Sehr geehrte Leserinnen und Leser,

das zentrale Nervensystem lässt sich in verschiedene Bereiche gliedern. Die gewaltige Anzahl von Nervenzellen ist Grundlage einer kaum vorstellbaren Anzahl von Verschaltungsmöglichkeiten. Das menschliche Gehirn ist in seiner Arbeitsteilung hochdifferenziert.

Das Gehirn ist bilateral symmetrisch angelegt, es finden sich aber dennoch anatomische und funktionelle Unterschiede zwischen linker und rechter Hirnhälfte, Lateralisation oder Asymmetrie. Beide Hirnhälften interagieren miteinander durch Kommissionsbahn und verknüpfen unterschiedliche Ziele und Ursprungsgebiete der beiden Hirnhälften. Während der Begriff der Lateralisation eher eine funktionelle spezielle Sektion beschreibt, wird Asymmetrie anatomisch und/oder funktionell verwendet. Rechts- bzw. Linkshändigkeit und Sprachdominanz sind in diesem Zusammenhang von besonderer Bedeutung.

Die funktionelle Magnetresonanztomographie (fMRT) zeigt umschriebene Aktivierungen im Gehirn, die eine anatomische Identifizierung benötigen. Aus diesem Grund haben wir in den vorliegenden Artikeln versucht, einige neuroanatomische Grundlagen des Gehirns näher darzustellen. In fast allen funktionellen bildgebenden Untersuchungen ist jedoch nicht nur eine kortikale Erregung aktiviert. Für ein tieferes Verständnis komplexer kognitiver Funktionen ist es deshalb notwendig, auch die Verbindung zwischen kortikalen Arealen und tiefer gelegenen Kerngebieten der Stammganglien und dem Rückenmark zu kennen.

Der sensomotorische Informationsfluss im zentralen Nervensystem kann in drei Schritte gegliedert werden: Wahrnehmung, Verarbeitung und Reaktion. Die im somatosensiblen Kortex ankommenden Reize werden über eine komplexe Interaktion zwischen sensorischem und motorischem Kortex verarbeitet. Die motorische Reaktion auf den Umweltreiz wird dann vom Motorkortex über die Pyramidenbahn, Rückenmarkbahn und motorischen Nerven an die entsprechenden Muskeln weitergeleitet. Mit Hilfe der funktionellen MRT ist es möglich, somatosensible und motorische Aktivierungen in verschiedenen beteiligten Hirnarealen zu untersuchen. Diese Information wird klinisch genutzt, um die räumliche Lagebeziehung zwischen Hirntumoren und funktionell bedeutsamen Hirngebieten zu bestimmen und so ein individuell optimiertes therapeutisches Vorgehen zu ermöglichen, mit dem Ziel einer möglichst radikalen Tumorentfernung und des Erhalts motorischer und somatosensibler Funktionen. Neben den klassischen funktionellen MRT-Techniken mit Aktivierung bestimmter Hirnareale auf bestimmte Reize hin wird auch die Diffusion-tensor-imaging-Bildgebung durchgeführt, um die Faserverläufe der Bahnen darzustellen.

Auch die kortikale Plastizität/Reorganisation, also die Veränderung von Hirnaktivierung unter pathologischen Bedingungen, kann mit Hilfe der fMRT untersucht werden. Die prächirurgische fMRT-Diagnostik dient der Abschätzung funktioneller Ausfälle durch die Operation, der Festlegung eines optimierten therapeutischen Konzepts mit dem Ziel einer möglichst radikalen Tumorbehandlung und des weitgehenden Erhalts wichtiger Hirnfunktionen, der Reduktion invasiver diagnostischer Prozeduren und der Planung interoperativer Elektrokardiographien und Wachkraniotomien.

Neben diesen klassischen funktionellen fMRT-Techniken zur Darstellung somatosensibler Bahnen kann die fMRT auch zur Darstellung von Sprechmotorik und Sprachperzeption herangezogen werden. Auch hier ist das vordringlichste Ziel bei entsprechenden operativen tumorchirurgischen Eingriffen, die Sprache zu erhalten. Mit Hilfe verschiedener fMRT-Paradigmen können die entsprechenden Sprachregionen untersucht werden. Wichtig für die Klinik sind die Kenntnis der entsprechenden Sprachregionen und das Wissen, dass die Sprachregionen auch mit Hilfe der funktionellen Bildgebung ausreichend vor chirurgischen Eingriffen dargestellt werden können. Wenn etwa bekannt ist, welche Hirnareale beim Patienten an sprachlichen Leistungen beteiligt sind, können diese Areale bei der Resektion weitgehend geschont werden. Dies führt zu einer entscheidenden Verminderung des Risikos postoperativer Sprachstörungen.

Ein weiteres wichtiges Organ ist der Gehörsinn, einer der aktivsten unserer Sinne. Der Gehörsinn ist von großer Bedeutung für die Orientierung und die soziale Kommunikation des Menschen. Die Hörbahn kann ebenfalls mit Hilfe der funktionellen MRT abgebildet werden. So kann z. B. auch bei tauben Patienten eine Prüfung stattfinden, ob die Hörbahn funktionell intakt ist. Die Darstellung der anatomischen und funktionellen Hörbahn ist auch von Bedeutung bei Patienten, die für Kochleaimplantate vorgesehen sind. Eine weitere sich abzeichnende Einsatzmöglichkeit stellt die Einbindung der fMRT in die Diagnostik phoniatrischer Krankheitsbilder dar.

In einem weiteren Artikel werden die räumliche Orientierung sowie das Beurteilen von Distanz im visuellen System sowie die Farbwahrnehmung dargestellt. Über entsprechende Stimuli lassen sich visuelle Verarbeitungswege stimulieren, was wiederum für die präoperative Diagnostik von Bedeutung ist.

Die Kenntnis der anatomischen Strukturen des ZNS und die entsprechenden funktionelle Neuroanatomie sind von entscheidender Bedeutung für die Beurteilung von Läsionen. Insbesondere ist für die präoperative Diagnostik wichtig zu wissen, welche Strukturen potenziell bei einer neurochirurgischen Operation gefährdet sind und mit welchen Tests sie präoperativ untersucht werden können.

Ihr

Prof. Dr. Wolfgang Reith