Das vorliegende Themenheft von Der Urologe wurde gestaltet von Mitgliedern des Arbeitskreises Operative Techniken. Die Beiträge, die zum Arbeitstitel „Darmchirurgie in der Urologie“ eingereicht wurden, zeigen auf der einen Seite, welche unterschiedlichen Schwerpunkte die Autoren bei der Interpretation dieses Themas gesetzt haben, belegen andererseits sehr eindrücklich die Vielfalt operativer Möglichkeiten bei denen Darm zur plastischen Rekonstruktion des Harntraktes eingesetzt werden kann. Darüber hinaus werden fachliche Grenzgebiete zur Allgemeinchirurgie wie die operative Versorgung kolovesikaler Fisteln und parastomaler Hernien thematisiert. Die aktuelle Ausgabe ist auch für jene Kollegen interessant, die keinen operativen Schwerpunkt haben, aber ihre Patienten präoperativ im Sinne eines wirklich partizipierenden Entscheidungsprozesses („shared decision making“) suffizient beraten möchten und hierzu nützliche Informationen finden.

Darmchirurgie ist integraler Bestandteil zahlreicher operativer Behandlungskonzepte in der Urologie. Die zumeist hoch komplexen Eingriffe bergen eine Vielzahl technischer Fallstricke. Deshalb sind zur Minimierung intra- und postoperativer Komplikationen exakte anatomische Kenntnisse und abdominal-chirurgische Erfahrung essentiell. Bei turmorchirurgischen Eingriffen wie der radikalen Zystektomie, ist es weniger der ablative Teil des Eingriffs, der peri- und postoperative Komplikationen verursacht, sondern der plastisch-rekonstruktive Part, die Harnableitung. Die häufigsten hiermit assoziierten Probleme entstehen an der ureterointestinalen Anastomose, dem Stoma oder Kontinenzmechanismus.

Die „Achillesferse“ bei Harnableitungsoperationen

Die Verbindung beider Harnleiter mit dem intestinalem Conduit oder kontinenten Reservoir ist ein zentraler und kritischer Schritt sämtlicher Harnableitungsoperationen, der größte Sorgfalt und Aufmerksamkeit erfordert. Dieser Anspruch wird in vielen Fällen konterkariert durch den Operationsablauf, denn die ureterointestinale Anastomose erfolgt vergleichsweise spät zu einem arbeitsphysiologisch ungünstigen Zeitpunkt, zu dem Operateur und Assistenten bereits einen exenterativen Eingriff, ggf. mit ausgedehnter Lymphadenektomie und Bilden einer Harnableitung durchgeführt und schon einiges ihres anfänglichen Elans und ihrer physischen Kapazitäten eingesetzt haben. Da nicht nur mögliche peri- und postoperative Komplikationen, sondern auch langfristig die Funktion des oberen Harntraktes in entscheidender Weise von der Harnleiterdarmanastomose abhängen, stellt sie die Achillesferse bei Harnableitungsoperationen unter Verwendung von Darm dar.

Der Beitrag zur ureterointestinalen Anastomose gibt einen kurzen medizinhistorischen Abriss ihrer Entwicklung und stellt die am häufigsten angewandten Techniken zur refluxiven (Nesbit- und Wallace-Technik) und antirefluxiven Harnleiterdarmimplantation [submuköser Tunnel und seroseröser extramuraler Tunnel (Abol-Enein)] vor. In der Literatur besteht Konsens bei sog. „Null-Druck-Ableitungen, wie einem Conduit die Harnleiter refluxiv in Nesbit- oder Wallace-Technik implantieren zu können, ohne dass Gefahr für den oberen Harntrakt durch rezidivierende Pyelonephritiden droht. Mit dem Argument, dass es sich bei den kontinenten Neoblasen oder Pouches um Niederdruckreservoire handelt, wird die Notwendigkeit einer antirefluxiven Harnleiterdarmanastomose für solche Reservoire kontrovers diskutiert. Möglicherweise Aufschluss geben wird eine von Skinner initiierte prospektiv randomisierte Studie, die eine refluxive mit einer antirefluxiven Implantationstechnik im Hinblick auf den Erhalt Nierenfunktion im Langzeitverlauf vergleicht. Während kontinente orthotope Ersatzblasenreservoire nach einiger Zeit meist einen sterilen Urin aufweisen, sind kontinente Pouches mit kutanem Stoma durch den zur Entleerung erforderlichen sauberen Einmalkatherismus chronisch infiziert. Zumindest für diese Reservoire scheint ein Refluxschutz zur Prävention aszendierender Pyelonephritiden sinnvoll.

Sofern patienten- oder tumorspezifische Kriterien gegen einen orthotopen Blasenersatz sprechen, kann alternativ ein aus Darmsegmenten gebildetes Ersatzblasenreservoir mit einem Kontinenzmechanismus versehen und an ein kutanes Stoma (z. B. Nabeltrichter) angeschlossen werden. Zur Bildung des Kontinenzmechanismus werden unterschiedliche Darmsegmente verwendet, die sämtlich durch submuköse Einbettung oder Invagination, basierend auf dem physikalischen Prinzip eines Flatterventils, die Kontinenz des Reservoirs gewährleisten (z. B. subserös in die Taenia libera verlagerte Appendix, Ileuminvaginationsnippel, subserös eingebettete tubularisierte Vollwandanteile). Anheuser et al. stellen die Daten einer retrospektiven Multicenterstudie an vier Kliniken zur „Verwendung von getapertem, seroserös eingebettetem Ileum als Kontinenzmechanismus für verschiedene Harnableitungsreservoire“ vor. Von 29 der insgesamt 40 Patienten liegen Daten zur Beurteilung von Kontinenz und Stomastenoserate vor. Gerade der Umstand, dass die Studie die Erfahrungen von vier unterschiedlichen Kliniken und Operateuren widerspiegelt, stützt die Schlussfolgerung der Autoren ihre Technik zur Kontinenzbildung nicht nur im Rezidivfall, sondern als Verfahren der ersten Wahl einzusetzen. Verwendung von Darm außerhalb des Strahlenfeldes reduziert Komplikationen.

Die Entwicklung computergestützer perkutaner Strahlentherapieverfahren hat durch die Möglichkeit zur Dosiseskalation und Intensitätsmodulation die Behandlungsergebnisse vieler gynäkologischer, chirurgischer und urologischer Tumorentitäten sowohl bei kurativer als auch bei palliativer Zielsetzung entscheidend verbessert und die Rate möglicher Kollateralschäden gesenkt. Dennoch sind aktinisch bedingte (Spät-)komplikationen wie beispielsweise radiogene Zystitis, langstreckige Harnleiterstenosen oder Fistelbildungen zwischen Harntrakt und Genitaltrakt und/oder Darm nicht ganz zu verhindern. Die operative Versorgung solcher Patienten ist mit einer hohen postoperativen Komplikations- und Revisionsrate verbunden. Die Rekonstruktion des Harntraktes erfordert häufig ein extendiertes Vorgehen, bei dem Morbidität und Komplikationsrate durch die Verwendung von außerhalb des Strahlenfeldes gelegen Darmabschnitten deutlich reduziert werden können. Die Richtigkeit dieses Konzepts belegt überzeugend die Arbeit von Ahyai et al., die die Ergebnisse von 43 Patienten präsentiert, die von dieser Arbeitsgruppe in der Zeit zwischen 1999 und 2009 mit einem Transversumconduit oder Transversumpouch versorgt wurden. In den meisten Fällen ging eine Strahlenbehandlung voraus. Die Rate ihrer Früh- und Spätkomplikationen liegt Vergleich mit den Daten anderer Arbeitsgruppen, die vorbestrahlten Darm mit in die Harnableitung integrierten, deutlich niedriger, im Falle des Transversumpouches zählen Kontinenzprobleme am efferenten Nabelstoma zu den häufigsten Komplikationen.

Zur Rekonstruktion partiell vorgeschädigter oder komplett zerstörter Harnleiter exisitert eine Vielzahl operativer Möglichkeiten, die Segmente ganz unterschiedlicher Provinienz aus dem gesamten Gastrointestinaltrakt zum Harnleiterersatz nutzt. Kocot et al. berichtet über die Ergebnisse der Klinik und Poliklinik für Urologie der Julius-Maximilians-Universität Würzburg in einer beeindruckenden Serie von 117 Patienten mit partiellem oder totalem Ileumharnleitersatz. Die ausgezeichneten Ergebnisse der Würzburger Klinik und niedrigen Komplikationsraten sowie die nahezu unbegrenzt erscheinenden Möglichkeiten einen Harnleiterersatz mit Darmsegmenten durchführen zu können, sollten nicht darüber hinweg täuschen, dass dies eine operative Expertise erfordert, wie sie nur an wenigen Kliniken in Deutschland vorzufinden ist.

Spezialwissen und Erfahrung – der Schlüssel zum Erfolg

Während der letzten Jahrzehnte hat der immense Wissenszuwachs in den unterschiedlichen medizinischen Fachdisziplinien eine zunehmende Spezialisierung bedingt. Gerade in Situationen in denen Grenzgebiete berührt werden, ist das „Know how“ der verschiedenen Fachdisziplinen und ein gemeinsamer Therapieansatz zur Problemlösung erforderlich. Der Beitrag „Korrektur der parastomalen Hernie mit Netz“ von Lampel u. Runkel steht exemplarisch für ein solches Vorgehen und zeigt, wie der Urologe vom Spezialwissen und den Erfahrungen des Chirurgen aus der Hernienchirurgie profitiert und diese erfolgreich anwenden kann. Interdisziplinarität und gemeinsames Vorgehen sind kein Ausdruck von Schwäche oder Inkompetenz, sondern Zeichen der Professionalität und des gegenseitigen Respekts, mit dem übergeordneten Ziel das verfügbare Wissen und Können zum Wohl des Patienten für ein optimales Behandlungsergebnis einzubringen. Speziell bei Rezidiveingriffen kann der Patient dies erwarten.

Die von Leicht et al. vorgestellten Ergebnisse der Mainzer Urologischen Universitätsklinik bei der „Diagnostik und Therapie kolovesikaler Fisteln auf dem Boden einer Sigmadivertikulitis“ belegen, dass es von Zeit zu Zeit sinnvoll sein kann etablierte Therapiekonzepte zu überdenken und Behandlungsdogmen kritisch zu hinterfragen. Mit ihrem vergleichsweise minimalistischen Ansatz einer auf die entzündlich veränderten und Fistel bedingenden Darmabschnitte beschränkten Darmresektion konnten sie bei einem Follow-up von bis 62 Monaten dauerhaft die Sigma-Blasen-Fistel beseitigen und ein Divertikulitisrezidiv verhindern, ohne dass es hierdurch zu einer erhöhten Rate peri- und postoperativen Komplikationen gekommen ist. Demgegenüber sieht die chirurgische Vorgehensweise bei Sigma-Blasen-Fistel vielfach noch eine komplette Resektion sämtlicher Divertikel tragender Darmabschnitte oberhalb der rektosigmoidalen Hochdruckzone zur Rezidivprophylaxe vor. Zudem zeigen ihre Erfahrungen die bestechende Überlegenheit eines sehr einfachen diagnostischen Verfahrens, des Mohntests, mit dem es in fast 95% der Fälle gelang die klinisch vermutete vesikoenterale Fistel nachzuweisen, eine Erfolgsquote, die mit sehr viel aufwendigeren radiologischen oder endoskopischen Verfahren nicht annähernd erreicht wurde.

Die entscheidenden Voraussetzungen für die erfolgreiche Durchführung und einen komplikationsarmen postoperativen Verlauf der vorgenannten darmchirurgischen Eingriffe in der Urologie sind neben einer sorgfältigen Indikationsstellung, die der klinischen Situation und den individuellen Bedürfnissen des Patienten gerecht wird, vor allem eine realistische Einschätzung der eigenen operativen Fähigkeiten.

Allen Beteiligten, die an diesem Themenheft mitgewirkt haben, danke ich herzlich.

PD Dr. K. Weingärtner