahlen

Parallel zu diesen Aktivitäten ist eine enorme Zunahme an Webinaren auf den unterschiedlichen Plattformen (Urotube-DGU, Uroweb-EAU, Endourology Society) zu verzeichnen mit meist zwischen 150 und 500 Teilnehmern. Die 10 Webinare im Rahmen der Post DGU 2020-Wochen wurden von 2150 Teilnehmern besucht.

Mehrere Arbeiten haben inzwischen die Auswirkungen der COVID-19-Pandemie auf die Ausbildung in der Urologie in Europa untersucht [19,20,21,22,23,24]. Hierbei wird v. a. auf die Nutzung neuer digitaler Technologien wie Telemedizin und Telekommunikation hingewiesen. Sicherlich wird dies v. a. im Rahmen von Online-Webinaren auch genutzt, während es innerhalb der Urologischen Kliniken in Europa keinen Stellenwert hat. Andererseits hat der Zugang zur praktischen Ausbildung während der ersten Welle um 40–60 % abgenommen [19, 20], was auch in der Französischen Studie von 80 % der urologischen Assistenzärzte bemängelt wird [24]. Als Kompensationsmöglichkeit werden wieder Low- und High-fidelity-Simulatoren genannt.

Diese Technologien können natürlich auch zur medizinischer Versorgung unserer urologischen Patienten eingesetzt werden [25,26,27]. Allerdings spielt die Telemedizin derzeit in der Urologie nur eine untergeordnete Rolle.

Diskussion

Vergleich der beiden COVID-19-Wellen

Die COVID-19-Pandemie hat ganz Europa in Beschlag genommen, wobei sich die beiden COVID-Wellen komplett unterscheiden (Tab. 2 und 4): Lag die maximale Inzidenz im Frühjahr zwischen 31.000 und 52.000 pro Woche, entsprechend 45–115/100.000 Einwohner, finden sich im Herbst und Winter zwischen 143.000 und 381.000, entsprechend 161–568/100.000 Einwohner. Dies bedeutet ein 3‑ bis 6‑facher Anstieg. Anders sieht es bei der Mortalität aus. Die Absolutzahlen lagen im Frühjahr zwischen 1500 und 7300 mit einer inzidenzbezogenen relativen Mortalität von 12–34 %. Im Herbst schwanken die Absolutzahlen zwischen 2700 und 5200, aber die relative Mortalität liegt in 1,8–4,4 %.

Die deutlich höhere Mortalität im Frühjahr ist auf die höhere Virulenz des Virus und die damals außer in Deutschland noch nicht so ausgebildete Infrastruktur sowie einer primären Unterschätzung des Virus zurückzuführen. Inzwischen haben alle Länder dazugelernt und das Virus ist glücklicherweise attenuiert. Somit führten die extrem hohen Inzidenzzahlen in Frankreich oder Italien nicht zu einer Dekompensation der Gesundheitssysteme. Hier, wie auch in Spanien erfolgte allerdings auch Ende Oktober ein deutlich härterer Lockdown als in Deutschland. Somit kam es in diesen Ländern, ähnlich wie im Frühjahr zu einem raschen Abfall der Inzidenz, während der Teil-Lockdown in Deutschland bisher zu einem Inzidenzplateau auf hohem Niveau führte (Abb. 1). Mit jeder Woche mehr werden die Krankenhäuser mit einer zunehmenden Zahl von COVID-19-Patienten belastet. Diese hat natürlich – trotz relativ leerer Intensivstationen – eine Auswirkung auf die Versorgungssituation urologischer Patienten (Abb. 2). Hinzu kommt das Problem der gestiegen Anzahl von an COVID-19 erkranktem Pflege- und auch Ärztepersonal, was teilweise zu Stationsschließungen führt. So haben sich in Hotspots (Mannheim) kleinere Kliniken schon von der Notversorgung abgemeldet, was natürlich auch bedeutet, dass in den Urologischen Kliniken dort nur noch Level III–IV bei einer maximal 50%igen Bettenkapazität operiert wird.

Länder mit hartem Lockdown fahren deutlich besser

Es zeigt sich inzwischen eindeutig im europäischen Vergleich, dass die Länder, die sich zu einem harten Lockdown entschlossen haben (Spanien, Frankreich), deutlich besser fahren. Hier stellt die Schweiz eine Ausnahme dar, wo die Zahlen ohne echten Lockdown zumindest stabil geblieben sind. Aus unserer Sicht erscheint das in Italien eingesetzte Ampelsystem sehr sinnvoll und effektiv, ähnlich wie bereits im Sommer 2020 von dem Virologen Hendrik Streeck gefordert [28]. Damit könnten für alle Bundesländer gültige abgestufte Regelungen erstellt werden und ein ständiges Nachjustieren der Maßnahmen, wie es zur Zeit in der Bund-Länder-Kommission praktiziert wurde, entfallen.

War Deutschland im Frühjahr noch Primus in Europa bei der Bewältigung der COVID-19-Pandemie, so wurde im Sommer viel von dem Vorsprung eingebüßt und wertvolle Zeit verloren. Anstatt die Einführung der Schnelltests und die einheitliche Digitalisierung der Gesundheitsämter zu forcieren, konzentrierte man sich auf die teure Einführung der Corona-App, die sich anders als in Südkorea aus zahlreichen Gründen in Europa nicht umsetzen ließ. Waren im Frühjahr die gelobten hocheffizienten zentralisierten Systeme in anderen Ländern mit Riesenambulanzen, kurzer Liegedauer und tollen Ergebnissen ein unkalkulierbares Risiko [1], so wurde in unseren Nachbarländern die Infrastruktur deutlich verbessert, was sich auch in den Urologischen Kliniken widerspiegelte, die bald schon ihre normale Aktivität entwickeln konnten [29,30,31]. Allerdings kann dies in anderen Ländern mit immer noch nicht entsprechend aufgebauter Infrastruktur, wie Großbritannien, anders sein [32].

Entscheidend war aber retrospektiv die Erkenntnis, dass ein Lockdown light unzureichend ist. Dies liegt v. a. daran, dass bei offenen Schulen und Geschäften die Kontaktmöglichkeiten signifikant höher sind als beim harten Lockdown. Außerdem wurde auch hier versäumt, ausreichende Kenntnisse aus dem bisherigen Verlauf der Pandemie zu gewinnen. Dies hätte beispielsweise, wie aktuell in Tübingen praktiziert, zu einem besseren Schutz der Risikogruppen geführt. Waren es am Anfang Schlachthofmitarbeiter, Erntehelfer und Reiserückkehrer, die im Sommer als Infektionstreiber identifiziert werden konnten, fehlen aktuell jegliche diesbezügliche Daten.

Man muss aber feststellen, dass das lokale Management unserer urologischen Patienten europaweit sehr verantwortungsvoll erfolgt, so dass wir eher nicht mit langfristigen Sekundärschäden für unsere Kranken rechnen müssen [30]. Dennoch ist der harte Lock-down zur Jahreswende unumgänglich. Mit der nun startenden Vakzinierung wird COVID-19 weiter an Schrecken verlieren.

Fazit für die Praxis

  • Die COVID-19-Pandemie („coronavirus disease 2019“) hat ganz Europa in Beschlag genommen, wobei sich die beiden COVID-Wellen komplett unterscheiden.

  • Die extreme Zunahme der Inzidenz belastet inzwischen die medizinischen Systeme in Europa trotz der geringeren Virulenz sehr stark.

  • „COVID-20“ zeichnet sich durch eine signifikant höhere Kontagiosität aus.

  • Die ständig hohen Zahlen auf einem Plateau führen zu einer kontinuierlichen Belastung der Kliniken.

  • Neue Technologien können zur medizinischen Versorgung der urologischen Patienten eingesetzt werden.

  • Entscheidend war retrospektiv die Erkenntnis, dass ein Lockdown light unzureichend ist.

  • Die Impfkampagne läuft wegen der limitierten Produktionskapazität relativ schleppend an.