Liebe Leserinnen und Leser,

Die multiple Sklerose (MS) ist mit mehr als 250.000 Erkrankten in Deutschland die häufigste chronisch-entzündliche ZNS-Erkrankung junger Menschen. Die Diagnose der MS wurde durch die Revision der McDonald-Kriterien erneut vereinfacht und erleichtert. Im Rahmen der Abklärung sollen MRT-Aufnahmen mit standardisierten Sequenzen und eine Liquoruntersuchung erfolgen. Weiterführende Laboruntersuchungen zur breiten Differenzialdiagnostik sind nur bei konkretem klinischem Verdacht notwendig. Die Indikation zur Schubtherapie mittels Glukokortikosteroiden (GKS) soll in Abhängigkeit von der Schubschwere, Verträglichkeit und Wirksamkeit einer etwaigen früheren hochdosierten GKS-Therapie, Komorbiditäten und relativen Kontraindikationen gestellt werden.

Die große Zahl von Immuntherapeutika erlaubt zunehmend eine an den Krankheitsverlauf und das individuelle Risikoprofil angepasste Therapie der MS. Ziele der Immuntherapie sollen die Verhinderung bzw. Reduktion von klinischer Krankheitsaktivität und Erhalt der Lebensqualität sein. Ein weiteres Ziel sollte die Reduktion der per Magnetresonanztomographie messbaren subklinischen Krankheitsaktivität sein.

Für die Diagnose einer MS sind klinische Symptome und der Nachweis einer zeitlichen („dissemination in time“, DIT) und räumlichen („dissemination in space“, DIS) Dissemination von Läsionen im ZNS notwendig. Die MS ist eine Ausschlussdiagnose. Voraussetzung ist also zusätzlich, dass sich keine bessere Erklärung für die Symptome oder paraklinischen Befunde des Betroffenen finden lässt.

Es treten verschiedene Verlaufsformen der MS auf: schubförmig remittierende MS („relapsing-remitting MS“, RRMS), sekundär progrediente MS („secondary progressive MS“, SPMS), primär progrediente MS („primary progressive MS“, PPMS). Eine weitere Kategorie ist das klinisch isolierte Syndrom (KIS): eine mutmaßlich erste klinische Manifestation einer MS; charakterisiert durch einen Schub mit einem neurologischen Defizit, das mit einer MS vereinbar ist, bei dem die Diagnose einer MS aber noch nicht gestellt werden kann, da das Kriterium der zeitlichen Dissemination nicht erfüllt ist.

Bei dem radiologisch isolierten Syndrom (RIS) handelt es sich per definitionem nicht um eine Form der MS; es ist charakterisiert durch inzidentelle MRT-Befunde, die mit einer MS vereinbar sind, ohne dass MS-typische klinische Symptome vorliegen. Dies ist insbesondere für die Radiologen wichtig.

Die MRT-Befunde sind nicht immer krankheitsspezifisch, und mit der zunehmenden Vereinfachung der geforderten MRT-Befunde ist eine ansteigende Zahl falsch-positiver Diagnosen zu erwarten; eine Standardisierung der MRT-Bildgebung kann hier Abhilfe schaffen. Empfehlungen zur MRT bei Patient*innen mit multipler Sklerose enthalten aktualisierte Anleitungen, wie und wann eine MRT für Diagnostik, Prognose und Therapiemonitoring erfolgen soll. Das Monitoring der Patient*innen mit multipler Sklerose legt besonderen Wert auf die Verwendung standardisierter MRT-Protokolle, die sinnvolle Verwendung von GBCA und auf ein standardisiertes Reporting.

Auf der Grundlage seiner hohen Empfindlichkeit werden sagittale 3‑D-FLAIR als Kernsequenz zur MS-Diagnose und -Überwachung angesehen. In Zentren, die jedoch nicht in der Lage sind, ausreichend hochwertige 3‑D-FLAIR-Bilder zu akquirieren, können zweidimensionale (2-D) Sequenzen ≤ 3 mm Schichtdicke ohne „gap“ alternativ durchgeführt werden. T1-gewichtete ohne GBCA werden routinemäßig nicht mehr durchgeführt. Der Wert der spinalen MRT für die Diagnose der MS wurde eindeutig gezeigt. Das Protokoll muss mindestens zwei der folgenden drei sagittalen Sequenzen beinhalten: T2‑w (d. h. Turbo oder schnelles) Spin-Echo mit mäßig langen Echozeiten, Protonendichte-gewichtetes (d. h. Turbo- oder schnelles) Echo oder kurze Tau-Inversionssequenz (STIR). Ein angemessener Kompromiss ist, nur die obere Abschnitte des Myelons abzubilden (d. h. C1 bis T5), ohne die Sensitivität erheblich zu beeinträchtigen. Bei Patient*innen mit einem klinisch isolierten Syndrom, das mit einer Demyelinisierung vereinbar ist und bei denen die anfänglichen MRT-Scans von Gehirn und Rückenmark kein DIS oder DIT zeigten, soll gemäß den Überarbeitungen der McDonald-Kriterien von 2017 eine serielle klinische Beobachtung und eine Follow-up-MRT im Zeitverlauf erfolgen, um neue Krankheitsaktivitäten zu identifizieren.

Eine Aktualisierung der 2017 erstellten Leitlinien ist notwendig geworden, um die in den letzten Jahren aus intensiver Forschung und Entwicklung gewonnenen neuen Erkenntnisse und Therapiemöglichkeiten zu bewerten und damit die bestmögliche Versorgung von MS-Patient*innen auf dem aktuellen Stand des Wissens zu unterstützen.

Die Diagnose der multiplen Sklerose ist oft ein langer Weg, da es hierfür nicht den einen Test gibt, der klar zu einem Ergebnis führt. Die Symptome der MS können sehr vielfältig sein und passen vor allem im Frühstadium der Autoimmunerkrankung meist auf eine Vielzahl anderer Krankheitsbilder. Das erschwert oftmals selbst sehr erfahrenen Ärzt*innen die MS-Diagnose. Eine wichtige Untersuchung für die MS-Diagnose ist die MRT, sowohl initial als auch im Verlauf und zur Therapieüberwachung; deshalb kommt den Radiologinnen und Radiologen eine hohe Verantwortung zu, und sie sollten sich mit diesem Krankheitsbild auseinandersetzen.

Ihr

Wolfgang Reith