Sehr geehrte Leserinnen und Leser,

zu den Gefäßkrankheiten des Rückenmarks zählen neben der spinalen Ischämie v. a. Gefäßfehlbildungen wie die spinalen arteriovenösen Malformationen (AVM) und die kavernösen Hämangiome des Rückenmarks. Daneben können aber auch spinale Blutungen auftreten, deren Ätiologie nicht immer traumatischer Natur sein muss.

Spinale Gefäßmalformationen sind seltene Erkrankungen, die unbehandelt zu einer oft progredienten Schädigung des Rückenmarks führen. In Abhängigkeit vom Typ der vaskulären Erkrankung kann diese Schädigung durch subarachnoidale oder medulläre Blutungen, venöse Stauungen mit Kongestionsmyelopathie, Ischämien oder raumfordernde Effekte hervorgerufen werden.

Wichtige Hinweise auf die Ätiologie der zugrundeliegenden Pathologien und damit der Differenzialdiagnose gibt die Anamnese.

Eine Blutung manifestiert sich in der Regel durch eine akute und häufig ausgeprägte klinische Symptomatik, während die Ischämie akut mit Schmerzen und einem darauf folgenden sensomotorischen Defizit auftritt. Vaskuläre Myelopathien hingegen zeigen einen über Wochen und Monate akuten bis chronischen Verlauf mit progredienter klinischer Verschlechterung.

Die bildgebende Diagnostik hat bei vaskulären Rückenmarkerkrankungen eine herausragende Bedeutung. In erster Linie ist die MRT das Verfahren der Wahl. Insbesondere bei klinischem Verdacht auf spinale Gefäßmissbildungen stellt die MRT die wichtigste diagnostische Maßnahme dar. Intramedulläre Veränderungen, z. B. ischämische Läsionen, Kavernome oder Blutungen, bzw. extramedulläre intradurale Auffälligkeiten wie dilatierte Gefäße, subarachnoidales Blut und auch extradurale Pathologien, können direkt nachgewiesen und diagnostiziert werden. Auch differenzialdiagnostische Überlegungen wie Tumoren, Myelonkompressionen oder degenerative Veränderungen der Wirbelsäule können damit erfasst werden. Die spinale Angiographie ist dann indiziert, wenn die neurologische Symptomatik im Zusammenhang mit dem MRT den Verdacht auf eine spinale arteriovenöse Malformation nahelegt. Die Angiographie ist dabei erforderlich, um den genauen Typ der Gefäßmalformation zu klären und die für die spezifische Läsion geeignetste Therapieform auszuwählen. Die spinale Ischämie stellt in der Regel keine Indikation für eine spinale Angiographie dar, kann jedoch Informationen zur Ätiologie des Infarkts liefern.

Eine Besonderheit stellen die spinalen duralen AV-Fisteln (dAVF) dar, die vermutlich eine erworbene Erkrankung sind. Unbehandelt führen sie über einen variablen Zeitraum, der sich über Monate bis Jahre erstrecken kann, zu einer irreversiblen Querschnittslähmung. Bei der spinalen duralen AV-Fistel liegt der arteriovenöse Kurzschluss in der Dura mater und wird von kleinen duraversorgenden Arterien gespeist. Die Fehlbildungen entstehen an den Stellen, an denen die nach epidural drainierenden Wurzelvenen (V. radicularis) die Dura durchqueren, da an dieser Stelle die Dura am Gefäßwandaufbau beteiligt ist.

Die klinische Symptomatik lässt sich dadurch erklären, dass die arteriovenöse Kurzschlussverbindung zu einer Arterialisierung und Druckerhöhung in den normalerweise nach außen drainierenden Wurzelvenen führt. Durch den erhöhten Druck kommt es zu einer venösen Kongestion und damit zu einer progredienten Schädigung des Rückenmarks. Da die initialen Symptome bei einer spinalen duralen AV-Fistel uncharakteristisch sind, kommt es oft vor, dass über mehrere Monate die richtige Diagnose nicht gestellt wird.

Insbesondere bei unklarer spinaler Symptomatik sollte differenzialdiagnostisch immer an eine mögliche durale AV-Fistel gedacht werden. Die MRT-Bildgebung ist dabei die Methode der Wahl, da bei spinalen duralen AV-Fisteln die entsprechenden Veränderungen im Myelon in der Regel nachweisbar sind. Bei erfolgreicher Therapie, entweder operativ oder durch Embolisation, können eine Abnahme des Ödems und eine Atrophie des Rückenmarks nachgewiesen werden. Die Prognose hängt vom Ausmaß des neurologischen Defizits bei Diagnosestellung ab. Motorische Ausfälle zeigen die besten Rückbildungstendenzen innerhalb des ersten Jahres.

Gefäßerkrankungen des Rückenmarks sind seltene Erkrankungen, die unbehandelt aber zu einer progredienten Schädigung des Rückenmarks führen können. Bei unklarer klinischer Symptomatik sollte frühzeitig eine MRT, die wichtigste Untersuchung hierfür, durchgeführt werden.

Ihr

Prof. Dr. Wolfgang Reith