Liebe Leserinnen und Leser,

Fehldiagnosen sind ein bedeutendes Problem in der Medizin: Etwa 20–67 % aller Patienten, die in eine für multiple Sklerose (MS) spezialisierte Einrichtung überwiesen werden, haben in Wirklichkeit keine MS, wobei bereits zwei Drittel von diesen bereits eine medikamentöse Therapie erhalten. Eine der häufigsten Ursachen für die Fehldiagnose ist die falsche Interpretation des MRT-Bilds. Trotz weitreichender Erfahrungen mit multipler Sklerose ist die Rate an Fehldiagnosen hoch. Der MAGNIMS-Konsensus beschreibt ein standardisiertes Protokoll. Die Läsionen müssen verschiedenen Kriterien entsprechen, um als MS-typisch angesehen werden zu können. Bei der MS-Diagnostik wurden schon frühzeitig MRT-Protokolle erarbeitet, um die Qualität der Diagnostik und Befundung zu erhöhen.

Die Teilnahme an interdisziplinären Besprechungen ist ein wichtiger Bestandteil des klinischen Alltags in der Radiologie. Neben Besprechungen zur Herzbildgebung, Traumatologie oder Intensivmedizin geschieht diese häufig im Rahmen von Tumorboards. Tumorboards sind erforderlich, um Tumorpatienten von der Diagnose über die Entscheidung zur Therapie und im Verlauf der Behandlung zu betreuen. Dies ist regelhaft eine Anforderung im Rahmen der Zertifizierung als entsprechendes Zentrum. Ein zusätzlicher Aspekt ist es, die Eignung der Patienten für den Einschluss in klinische Studien zu erörtern. Die Vorbereitung und Durchführung von Tumorboards sind für den Radiologen zeitaufwändig, was oft nicht ausreichend in der Personalplanung berücksichtigt wird.

Eine weitere Herausforderung stellen Fremdaufnahmen dar; inzwischen werden etwa 30 % der in den klinischen Konferenzen besprochenen radiologischen Bilder in Praxen oder auswärtigen Krankenhäusern angefertigt, was zu einer erheblichen Zusatzbelastung der Radiologie führt (Zweitbefundung, z. T. mit abweichender Befundinterpretation mit evtl. auch rechtlichen Konsequenzen).

Die Strukturvorgaben des G‑BA sehen Neurovaskuläre Zentren, überhaupt Zentrenbildung zur Qualitätsverbesserung vor. Krankenhäuser, die zukünftig als ein neurovaskuläres Zentrum oder Lungenzentrum finanzielle Zuschläge erhalten wollen, müssen dafür Qualitätsanforderungen des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) erfüllen.

Werden die bundeseinheitlichen G‑BA-Voraussetzungen zu Art und Anzahl von Fachabteilungen, Mindestfallzahlen und Kooperationen eingehalten, kann das Krankenhaus damit als Kompetenz- und Koordinierungszentrum fungieren und gesondert finanzielle Unterstützung bekommen. Denn diese Aufgaben der Spitzenmedizin gehen über die Patientenversorgung hinaus und werden entsprechend nicht über das Fallpauschalensystem abgedeckt.

Die Details zu den grundlegenden Qualitätsanforderungen für neurovaskuläre Zentren und Lungenzentren hat der G‑BA in seinen Zentrumsregelungen ergänzt. Die derzeitigen Zentrumsregelungen sehen bereits die Anforderungen an fünf Zentrenarten vor, beispielsweise onkologische Zentren und Herzzentren.

Neurovaskuläre Zentren sind ein Diskussionsforum für die Fachgebiete Neurologie, Neurochirurgie, Neuroradiologie, aber auch für Augenheilkunde, Gefäßchirurgie, HNO, MKG. Hier findet ein intensiver interdisziplinären Austauschstatt; für jeden Patienten wird das bestmöglichste Vorgehen zu Vorsorge, Therapie und Nachsorge getroffen. Individuelle Behandlungskonzepte werden für elektive Patienten mit neurovaskulären Erkrankungen etabliert, Behandlungsempfehlungen finden auf Grundlage der aktuellen Leitlinien, der wissenschaftlichen Evidenz und der darauf basierenden Behandlungsstandards statt. Dies führt zu einer erheblichen Verbesserung der Qualität und Einführung und Einhaltung von Standards.

Ein Nachteil ist der erhöhte zeitliche Aufwand, der in der Regel nicht berücksichtigt wird. Der G‑BA sieht für Zentrenbildung deshalb Zuschläge vor.

Die Radiologie ist in den interdisziplinären Besprechungen oft Dreh- und Angelpunkt, sowohl in der Diagnostik als auch in Therapieentscheidungen und Nachsorge. Die interdisziplinären Besprechungen führen zu einer erheblichen Verbesserung der Qualität sowie zur Anwendung und zum Ausbau von Standards (z. B. strukturierte Befundung). IT-Tools zur Prozessautomatisierung können den zeitlichen und personellen Mehraufwand unterstützen helfen.

Ihre

Wolfgang Reith

Peter Mildenberger

Christian Herold

Stefan Delorme