Liebe Leserinnen und Leser,

In der Evolution des Menschen spielt der aufrechte Gang eine wichtige, wenn nicht die entscheidende Rolle. In dem klinischen Beitrag von Bernhard Heimkes in diesem Themenheft wird eindrucksvoll dargelegt, dass „den Hüften eine überragende Bedeutung zukommt, mittels neuromuskulärer Steuerung die anatomisch vorgegebene Körpervertikale auszubalancieren“. Es kommt daher darauf an, dass diese wichtige Funktion der Hüftgelenke ohne Funktionseinbußen erhalten bleibt. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Entwicklung des Hüftgelenks und der ganzen unteren Extremität von unterschiedlichen Einflussfaktoren und deren Ausprägung von der embryonalen über die fetale zur postnatalen Periode der Skelettreifung bestimmt wird.

Von ausgewiesenen Experten werden in diesem Themenheft von Die Radiologie die Erkrankungen des Hüftgelenks bei Kindern und Jugendlichen dargestellt, und der Beitrag der radiologischen Bildgebung zu deren Erkennung und diagnostischen Einordnung wird analysiert.

Der klinische Kontext spielt in der radiologischen Diagnostik immer eine wichtige Rolle, vielleicht bei Erkrankungen der Hüfte von Kindern und Jugendlichen in besonderer Weise. Oft ist schon das Alter der Patientinnen und Patienten ein wichtiger Hinweis darauf, um welche Entität es sich handeln könnte. Die möglichst frühe Erkennung und Behandlung der kongenitale Hüftdysplasie kann für die Lebensqualität und das weitere Schicksal der Kinder bestimmend sein. Die Formstörung liegt bereits bei der Geburt vor, und es kommt darauf an, zu verhindern, dass sich daraus ein nachgeburtliches Reifungsdefizit entwickelt. Das sonographische Neugeborenen-Screening hat hier große Fortschritte erbracht. Paul‑C. Krüger und Hans-Joachim Mentzel führen aus, dass damit die Rate der residuellen azetabulären Dysplasien reduziert und die Zahl von offenen Repositionen und von Umstellungsosteotomien vermindert werden konnte. Bernhard Heimkes gibt aber zu bedenken, dass mit dem in Deutschland etablierten, zunächst selektiven Neugeborenen-Screening nur jede zweite Hüftdysplasie sehr frühzeitig erfasst wird. Daher sollte überlegt werden, ein generelles frühes Neugeborenen-Hüftultraschall-Screening, ähnlich dem österreichischen Modell, einzuführen.

Auch bei der septischen Coxitis kommt es darauf an, dass die Diagnose möglichst früh gestellt wird. Sie muss sofort erkannt und umgehend behandelt werden. Andernfalls drohen schwere Gelenkschäden und Wachstumsstörungen, die zu einer sehr belastenden Hypothek für das weitere Leben werden. Meike Weis betont in ihrem Beitrag, dass die septische Coxitis ein kinderorthopädischer Notfall ist und keinesfalls mit einer Coxitis fugax verwechselt werden darf. Diese Gefahr besteht, da die Coxitis fugax, der sog. Hüftschnupfen bei Kindern die häufigste nichttraumatische Erkrankung der Hüfte ist. Die Coxitis fugax tritt meist wenige Tage nach einem viralen Infekt auf und zeigt sich durch Schonhinken oder Gehverweigerung bei einem sonst relativ gesunden Kind. Laborchemisch kann eine systemische Entzündung ausgeschlossen werden, sodass keine weitere Abklärung erforderlich ist. Die von Caird et al. erweiterten Kocher-Kriterien sind dabei nach wie vor richtungweisend.

Der für die Coxitis fugax charakteristische Gelenkerguss bildet sich meist nach einer Woche zurück. Bleibt ein Erguss im Hüftgelenk länger bestehen, muss ein M. Perthes differenzialdiagnostisch in Erwägung gezogen werden. Alina Schwert weist darauf hin, dass der M. Perthes hinsichtlich Alters- und Geschlechtsverteilung sowie in seiner initialen Symptomatik der Coxitis fugax ähneln kann. Die Ätiologie des M. Perthes ist nach wie vor ungeklärt und, wie so oft, wird eine multifaktorielle Genese postuliert. Jüngst wurde eine Missense-Mutation in einem Typ-II-Kollagen-Gen bei Patienten mit autosomal-dominanten Hüfterkrankungen nachgewiesen. Ob daraus generell auf eine genetische Ursache des M. Perthes geschlossen werden darf, bleibt unklar.

Patienten mit der Lenta-Form der Epiphysiolysis capitis femoris (ECF) geben oft wechselnde Schmerzen an, die nicht selten in den Oberschenkel oder das Kniegelenk projiziert werden. Dies kann zur Folge haben, dass die Diagnose verzögert gestellt wird. Sebastian Berg weist in seinem Beitrag darauf hin, dass Übergewicht und Adipositas wichtige Risikofaktoren für die ECF sind. Angesichts der geradezu epidemisch um sich greifenden Zunahme des Übergewichts bei Kindern ist auch mit mehr ECF-Patienten zu rechnen. Die frühzeitige Erkennung der ECF ist für die Prognose bedeutsam, da andernfalls schwerwiegende Komplikationen drohen, wie avaskuläre Hüftkopfnekrose, Chondrolyse und sekundäre Koxarthrose. Im langfristigen Verlauf können Deformierungen zurückbleiben, die zu einem femoroazetabulären Cam-Impingement führen können.

Alle Autoren dieses Themenheftes legen großen Wert darauf, dass die bildgebende Diagnostik einerseits so genau wie möglich sein muss, aber andererseits die kleinen Patienten so wenig wie möglich belasten soll. Dies gilt für die Untersuchungsdauer, die Exposition mit ionisierenden Strahlen und die Notwendigkeit einer Sedierung oder Narkose. Folgerichtig empfehlen sie eine besonders strenge und zielgerichtete Indikation von CT und MRT.

Das femoroazetabuläre Impingement (FAI) oder femoroazetabuläre Impingement-Syndrom (FAIS) wird seit einigen Jahren intensiv diskutiert. Ursache ist ein mechanischer Konflikt zwischen Femur und Azetabulum mit Beeinträchtigung der Bewegung im Hüftgelenk, der schlussendlich zu einer Schädigung des Labrum acetabulare und des Gelenkknorpels führen kann. Beim Cam(Nockenwellen)- Impingement liegt eine verminderte Taillierung des Übergangs von Hüftkopf zu Schenkelhals vor, sodass vor allem bei Innenrotation Scherkräfte auf das Azetabulum einwirken. Dem Pincer(Beißzangen)-Impingement liegt eine vermehrte Überdachung des Hüftkopfes oder eine vermehrte Retroversion des Azetabulums zugrunde; Mischformen sind häufig. Auch Torsionsstörungen des Femurs können zu einem FAI führen oder dazu beitragen. Iris Nöbauer-Huhmann macht deutlich, dass viele Jugendliche mit knöcherner FAI-Morphologie keine Beschwerden haben und dass das FAIS daher eine klinische Diagnose sein muss. Das FAIS betrifft häufig sportlich aktive Patienten. Bei adoleszenten Sportlern wurden jüngst Fälle von Soft-Cam-Impingement beschrieben, also einem FAIS, das durch nichtverknöcherte Vorwölbungen verursacht wird, beispielsweise durch periostale Verdickungen. Künftige Studien werden zeigen, ob es sich hierbei um Frühformen des FAIS handelt.

Treten bei Jugendlichen im Zusammenhang mit intensiven sportlichen Anstrengungen akut Schmerzen auf, sind Abrisse der Apophysen wichtige Differenzialdiagnosen. Bei einer typischen Traumaanamnese und dem radiographischen Nachweis einer dislozierten Apophyse kann die Diagnose einer Avulsionsverletzung der Apophyse als gesichert gelten. Franziska Hein und Marc Steinborn zeigen, dass chronische Überlastung und repetitive Traumen zu reaktiven Veränderungen führen können, die nicht mit einer Verlagerung der Apophysen einhergehen und gegenüber Entzündungen, Infektionen und sogar Tumoren abgegrenzt werden müssen.

Wir möchten den Autoren dieses Themenheftes dafür danken, dass sie ihr Wissen und ihre Erfahrungen mit uns teilen und praktisch nutzbare Empfehlungen für die radiologische Diagnostik von Kindern und Jugendlichen mit Beschwerden im Bereich der Hüftgelenke geben. Diese Empfehlungen können es uns erleichtern, die Untersuchungsaufträge unserer klinischen Partner adäquat zu erfüllen. Wir hoffen, dass sie dazu beitragen, dass bei dieser besonders sensiblen Patientengruppe wirklich nichts schiefgeht.

Ihr/e

Maximilian Reiser

Iris Nöbauer-Huhmann