Sehr geehrte Leserinnen und Leser,

beim multiplen Myelom hat sich die radiologische Diagnostik vor dem Hintergrund neuer Erkenntnisse der pathophysiologischen Grundlagen und neuer therapeutischer Möglichkeiten entscheidend gewandelt. Am markantesten ist die Ablösung des sogenannten „Pariser Schemas“ durch die native Ganzkörpercomputertomographie. Dass die Sensitivität der Computertomographie für sehr kleine Osteolysen höher ist als die der planaren Röntgenaufnahmen, ist ganz offensichtlich. Zudem werden in den langen Röhrenknochen Infiltrate durch den Tumor sichtbar, die der normalen Röntgenaufnahme verborgen bleiben. Schwieriger ist die Beurteilung in den Wirbelknochen, wo eine Verdrängung des Fettmarks durch das multiple Myelom infolge der Überlagerung durch die Spongiosa weniger offensichtlich ist.

Erkauft wird dies trotz Niedrigdosisprotokollen mit einer gegenüber dem bisherigen Röntgen höheren Strahlendosis. Hierin und in einer besseren Beurteilung des Knochenmarks des axialen Skeletts liegt der „Wettbewerbsvorteil“ der MRT.

Von klinischer Seite hat sich die Stadieneinteilung ebenfalls gewandelt. Die Einteilung nach Durie und Salmon hat sich zwar begleitend noch gehalten, durchgesetzt haben sich aber die Kriterien der International Myeloma Working Group (IMWG), nach denen zwischen asymptomatischen und symptomatischen Plasmazellerkrankungen unterschieden wird. Als symptomatisch gilt derzeit eine Plasmazellerkrankung dann, wenn eine Hyperkalzämie, eine Niereninsuffizienz, eine Anämie oder ein Schaden am mineralisierten Knochen vorliegen. Erst dann besteht die Indikation zu einer Behandlung. Ob und wann eine asymptomatische Plasmazellerkrankung in ein symptomatisches Stadium übergeht, ist schwer vorherzusagen – gerade dies ist Gegenstand aktueller Forschung. Was wir inzwischen wissen, ist, dass der Nachweis von Infiltration des Myeloms im Knochenmark mithilfe der MRT auf eine baldige Progression hindeutet insbesondere dann, wenn die Läsionen eine Wachstumsdynamik zeigen. Ähnliches gilt für den Nachweis speichernder Herde in der PET. Aber auch die Gentypisierung und weitere In-vitro-Diagnostik können zu einer besseren Risikostratifizierung beitragen. Wir haben gelernt, dass Myelomzellen zunächst die Nachbarschaft zu Osteoklasten und Stromazellen suchen, die sie mittels Mediatoren beeinflussen. Wenn sie, wie es im Verlauf der Erkrankung vorkommen kann, sich hiervon „unabhängig“ machen, stellt dies einen Schritt der Entdifferenzierung dar. Mit welchen genetischen oder epigenetischen Veränderungen dies verbunden ist, bleibt noch zu erforschen.

Auch wenn die Plasmazellerkrankung bis auf wenige Ausnahmen ein systemisches Problem ist, ist eine lokale Therapie nicht selten erforderlich, um die Komplikationen der Knochendestruktionen zu verhüten oder abzumildern. Neben operativen, stabilisierenden Maßnahmen steht hierbei die Strahlentherapie ganz im Vordergrund, da sie das lokale Tumorwachstum aufhalten und Schmerzen lindern kann.

Wie man sieht, stellt das multiple Myelom eine wahrhaft interdisziplinäre Aufgabe dar, die eine enge und engagierte Zusammenarbeit zwischen Hämatologen, Radiologen, Nuklearmedizinern, Strahlentherapeuten, Chirurgen und nicht zuletzt auch Grundlagenwissenschaftlern erfordert. In der Bildgebung hat sich hierbei in den vergangenen Jahren eine wahrhafte Revolution vollzogen: Ihre Rolle geht weit über die Erfassung des Status präsens hinaus, indem sie Auskunft über die Aktivität und Aggressivität des Tumors gibt und therapeutische Entscheidungen wesentlich beeinflusst. Aktuelle Empfehlungen für die Bildgebung sind 2012 im Radiologen erschienen (Hillengass J, Delorme S (2012) Multiples Myelom: Aktuelle Empfehlungen für die Bildgebung. Radiologe 52:360-365). Das vorliegende Heft gibt nun einen Überblick über den aktuellen Stand und die interdisziplinäre Forschung auf diesem Gebiet.

Ihre

Prof. Dr. med. Stefan Delorme

PD Dr. med. Jens Hillengaß