Die Entwicklung zuverlässiger Harnableitungsformen im letzten Jahrhundert hat erst die Radikaloperation des Blasenkarzinoms sowie die exenterative Chirurgie gynäkologischer Malignome ermöglicht. Seltener sind Harnableitungen bei Funktionsstörungen des unteren Harntraktes wie irreparablen Sphinkterdefekten oder Vaginalfisteln, Strahlenschäden oder neurogener Blase z. B. bei Querschnittslähmung oder Myelomeningozele. Aber auch bei gutartigen Grunderkrankungen kann die Wahl der Harnableitungsform nicht nur entscheidend für die Lebensqualität sondern auch für die Lebenserwartung sein, wie das Beispiel des Nierenversagens nach Querschnittslähmung und inadäquater Therapie der neurogenen Blase nach dem ersten Weltkrieg lehrt.

In der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts haben verschiedene Varianten der Ureter-Darm-Implantation dominiert, ab den 1950er Jahren Conduitharnableitungen, seit den 1980er Jahren kontinente kutane Harnableitung und urethraler Blasenersatz. Diese Entwicklungen wurden zum einen von dem Bestreben geleitet, die Speicher- und Entleerungsfunktion der ursprünglichen Blase so natürlich wie möglich nachzuahmen und somit dem Patienten nach radikaler Chirurgie eine optimale Lebensqualität bieten zu können. Andererseits war es das Bestreben, Komplikationen und „Nebenwirkungen“ einer spezifischen Harnableitung zu korrigieren bzw. zu vermeiden wie z. B. Pyelonephritis und metabolische Azidose nach Harnleiterdarmimplantation. Dies gelang weitgehend mit den Conduitableitungen, dafür erkaufte man sich allerdings das Hautstoma und die externen Auffangeinrichtungen. Das kontinente kutane Reservoir versprach den Vorteil, die externe Harnauffangeinrichtung gegen den intermittierenden Selbstkatheterismus einzutauschen. Der urethrale Blasenersatz schließlich bedarf keines Selbstkatheterismus und sollte Kontinenz und Entleerung nur soweit gegenüber der Ursprungssituation verändern, wie dies z. B. nach radikaler Prostatektomie der Fall wäre.

Gleichwohl haben alle der Harnableitungsoperationen neue „Nebenwirkungen“ und Komplikationen gezeitigt, deren Diagnose und Therapie Gegenstand des vorliegenden Heftes ist.

Ureterimplantationsstenosen sind ein gemeinsames Problem sämtlicher Harnableitungsverfahren und bedürfen in der Regel der chirurgischen Revision. Die Rolle des Refluxes ist nach dem Auftreten von Symptomen zu beurteilen, insbesondere der Pyelonephritis. Demnach bedürfen die Formen der Harnleiterdarmimplantation und der kontinenten kutanen Harnableitung eines Antirefluxschutzes, bei dessen Versagen und Auftreten infektiöser Symptome ebenfalls eine Ureterreimplantation erforderlich sein kann.

Ein Problem, das lediglich die kontinenten kutanen Harnableitungen betrifft, ist die Inkontinenz des katheterisierbaren Stomas. Aber auch beim urethralen Blasenersatz kann die Inkontinenz, häufig auch nachts, eine Therapiebedürftigkeit erlangen.

Sekundärmalignome stellen wegen der langen Latenzzeit bei Blasenkarzinompatienten selten ein Problem da. Allerdings ist bei Harnableitung jüngerer Patienten, insbesondere bei Kindern, in Abhängigkeit von der Harnableitungsform und den dazu verwendeten Darmsegmenten eine lebenslange Endoskopie zur Vorsorge angezeigt, um Sekundärtumoren frühzeitig, möglichst noch in der benignen Form, erkennen und therapieren zu können.

Von den metabolischen Langzeitproblemen bezieht sich die metabolische Azidose vornehmlich auf sämtliche Formen kontinenter Harnableitungen. Die präventive Korrektur einer asymptomatischen metabolischen Azidose vermeidet Spätfolgen der Osteoporose. Eine Malabsorption z. B. von Vitamin B12, Gallensäuren oder fettlöslicher Vitamine ergibt sich bei kontinenten Harnableitungen als Konsequenz der Länge resezierter Ileumsegmente. Bei einer Ileumresektion von >45–60 cm ist im Langzeitverlauf ein Absinken des Serumcobalaminspiegels zu erwarten. Auch hier kann eine präventive Substitution, die selten früher als nach dem 5. postoperativen Jahr erforderlich wird, dazu beitragen, dass symptomatische Mangelzustände gänzlich vermieden werden.

Was bedeutet für Patienten den größtmöglichen Erhalt oder Gewinn an Lebensqualität nach Harnableitung? Ist es die nahezu komplette Wiederherstellung der natürlichen Speicher- und Entleerungsfunktion, ist es die Vermeidung von operativen Komplikationen oder Langzeitfolgen, ist es der Verzicht auf äußere Harnauffangeinrichtungen oder den intermittierenden Selbstkatheterismus? Die Antwort finden Sie im Kapitel „Psychologische Aspekte der Akzeptanz der Harnableitung“.

Aus Mainz mit kollegialen Grüßen

Prof. Dr. J.W. Thüroff