„Greift nur hinein ins volle Menschenleben!“ So rät im „Faust“ die Lustige Person dem Dichter: „Ein jeder lebt’s, nicht vielen ist’s bekannt, und wo Ihr’s packt, da ist’s interessant“.

Die Herausgeber und Autoren dieses Heftes haben den Ratschlag beherzigt: Für die Erkennung und Behandlung von Komplikationen haben wir ins volle Menschenleben hineingegriffen – und interessant sind die Darstellungen geworden! In 12 Beiträgen zu den typischen Problemfeldern der invasiven Urologie werden klare Handlungsanweisungen von Erfahrenen für den urologischen Nachwuchs gegeben, praxisnah und anschaulich. Die Zielgruppe ist damit definiert: die Junioren unseres Faches, die seit 2 Jahren strukturiert und systematisch in der Juniorakademie der Deutschen Gesellschaft für Urologie (DGU) weitergebildet werden.

In diesem Heft werden die Komplikationen der Standardeingriffe dargestellt und Empfehlungen zur Problemlösung vermittelt. In Ausgabe 7/2014 erfolgen die Darstellung und das Management häufiger Komplikationen bei und nach „advanced procedures“, die naturgemäß Fortgeschrittene betreffen.

Das Krankenhaus wird den Anforderungen an eine Hochzuverlässigkeitsorganisation nicht gerecht

Operative Medizin und damit auch die klinische Urologie ist im (akut)medizinischen Zusammenhang als komplexe Risikoumgebung wahrzunehmen. Trotz verstärkter Bemühungen, Komplikationen zu verhindern, zeigt die klinische Erfahrung, dass Probleme unterschiedlichen Schweregrades immer wieder auftreten, wobei keine exakten Inzidenzzahlen vorliegen. Das Krankenhaus erfüllt zwar die Kriterien einer Hochzuverlässigkeitsorganisation, kann jedoch gegenwärtig den damit gestellten Anforderungen nicht gerecht werden, denn es fehlt die systematische Anwendung der für die Patientensicherheit notwendigen Prinzipien: Sicherheitskultur, Strukturen und Prozesse, Teamtraining, Simulation und organisationales Lernen.

Fehler sind selten das Verschulden eines Einzelnen, sondern ergeben sich meist aus dem Zusammenspiel komplexer Prozesse als Ergebnis einer Fehlerkette. Eine offene Fehlerkultur ist wichtig, um Schnittstellenschwächen im System erkennen und beheben zu können. Erfolgreiches Komplikationsmanagement zeichnet sich dadurch aus, dass Probleme identifiziert und ihnen eine hohe Priorität bei der weiteren Entscheidungsfindung eingeräumt wird.

Die Identifizierung von Fehlerquellen in der medizinischen Versorgung erfordert einen offenen Umgang mit Behandlungsfehlern. Die Beiträge dieses Heftes stehen im Kontext mit der politisch geforderten Qualitätsoffensive im Krankenhaus und geben transparente Hilfen zur Problembewältigung. Damit geben wir Urologen ein Beispiel für ein richtig verstandenes Qualitätsmanagement als Teil der Arbeitskultur in den Kliniken.

Mit Inkrafttreten des sog. Patientenrechtegesetzes im Februar 2013 wurden die bis dahin verstreuten Patientenrechte erstmals auf klarer gesetzlicher Grundlage gebündelt. Dies führt zu einer erhöhten Transparenz für den Rechtsuchenden und stärkt eine offene Fehlervermeidungskultur; allerdings macht der neu entstandene höhere bürokratische Aufwand den Klinik- und Praxisalltag für die gesamte Ärzteschaft deutlich komplizierter und überlagert das Patienten-Arzt-Verhältnis in unangemessener Art und Weise.

Nach Lektüre des ersten Beitrags von Kranz et al. kann das Überwinden dieser bürokratischen Hürden besser gelingen. Sommer et al. beschreiben in ihrem Artikel die Prozessgestaltung in Hochzuverlässigkeitsorganisationen wie beispielsweise der Luftfahrt, welche sich grundlegend in den medizinischen Praxis- und Klinikalltag übertragen ließe und folglich mit einem signifikanten Sicherheitsgewinn einherginge. Kranz et al. nehmen anhand zweier häufiger urologischer Eingriffe Komplikationsanalysen mit dem Ziel vor, fallbezogene Notmaßnahmen und Sicherheitsempfehlungen ohne Schuldzuweisung abzuleiten. Oubaid u. Anheuser weisen auf den „human factor“ als konstante, aber beeinflussbare Stellgröße einer Hochzuverlässigkeitsorganisation hin. Anhand spezifischer Auswahlverfahren könnte eine Risikoreduktion möglich werden.

Acht weitere Beiträge aus der operativen Urologie informieren über typische Komplikationen klassischer Standardeingriffe. Promm et al. geben praktikable Anweisungen zur Vermeidung und Beherrschung kinderurologischer Ausbildungseingriffe. Gerade pädiatrische, plastisch-rekonstruktive Eingriffe – auch die Zirkumzision zählt dazu – stellen besondere Anforderungen an die fachliche Eignung eines Operateurs. Kliesch demonstriert die Risiken sog. Anfängereingriffe. Hydrozelen- und Spermatozelenresektionen, seltener Vasektomien stehen meist am Anfang einer operativen urologischen Karriere und können v. a. durch Nachblutungen oder falsche Operationstechnik zu unbefriedigenden Ergebnissen und Revisionen führen. Anheuser et al. unterstreichen die Notwendigkeit eines korrekten Zugangswegs (skrotal oder inguinal) bei der Orchiektomie. Wagenlehner et al. fassen die wesentlichen Risiken bei der Punktion der Harnblase und Niere sowie der Prostatabiopsie zusammen. Besonderes Augenmerk wird auf die Verminderung der weltweit hohen Sepsisrate von bis zu 4 % nach transrektaler Prostatapunktion gelegt. Knoll u. Wendt-Nordahl informieren über typische Problemfelder der Ureterorenoskopie. Dieser endourologische Routineeingriff v. a. zur Behandlung des Harnsteins birgt trotz hoher Sicherheit niedrige, aber gelegentlich fatale Fehlerquellen. Rausch et al. erleichtern dem jungen Operateur durch die Darstellung typischer Komplikationen die transurethrale Harnblasenresektion und geben wertvolle Hinweise zur Problemvermeidung und -bewältigung. Leyh u. Necknig geben klare Handlungsanweisungen zur Vermeidung und Beherrschung tragischer Zwischenfälle bei der transurethralen Prostataresektion. Pahernik et al. stellen das Risikomanagement bei der Nephrektomie vor. Diese Operation stellt den anspruchvollsten offen-operativen Eingriff für den Urologen in der Ausbildung dar und erfordert besonders qualifizierte Assistenz durch den erfahrenen Ausbilder.

Alle Beiträge weisen auf gemeinsame Problemfelder einer jeden Operation hin: Komplikationen können in verschiedenen Eingriffsphasen auftreten und erfordern eine strukturiertes Krisenmanagement mit offener und ehrlicher Patientenkommunikation. Trotz sorgfältiger und gewissenhafter Einhaltung operativer Standards und qualifizierter fachärztlicher Assistenz sind Komplikationen unvermeidbar. Die vorliegenden Artikel sollen die Sensibilität für das eigene tägliche operative Handeln steigern, um ein frühes Erkennen und Beherrschen von Fehlern zu ermöglichen. Die Zusammenstellung dieser Übersichtsarbeiten stellt einen wichtigen Beitrag zur Verbesserung der Arzt- und Patientensicherheit dar.

J.A. Steffens

J. Kranz

M.S. Michel