Hintergrund

Im Zuge einer „coronavirus disease 2019“ (COVID-19), einer durch das „severe acute respiratory syndrome coronavirus 2“ (SARS-CoV-2) verursachten Infektion, finden sich neuropsychiatrische Spätfolgen bei ca. ein Drittel der Patienten [44].

Das National Institute for Health and Care Excellence (NICE) definiert unterschiedliche Stadien der COVID-19-Erkrankung basierend auf der Entstehung bzw. der Persistenz COVID-19-assoziierter Symptome in Bezug auf den Zeitpunkt der Erstmanifestation dieser Erkrankung (https://www.nice.org.uk5). Die akute Phase umfasst die ersten 4 Wochen, während von einem anhaltend symptomatischen COVID-19 5 bis 12 Wochen nach Erstmanifestation gesprochen wird. Symptome, die länger als 12 Wochen persistieren und keiner alternativen Diagnose zuordenbar sind, werden unter dem Begriff Post-COVID-Syndrom zusammengefasst.

Nicht nur initial schwer kranke Patienten leiden an einem Post-COVID-Syndrom

Die World Health Organization (WHO) definiert Post-COVID-19 als Zustand, der bei Personen mit einer anamnestisch wahrscheinlichen oder bestätigten SARS-CoV-2-Infektion 3 Monate nach Beginn der COVID-19-Symptome und mindestens 2 Monate andauernd vorhanden ist und durch eine alternative Diagnose nicht erklärbar ist. Symptome beinhalten zumeist Fatigue, Atemnot und kognitive Dysfunktion, welche das alltägliche Funktionsniveau beeinflussen. Diese persistieren mit Beginn der Infektion oder manifestieren sich erst nach der Erholung von der Akuterkrankung. Sie können fluktuieren oder im Verlauf wiederkehren [42]. Nicht nur initial schwer kranke Patienten leiden an einem Post-COVID-Syndrom, sondern auch jene mit unkompliziertem Verlauf.

Das Post-COVID-Syndrom erweist sich nicht nur in psychiatrischer, sondern auch somatischer Hinsicht als komplex, zieht man in Betracht, dass mehr als 30 Phänotypen definiert wurden mit unterschiedlicher Symptomausprägung wie Geruchs- und Geschmackstörung, Alopezie, Brustschmerz, Dyspnoe, Pneumonie, Nausea oder Diabetes mellitus Typ II [12, 15].

Die vorliegende Arbeit zu Post-COVID-assoziierter neuropsychiatrischer Symptomatik mit Fokus auf Fatigue gibt einen Überblick über epidemiologische, klinische, bildgebende und behaviorale Aspekte dieser Entität. Es folgen Therapieempfehlungen und ein prognostischer Ausblick, welcher die Notwendigkeit verbesserter Differenzialdiagnostik und daran angepassten Therapie des Post-COVID-Syndroms unterstreicht.

Material und Methoden

Eine MEDLINE-Literaturrecherche (https://www.ncbi.nlm.nih.gov) mit Deadline 28.02.2022 wurde durchgeführt, um „peer-reviewed“ Originalarbeiten, Fallserien oder Fallberichte zum Thema „Neuropsychiatrische Manifestationen von Post-COVID-19“ zu identifizieren. Die folgenden Suchbegriffe wurden angewandt: „(Long-COVID OR Post-COVID) AND (fatigue, OR depression OR anxiety)“, zeitlich begrenzt auf die Jahre 2019 bis 2022. Titel, Abstracts, Volltextartikel und Referenzen wurden geprüft, um geeignete Manuskripte zu extrahieren. Darüber hinaus erfolgte eine selektive Literaturrecherche zu neurologischen und psychiatrischen Aspekten von COVID-19 und assoziierten Themen, um die herausgearbeiteten Kernpunkte in einen klinischen und wissenschaftlichen Kontext einzubetten.

Epidemiologische Aspekte

Prävalenz und Inzidenz

Eine Übersicht epidemiologisch relevanter Studien ist folgender Onlinequelle des National Institute of Health Research (NIHR) des United Kingdom zu entnehmen: https://evidence.nihr.ac.uk/themedreview/living-with-covid19. Gemäß dieser entwickeln 30 % aller mit frühen Varianten (z. B. α‑, δ‑Variante) des SARS-CoV‑2 infizierten Patienten ein Post-COVID-Syndrom, während bei den hospitalisierten Patienten 50–70 % betroffen sind. Valide Zahlen zur Häufigkeit von Post-COVID-19 nach Infektionen mit der Omikron-Variante sind derzeit nicht verfügbar. Das European Centre for Disease Prevention and Control (ECDC) postulierte, dass angesichts der großen Anzahl von Omikron-Infektionen eine hohe Inzidenz von Post-COVID-19 anzunehmen ist, mit einer vergleichsweise höheren Inzidenz bei ungeimpften Personen (https://www.ecdc.europa.eu/en/publications-data/covid-19-omicron-risk-assessment-further-emergence-and-potential-impact).

Metaanalysen zur Fatigue belegen eine 3‑Monats-Prävalenz von 0,32 (n = 25.268) [8] ungeachtet des COVID-19-Verlaufs, während eine Erkrankungshäufigkeit von > 50 % bei stationär und 10 % bei ambulant behandeltem COVID-19 (n = 9362; [38]) 2 bis 3 Monate nach Infektion vorlag.

Risikofaktoren

Weibliches Geschlecht, erhöhter Body-Mass-Index, komorbides Asthma, höheres Lebensalter und mehr als 5 Symptome in der COVID-19-Akutphase, u. a. Fatigue, sind Prädiktoren für die Entwicklung eines Post-COVID-Syndroms (Odds Ratio = 3,53 [2,76–4,50]; [43]). Bezugnehmend auf die oben genannte Definition des Post-COVID-Syndroms kann Fatigue somit zugleich als Risikofaktor, aber auch als Kernsymptom eines Post-COVID-Syndroms definiert werden.

Sozioökonomische Aspekte

Von 431 COVID-19-Patienten einer Schweizer Kohorte benötigten 40 % 6 bis 8 Monate nach der Infektion einen erneuten Kontakt mit dem Gesundheitssystem (Hausarzt, Hotline, stationäre Aufnahme) aufgrund von COVID-19-Spätfolgen. In 18 % der Fälle wurden neue medizinische Diagnosen gestellt, 44 % der Patienten mussten ihr Arbeitspensum einschränken, 12 % beklagten Einkommensverluste [32]. Post-COVID-Patienten zeigten eine gesteigerte Einnahme von Anxiolytika, Sedativa, Opioiden und Antidepressiva [2].

Klinische Aspekte

Klinik

In der Akutphase (Woche 1–4) sind neurologische Komplikationen wie Enzephalopathie, zerebrovaskuläre Ereignisse und gelegentlich Enzephalitiden im Hinblick auf neuropsychiatrische Defizite in der Spätphase relevant [35]. 98 % der COVID-19-Patienten gaben in der Akutphase Fatigue an, 91 % Kopfschmerzen [43]. Es manifestieren sich psychotische und kognitive Störungen [49].

Während der Phase des anhaltend symptomatischen COVID-19- (Woche 5–12) und des Post-COVID-Syndroms (>12 Wochen) persistieren Fatigue, Kopfschmerzen, Gedächtnis- und Konzentrationsschwierigkeiten („brain fog“; [35]). Letztere lassen sich im Bereich der Exekutive, des Gedächtnisses und der Visuokonstruktion mittels neuropsychologischer Testbatterien objektivieren [3, 22]. Eine ausführliche Übersicht zu neurokognitiven Störungen als Folge von COVID-19 findet sich im Beitrag von Schilling et al. in diesem Themenheft von Der Nervenarzt. Es findet sich eine erhöhte 3‑Monats-Inzidenz psychiatrischer Ersterkrankungen (5,8), insbesondere für Angst- (4,2) und Schlafstörungen (1,9; [45]). Auch erhöhte 6‑Monats-Inzidenzen für psychische Erkrankungen (17,4 % Angsterkrankungen, 13,7 % Depression, 1,4 % Psychose, 6,6 % Suchterkrankungen, 5,4 % Insomnie) wurden beobachtet [44]. In der Schweizer Kohorte klagten nach 6 bis 8 Monaten > 50 % der Patienten über Fatigue und ca. 25 % über Depressionen [32]. Gemäß einer US-amerikanischen Studie (n = 73.435) bestand 6 Monate nach einer COVID-19-Infektion eine erhöhte Hazard Ratio für Fatigue (1,8), Insomnie (1,3), Traumafolge- (1,3) und Angststörungen (1,2; [2]). Übereinstimmend erfasste ein systematischer Review bei Betrachtung mehrheitlich hospitalisierter COVID-19-Patienten (n = 250.351) nach 6 Monaten Fatigue (38 %) und Angststörungen (30 %; [18]). Eine Metaanalyse zu psychiatrischen Folgen von Coronavirusinfektionen ([SARS-CoV; n = 2068], „middle east respiratory syndrome coronavirus“ [MERS-CoV; n = 515] und SARS-CoV‑2 [n = 976]) fand vergleichbare 6‑Monats-Prävalenzen von 30–40 % für Depression und Angst, ungeachtet des Virustyps [39]. Eine Übersicht der Studien bietet Tab. 1.

Tab. 1 Studien zu COVID-assoziierter neuropsychiatrischer Symptomatik

Fokus Fatigue

Fatigue wird als „extreme und andauernde Müdigkeit, Schwäche oder Erschöpfung, mentaler wie auch physischer Natur“ definiert, welche mit Depression, Schmerz, Schlaf- und Kognitionsstörungen einhergehen kann. Validierte Messinstrumente (z. B. Fatigue Severity Scale, Fatigue Assessment Scale) dienen der Objektivierung. Fatigue kann Gesunde betreffen, aber auch sekundär auftreten (z. B. postviral, tumorassoziiert, chronisch entzündliche Darmerkrankungen, Multiple Sklerose; [6]). Zudem bestehen Symptomüberlappung und Komorbidität mit psychischen Erkrankungen. Mutmaßlich begünstigen hier dysfunktionale Wahrnehmung, Attributionen und mangelnde Copingstrategien, Entstehung und Persistenz von Fatigue [1]. Bei 128 COVID-19-Patienten wurden prospektiv weibliches Geschlecht und eine komorbide Angsterkrankung oder Depression als Prädiktoren für die Entwicklung von Fatigue identifiziert [48]. Veränderte Lebensroutine, soziale Isolation und ein posttraumatisches Syndrom infolge einer potenziell intensivpflichtigen Erkrankung begünstigen Depressionen, welche Fatigue triggern können [5].

Depression wird als Mediator der Fatigue und posttraumatischer Stresssymptome beschrieben

Nach MERS-CoV-Infektionen war Depression als Mediator der Fatigue und posttraumatischer Stresssymptome beschrieben worden: Lee et al. (2019) untersuchten 52 Personen 12 (T1) und 18 Monate (T2) nach einer MERS-CoV-Infektion hinsichtlich des Auftretens von Fatigue, Depression und posttraumatischer Stresssymptome und fanden, dass der Patient Health Questionnaire‑9 (PHQ‑9; Maß der Depression) -Score bei sowohl T1 als auch T2 als Mediator der Beziehung zwischen dem Score auf der Fatigue Severity Scale (FSS; Maß für Fatigue) bei T1 und auf der Impact of Event Scale – Revised (IES; Maß für posttraumatische Stresssymptome) bei T2 fungierte [27]. Zudem zeigen Patienten mit milder COVID-19 eine geringere psychologische Resilienz gemäß dem Score auf der Connor-Davidson Resilience Scale, wenn Angst oder Depression vorhanden sind [52].

Zur klinischen Differenzierung einer depressiven Störung von einer Fatigue empfiehlt es sich, in der Praxis depressive Kernsymptome zu erfragen. Wenn z. B. die Fragen „Fühlten Sie sich im letzten Monat häufig niedergeschlagen, traurig, bedrückt oder hoffnungslos?“ und „Hatten Sie im letzten Monat deutlich weniger Lust und Freude an Dingen, die Sie sonst gerne tun?“ mit „Ja“ beantwortet werden, liegt mit hoher Wahrscheinlichkeit eine depressive Störung vor, die weitergehender Fachdiagnostik bedarf [21].

Ursachen

Somatische Faktoren

Kardiale, pulmonale oder renale Dysfunktion als Folgen einer SARS-CoV-2-Infektion tragen zur Fatigue bei. Neben Veränderungen des neuroendokrinen Systems (z. B. Hypokortisolismus, Hypothyreoidismus, Dysregulation der Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse) und intestinalen Mikrobioms spielt eine immunologische Dysbalance mit Lymphopenie bei T‑ und B‑Zell-Defizienz eine Rolle, einhergehend mit überschießenden Entzündungsprozessen [5].

In der Akutphase der SARS-CoV-2-Infektion kommt es im Zuge des sog. „Zytokinsturms“ zu einer exzessiven Freisetzung von Interleukin(IL)-2, IL‑7, granulozytenkoloniestimulierendem Faktor (G-CSF), Interferon‑γ „inducible protein 10“ (IP-10), „monocyte chemoattractant protein 1“ (MCP-1), „macrophage inflammatory protein 1-α“ (MIP) und Tumornekrosefaktor(TNF)-α [31]. Postuliert wurde, dass es im Rahmen des Post-COVID-Syndroms zu einer die Akutphase überdauernden Entzündungsreaktion kommt, verbunden mit einer Freisetzung der genannten Entzündungsmediatoren [5]. Zudem wurde eine andauernde Aktivierung der T‑Zell-vermittelten zellulären Immunantwort diskutiert sowie auch ein möglicher Beitrag dieser persistierenden T‑Zell-Aktivierung zu einem autoimmunvermittelten Prozess nach Akutinfektion, welcher zur Entstehung eines Post-COVID-Syndroms beiträgt. Ein möglicher zugrunde liegender Mechanismus könnte hierbei molekulares Mimikry sein, zieht man in Betracht, dass bei Patienten mit Multipler Sklerose HCoV(humanes Coronavirus)-spezifische T‑Zellen mit Myelin kreuzreagieren können [23]. Ob SARS-CoV-2-spezifische T‑Zellen wirklich die Fähigkeit haben, sich gegen körpereigene Antigene zu richten, bedarf jedoch weiterer Studien. Ebenso muss der Einfluss des Human-leukocyte-antigen(HLA)-Typs auf den COVID-19-Erkrankungsverlauf im Zuge größerer genetischer Studien untersucht werden [4].

Neuronale Korrelate

Angesichts höherer Inzidenzen für neuropsychiatrische Erkrankungen nach einer COVID-19-Infektion, auch im Vergleich zu anderen respiratorischen Infektionen [45], wurde eine Enzephalopathie in der Akutphase als COVID-19-spezifischer Risikofaktor identifiziert, welche vor allem Schwerkranke betrifft [44]. Ätiopathogenetisch besonders relevant erweist sich, dass die Inzidenz von Angst und Depression nur gering mit der Schwere der Akuterkrankung assoziiert war, sodass hier andere Faktoren maßgeblich erscheinen [44]. Ähnliche Erkenntnisse erbrachte eine Fluordesoxyglucose-Positronenemissionstomographie(FDG-PET)-Studie an 14 Patienten mit COVID-19-assoziierter Fatigue, welche keinerlei Veränderungen des zerebralen Glukosemetabolismus aufwiesen [14]. Angesichts der Diskrepanz dieser Ergebnisse zu Befunden bei COVID-19-Enzephalopathien mit frontalem Hypometabolismus [7] mutmaßten die Autoren, dass andere Mechanismen zur Entwicklung der Fatigue beitragen.

In MRT-Scans fand sich ein signifikanter Verlust an grauer Substanz

Bildgebend sichtbare Effekte von COVID-19 auf das Gehirn wurden anhand zweizeitig erhobener funktioneller und struktureller magnetresonanztomographischer (MRT-)Daten von 785 Probanden der UK Biobank COVID-19 Re-Imaging Study analysiert, wobei 401 Probanden positiv für eine SARS-CoV-2-Infektion innerhalb des Zeitraum zwischen den beiden MRT-Scans getestet wurden. Im Vergleich mit einer Kontrollgruppe der nichtinfizierten Personen fand sich ein signifikanter Verlust an grauer Substanz im Bereich des linken parahippokampalen Gyrus, des linken lateralen orbitofrontalen Kortex und der linken Inselregion mit Ausdehnung in den anterioren zingulären Kortex, supramarginalen Gyrus und Temporalpol. Zudem zeigte sich als Marker der Gewebeschädigung eine relative Zunahme der Diffusionsindizes in Regionen mit funktioneller Konnektivität zum piriformen Kortex, dem Nucleus olfactorius anterior und dem Tuberculum olfactorium [13].

Übereinstimmend zeigten andere FDG-PET-Studien beim Post-COVID-Syndrom 3 bis 4 Monate nach einer Akutinfektion einen Hypometabolismus im orbitofrontalen Kortex, medialen Temporallappen (Hippokampus, Amygdala), Thalamus, Hirnstamm und Zerebellum [19, 41].

Eine aktuelle Übersicht zu FDG-PET-Studien und bildgebenden Befunden bei COVID-19-assoziierten Erkrankungen des Zentralnervensystems (ZNS) bieten Meyer et al. [33]. Hier werden zudem methodische Aspekte kritisch diskutiert, welche zur kontroversen Datenlage beim Post-COVID-Syndrom beitragen.

Neuropathologie

Neuropathologische Studien zeigen als Hauptbefund eine Aktivierung der Mikroglia mit Formation mikroglialer Noduli und Astrozyten vor allem im Bereich der weißen Substanz von Hirnstamm und Kleinhirn [29, 40, 46]. Zudem finden sich deutliche Hinweise auf eine adaptive Immunantwort im ZNS mit Infiltration von CD8+- und CD4+-T-Zellen, vor allem des perivaskulären Raums, einhergehend mit einer Dysfunktion der Blut-Hirn-Schranke [40]. CD8+-T-Zellen ließen sich jedoch auch in infiltrierten Mikrogliaknoten außerhalb des perivaskulären Raums detektieren, sodass T‑Zell-Mikroglia-Interaktionen für die COVID-19-vermittelte Gliaaktivierung verantwortlich zu sein scheinen. Hervorzuheben ist, dass dieses neuroinflammatorische Muster innerhalb des perivaskulären Kompartiments, als zentrale Region der Immunaktivierung, spezifisch für COVID-19 ist und sich von Befunden im Rahmen anderer entzündlicher ZNS-Erkrankungen unterscheidet [40]. Da das SARS-CoV-2-Spike-Protein selten in perivaskulären Zellen nachgewiesen wurde [40], gilt es als wahrscheinlicher, dass die oben genannten neuroinflammatorischen Veränderungen durch zirkulierende Zytokine und andere Entzündungsmediatoren hervorgerufen werden, welche im Zuge der systemischen inflammatorischen Response auf die SARS-CoV-2-Infektion in Form des sog. Zytokinsturms exzessiv freigesetzt werden [29, 31].

Vermutlich existieren verschiedene Subtypen der Fatigue

Kritisch anzumerken ist, dass vorliegende Post-mortem-Daten von unselektierten COVID-19-Patientenpopulationen stammen, bei denen neuropsychiatrische Symptome nicht systematisch erfasst wurden und welche zumindest partiell eine frühe COVID-19-Phase abbilden, sodass Rückschlüsse auf spezifische Korrelate des Post-COVID-Syndroms mit Fokus Fatigue nicht möglich sind.

In der Zusammenschau umfassen pathophysiologische Konzepte der Post-COVID-Fatigue wahrscheinlich ein breites Spektrum, welches von der somatoformen Störung bis hin zur Autoimmunerkrankung reicht. Die Vielgestaltigkeit der Risikofaktoren impliziert, dass zugrunde liegende Mechanismen nicht einheitlich sind und vermutlich verschiedene Subtypen der Fatigue existieren, welche auf unterschiedliche Interventionen respondieren.

Therapie und Prognose

Therapie

Evidenzbasierte Daten zur Therapie von Fatigue bei Post-COVID sind nicht verfügbar, sodass Metaanalysen zur tumorassoziierten Fatigue herangezogen wurden [34, 47]. Pharmakotherapie, Psychotherapie sowie körper- und bewegungsbasierte Interventionen sind aussichtsreich, welches sich in der aktuellen S1-Leitlinie Post-COVID/Long-COVID widerspiegelt [24].

Psychiatrische Pharmakotherapie.

Methylphenidat und Modafinil wurden zur Fatiguebehandlung erprobt, wobei Methylphenidat effektiver war [47]. Da Psychostimulanzien ein kardiovaskuläres Nebenwirkungsprofil aufweisen mit Anstieg von Blutdruck und Herzfrequenz sowie Auftreten von Palpitationen [20], ist eine potenzielle Symptomverstärkung bei der Behandlung eines Post-COVID-Syndroms mit panikähnlichen Symptomen möglich. Die Datenlage zum Einsatz selektiver Serotoninwiederaufnahmehemmer (SSRI) ist heterogen: Paroxetin hatte positive Effekte auf tumorassoziierte Fatigue [9], Fluoxetin nicht [51]. Der Noradrenalin- und Dopaminwiederaufnahmehemmer (NDRI) Bupropion kann bei tumorassoziierter Fatigue eingesetzt werden [17], auch Aripiprazol scheint wirksam zu sein [10]. Berücksichtigt man, dass neben Fatigue Kopfschmerz, Angst und Depression beim Post-COVID-Syndrom auftreten, können Serotonin- und Noradrenalinwiederaufnahmehemmer (SNRI) mit schmerzmodulierenden Effekten erwogen werden.

Psychotherapie.

Metaanalysen untersuchten den Effekt der kognitiven Verhaltenstherapie (KVT) bei tumorassoziierter und postviraler Fatigue [16, 36]: Die Mehrzahl der Studien belegte positive Effekte im Vergleich zur Wartelistenkondition, aber auch anderen Interventionen, mit besonderer Effektivität beim Vorliegen einer komorbiden Angsterkrankung oder Depression [36]. Langzeiteffekte auf postvirale Fatigue ließen sich 1 Jahr nach KVT nicht objektivieren [37]. Die Wirksamkeit von KVT bei Post-COVID-assoziierter Fatigue wird derzeit untersucht [25].

Körper- und bewegungsbasierte Interventionen.

Widersprüchliche Daten liegen zur Wirksamkeit von Thai Chi, Akupunktur, Biofeedback, „graded exercise“ und rehabilitativen Maßnahmen bei der Fatiguebehandlung vor. Eine Übersicht über Studien und Effektstärken bei der postviralen Fatigue liefern Fowler-Davis et al. [16].

Impfung.

Der mit einer Impfung gegen das SARS-CoV‑2 verbundene Infektionsschutz dient der Prävention von COVID-19 und damit auch des Post-COVID-Syndroms [26]. Indiziert ist eine Impfung aber auch bei manifestem Post-COVID-Syndrom, da 40 % dieser Patienten eine Symptomreduktion nach Impfung bemerkten [28].

Prognose

Eine internationale Kohortenstudie erfasste den Erkrankungsverlauf von 3762 Probanden mit gesicherter (n = 1020) oder vermuteter (n = 2742) COVID-19-Infektion und Mindesterkrankungsdauer von 28 Tagen über 7 Monate. Bei > 91 % überschritt die Rekonvaleszenz 35 Wochen. Bei einem Verlauf von < 90 Tagen zeigte sich ein Symptompeak nach 2 Wochen, bei längerem Verlauf hingegen nach 2 Monaten [11]. Die Frage „Fühlen Sie sich wieder gesund?“ bejahten nach 6 bis 8 Monaten 74,2 % der Schweizer COVID-19-Kohorte, 74,1 % bzw. 68,3 % berichteten keine Depression oder Angst, wobei Fatigue bei 54,7 % der initial eingeschlossenen Probanden persistierte [32].

Diskussion

Da über zeitliches Kriterium und Symptomatologie hinaus keine weiterführenden diagnostischen Kriterien oder Biomarker für das Post-COVID-Syndrom existieren, beschreibt diese Entität mutmaßlich eine Patientengruppe mit variablem Krankheitsverlauf im Hinblick auf Erkrankungsschwere, zeitliche Dynamik und Beschwerdebild mit vermutlich unterschiedlichen pathophysiologischen Mechanismen. So fallen sowohl Patienten, die sich in der Rekonvaleszenz nach einer intensivpflichtigen Akuterkrankung (z. B. Enzephalopathie) befinden, unter die Definition Post-COVID-Syndrom als auch Patienten, die Wochen nach einer milden Akutinfektion unter Fatigue leiden. Bemerkenswert ist, dass Post-COVID-Patienten mit einer schweren Akuterkrankung wenig über ihre persistierenden Defizite klagen, wohingegen Patienten mit einem milden Verlauf signifikant höhere Werte in den Fragenbögen für Depression, Angst und stressassoziierte Symptome aufwiesen [50]. Objektivierbare kognitive Defizite im Bereich des verbalen wie auch visuellen episodischen Gedächtnisses, der Exekutivfunktionen, Aufmerksamkeitsleistungen und Sprachfunktionen sowie eine hohe Prävalenz psychiatrischer Symptome waren jedoch bei den Subgruppen gleichermaßen vorhanden [50].

Die Wahrnehmung persistierender psychischer Symptome ist nicht mit dem Infektionsnachweis assoziiert

Die Ergebnisse einer populationsbasierten, französischen Kohortenstudie deuten darauf hin, dass die Wahrnehmung persistierender psychischer Symptome nach einer COVID-19-Infektion nicht mit dem laborchemischen Nachweis einer SARS-CoV-2-Infektion assoziiert war [30]. Im Detail wurden in dieser Studie Daten von 26.823 Freiwilligen analysiert. Bei den Personen wurde 05–08/2020 ein serologischer Antikörpernachweis in Form eines enzymgebundenen Immunadsorptions-Assays zur Detektion von Anti-SARS-CoV-2-Antikörpern durchgeführt. In den Monaten 12/2020 und 01/2021 wurden die Probanden gebeten, einzuschätzen, ob sie daran glaubten, eine COVID-19-Infektion durchgemacht zu haben und ob sie körperliche Symptome während der vergangenen 4 Wochen verspürt hatten, welche mindestens für 8 Wochen persistiert hätten. Teilnehmer, welche angaben, dass eine COVID-19-Infektion erst nach Abschluss des serologischen Tests aufgetreten sei, wurden in der Analyse nicht berücksichtigt. Logistische Regressionsanalysen ergaben keine signifikante Interaktion zwischen dem Glauben an eine Infektion und dem serologischen Testergebnis.

Patienten mit neuropsychiatrischen Symptomen als potenzielle Spätfolge von COVID-19 sollten daher einer umfangreichen, interdisziplinären Differenzialdiagnostik unterzogen werden, welche eine strukturierte psychiatrische Untersuchung unter Einsatz validierter Messinstrumente umfasst. Prospektive laborchemische, genetische und bildgebende Studien mit gut charakterisierten Patienten mit gesicherter Infektion und dokumentiertem Impfstatus zum Infektionszeitpunkt sind erforderlich, um valide klinische und biologische Marker eines Post-COVID-Syndroms zu identifizieren.

Schlussfolgerung

In der Zusammenschau ist eine valide diagnostische Einordnung des Post-COVID-Syndroms bzw. ein dezidiertes Verständnis dieser Entität zugrunde liegender Mechanismen erforderlich. Entsprechende Post-COVID-Ambulanzen werden wertvolle Daten liefern, um den betroffenen Patienten effektive Therapieverfahren und Risikopersonen präventive Strategien anbieten zu können.

Fazit für dir Praxis

  • Neuropsychiatrische Kernsymptome des Post-COVID-Syndroms sind Fatigue und kognitive Dysfunktion. Auch Schlafstörungen, Depression und Angsterkrankungen zeigen erhöhte Inzidenzen.

  • Als Korrelat des Post-COVID-Syndroms deuten Bildgebungsstudien auf Veränderungen im limbischen System und assoziierten Arealen hin.

  • Therapieoptionen einer Post-COVID-assoziierten Fatigue umfassen neben dem pharmakologischen Management mit z. B. Stimulanzien und Antidepressiva vor allem die kognitive Verhaltenstherapie sowie körper- und bewegungsfokussierte Interventionen.