Über Psychose, Sprache und Literatur

Zusammenfassung

Mögliche Zusammenhänge zwischen künstlerischem Genie und psychischer Krankheit beschäftigen seit je nicht nur Psychiater, sondern auch Literatur- und Kunstwissenschaftler. Gerade moderne literarische Texte zeigen formale Ähnlichkeiten mit Sprachäusserungen psychotischer Menschen, was zur Frage führt, ob Psychotiker Literatur hervorbringen können. Der vorliegende Beitrag weist darauf hin, daß in der Psychose die semantische Stabilität gelockert ist, was einem Verlassen des von der Sprachgemeinschft gebildeten Konsens im Gebrauch der Symbole und Zeichen entspricht. Texte von Psychotikern können somit im Sinne von Gadamers Hermeneutik nicht verstanden werden, sie sind für den Rezipienten leere Form. Zwar findet auch bei hermetischen literarischen Texten ein Unterlaufen des semantischen Codes statt, allerdings steht dahinter bewußtes Kalkül und künstlerischer Gestaltungswillen, der gerade im gezielten Verletzen der symbolischen Ordnung seinen Ort findet.

Summary

There have always been debates about possible correlations between creative genius and mental illness, not only among psychiatrists but also among scientists of art and literature. Especially modern literary texts may show formal similarities to psychotic speech, which leads to the question, whether not only artists, but also people in psychotic states are able to create literature. This article points out the loosened semantic stability in psychotic speech, which equals a loss of common ground in the use of signs and symbols. In terms of Gadamer`s hermeneutics, texts produced by psychotic people cannot be understood, they are mere form. Even in hermetic literary texts, the semantic code can be offended, but in deliberate artistic intention, which finds its communicative purpose in breaking the symbolic order.