Die systemische Therapie urologischer Tumorerkrankungen hat in den letzten 5–6 Jahren erfreulicherweise eine unerhört rasante Entwicklung genommen, die wir aus den vergangenen drei Dekaden nicht in dieser Weise kennen. Die aktuellen Möglichkeiten erinnern in ihrer Bedeutung an die Revolution der Therapie von malignen Hodentumoren durch die Einführung der Cisplatin-haltigen Chemotherapie durch Lawrence Einhorn Ende der 1970er Jahre. Dennoch dürfen wir nicht übermütig werden, wenn wir die Erfolge der neu verfügbaren Substanzen preisen und die uns anvertrauten Patienten über die bestmöglichen medikamentösen Strategien beraten.

Ganz im Gegenteil bedarf die aktuelle Entwicklung einer kritischen Wertung und Standortbestimmung, um die Zukunft der medikamentösen Tumortherapie in der Urologie zu festigen. Dazu gehört neben der Betrachtung der Wirksamkeit einer neuen Therapie in Bezug auf eine Verlangsamung der Tumorprogression und potentiellen Verlängerung des Überlebens insbesondere das für den Patienten bedeutsame Nebenwirkungsprofil und der Einfluss auf die gesundheitsbezogene Lebensqualität. Nicht zuletzt müssen wir als onkologisch verantwortliche Ärzte neben dem klinischen Nutzen für den Patienten die damit verbundenen medizinischen und ökonomischen Belastungen im Auge behalten. Den onkologisch tätigen Urologen kommt hier eine besondere Bedeutung zu, da wir als Organonkologen nicht nur ein Advokat für die Systemtherapie sind, sondern in gleichem Maße andere Optionen wie chirurgische Interventionen oder radioonkologische Maßnahmen im interdisziplinären Konzert mit den Nachbardisziplinen koordinieren. Genau darin liegen die Kraft und die Kompetenz der Urologie.

Bei Betrachtung der einzelnen Tumorentitäten sticht in den vergangenen 2 Jahren das kastrationsrefraktäre, metastasierte Prostatakarzinom heraus. War in den letzten 10 Jahren nur die Docetaxel-basierte Chemotherapie in diesem Erkrankungsstadium verfügbar, so eröffneten sich mit Abirateron, Enzalutamid, Cabazitaxel und Alpharadin vier neue Optionen, die alle mit einem Überlebensvorteil für den Patienten verbunden sind. Der rationale Einsatz dieser Medikamente basierend auf den zugelassenen Indikationen beantwortet aber nicht zwangsläufig die Frage nach deren optimaler Sequenz oder gar Kombination. Hier werden Daten aus weiteren klinischen Studien oder Daten aus der Versorgungsforschung dringlich erwartet.

Diese Situation wird von der Entwicklung der medikamentösen Therapieoptionen beim metastasierten Nierenzellkarzinom widergespiegelt. Nach der Zulassung der ersten Tyrosinkinaseinhibitoren (TKI) Sunitinib und Sorafenib 2006 wurde eine Vielzahl von Studien zur Erstlinien- und Zweitlinientherapie durchgeführt und publiziert. Mittlerweile sind für das Nierenzellkarzinom 6 mehr oder weniger vergleichbare Wirkstoffe zugelassen, die je nach Zulassungstext für unterschiedliche klinische Situationen eingesetzt werden können. Da Kombinationen aufgrund der Toxizität keine Rolle spielen, ist hier besonders die Frage der idealen Sequenz gestellt, so es diese denn überhaupt gibt. Zwei deutsche Studienprotokolle (Switch I und II) untersuchen aktuell die sequentielle Anwendung von je zwei TKI und werden wichtige Fragen beantworten können, die die Versorgungsrealität stellt.

Wichtig sind der optimale Einsatz der verfügbaren Substanzen in den jeweiligen Stadien sowie das richtige Timing der Therapie

Beim fortgeschrittenen oder metastasierten Urothelkarzinom der Harnblase sind auch in den letzten  Jahren leider wenig substantielle Fortschritte zu verzeichnen gewesen. Einzig die Zulassung von Vinflunine in der Zweitlinientherapie hat etwas frischen Wind in die Therapielandschaft gebracht. Umso wichtiger sind die Frage des optimalen Einsatzes der verfügbaren wirksamen Substanzen in den jeweiligen Stadien sowie insbesondere das richtige Timing der Therapie. Der perioperativen Chemotherapie im neoadjuvanten, induktiven oder adjuvanten Setting widmet sich ein Beitrag in diesem Heft ebenso intensiv wie ein zweiter der sich mit der Frage der rationalen Systemtherapie des bereits metastasierten Blasenkarzinoms auseinandersetzt.

Die eher seltenen, aber aufgrund des oft geringen Alters der Patienten besonders bedeutsamen Keimzelltumoren verdienen ebenso eine aktuelle Standortbestimmung. Bei Heilungsraten von fast 90 % über alle Stadien bedarf es einer optimalen Therapiesteuerung bei gleichzeitig kritischer Beachtung der Belastung betroffener Patienten durch Toxizität und einem nicht unerheblichen Zweitmalignomrisiko. Eine stadienorientierte Reduktion der Therapieintensität und damit der Nebenwirkungen ist Gegenstand aktueller Überlegungen in den internationalen und nationalen Hodentumorgruppen.

Schließlich soll auch das eher seltene und dadurch leider eher wenig beachtete Plattenepithelkarzinom des Penis in den Fokus gerückt werden. Bei einer insgesamt eher dürftigen Datenlage zur Therapie des lokal fortgeschrittenen oder lymphogen metastasierten Peniskarzinoms werden die verfügbaren Informationen zu multimodalen Therapiekonzepten analysiert und mögliche Szenarien für die Zukunft entwickelt.

Nicht zuletzt kommt der rationalen Bildgebung zur Verlaufskontrolle unter systemischer Therapie eine entscheidende Bedeutung bei. Da auch in den verfügbaren Leitlinien meist keine evidenzbasierten Empfehlungen ausgesprochen werden, versucht dieser Beitrag eine wissenschaftlich bestmögliche Strategie zur Indikation und Durchführung bildgebender Diagnostik zu entwickeln.

J. Gschwend