Studiendesign und Teilnehmer*innen
Im Zeitraum vom 6.04. bis 07.05.2020 wurde eine anonyme Querschnittsbefragung durchgeführt, deren Schwerpunkt auf Pfleger*innen und Ärzt*innen aus Anästhesiologie und Intensivmedizin sowie Rettungsfachkräften lag. Die Fokussierung auf diese Untergruppen des Gesundheitspersonals erfolgte, um einen möglichst großen Anteil an Personen zu rekrutieren, die beruflich Kontakt zu bestätigten COVID-19-Patient*innen oder Verdachtsfällen haben. Ein positives Votum (Bearbeitungs-Nr.: 2020-14961) der Ethikkommission der Landesärztekammer Rheinland-Pfalz für diese Studie („COVID-19-Intensiv-Studie“) lag vor.
Die Teilnehmer*innen wurden über Convenience-Sampling für die mithilfe der Plattform SurveyMonkey [35] erstellte Onlinebefragung rekrutiert. Dafür wurde ein QR-Code bzw. ein Link über E‑Mail-Verteiler von Pflegepersonal und Ärzt*innen der Universitätsklinika Mainz und Berlin, verschiedener hessischer (Raum Frankfurt am Main) und rheinland-pfälzischer regionaler Versorgungskliniken sowie anästhesiologischer Gesellschaften (Berufsverband Deutscher Anästhesisten und Deutsche Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin) und im Rettungsdienst tätigen Personals, aber auch über Verlinkung auf der Homepage des Leibniz-Instituts für Resilienzforschung (LIR) verbreitet. Eingeschlossen wurden Pfleger*innen, Ärzt*innen, im Rettungsdienst Tätige und weiteres Gesundheitspersonal mit potenziellem Kontakt zu COVID-19-Patient*innen (z. B. Physiotherapeut*innen, Ergotherapeut*innen). Ausschlusskriterien waren Alter unter 18 Jahren und fehlendes Einverständnis, an der Umfrage teilzunehmen.
Instrumente
Soziodemographie und Arbeitsplatz
Der eingesetzte Fragebogen beinhaltete neben soziodemographischen Informationen (z. B. Alter, Wohnort, Beruf) COVID-19-bezogene Fragen. Das Alter wurde in zwei Gruppen aufgeteilt (< 50 Jahre und ≥ 50 Jahre), da das Risiko für einen schweren Verlauf von COVID-19 bei älteren Menschen erhöht ist [29]. Die COVID-19-bezogenen Fragen umfassten Daten zur subjektiven Zugehörigkeit zu einer Risikogruppe für einen schweren Verlauf von COVID-19, zum Kontakt zu Patient*innen mit bestätigter oder vermuteter COVID-19-Erkrankung, zum aktuellen Einsatzort, zur Durchführung von Risikotätigkeiten, zum Tragen von Schutzausrüstung bei Kontakt mit COVID-19-Patient*innen und zum Teststatus. Unter unregelmäßigem Tragen der Schutzausrüstung bei Kontakt wurde das Tragen der Ausrüstung während weniger als 100 % der Kontaktzeit verstanden [39]. Als Risikotätigkeiten wurden die von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) als solche deklarierten Tätigkeiten definiert, z. B. Face-to-face-Kontakt unter 1 m oder endotracheale Intubation [39]. Eine detaillierte Auflistung der Fragen ist im Onlinezusatzmaterial 1 zu finden.
Absentismusneigung und Berufswechselwunsch
Die Absentismusneigung und der Berufswechselwunsch wurden mit folgenden selbstentwickelten Items erhoben:
-
„Ich habe darüber nachgedacht, mich krank zu melden.“
-
„Ich habe darüber nachgedacht, den Beruf zu wechseln.“
Die Antworten wurden auf einer 5‑stufigen Likert-Skala erfasst (1: stimme gar nicht zu, 5: stimme voll und ganz zu; siehe auch Onlinezusatzmaterial 8). Um eine aktuelle Ad-hoc-Befragung zu ermöglichen, wurden diese Fragen im Vorfeld nicht pilotiert.
Mangelnde soziale Unterstützung und Wertschätzung am Arbeitsplatz
Die soziale Unterstützung durch Vorgesetzte und die Wertschätzung in der Arbeit wurden negativ formuliert mit folgenden selbsterstellten Items erhoben:
Die Antworten wurden ebenfalls auf einer 5‑stufigen Likert-Skala erfasst (1: stimme gar nicht zu, 5: stimme voll und ganz zu; siehe auch Onlinezusatzmaterial 8). Die Fragen waren im Vorfeld aus Zeitgründen nicht pilotiert worden.
Psychische Belastung und Resilienz
Die psychische Belastung wurde mittels der deutschen Versionen des General Health Questionnaire-12 (GHQ-12, [32]) sowie des Patient Health Questionnaire‑4 (PHQ‑4, [23, 25]) gemessen. Der GHQ-12 besteht aus 6 positiv und 6 negativ kodierten Fragen zu verschiedenen Bereichen psychopathologischer Symptome (z. B. „Haben Sie das Gefühl gehabt, dauernd unter Druck zu stehen?“) und dient v. a. der niederschwelligen Erfassung psychischer Belastung. Die interne Konsistenz und die Konstruktvalidität werden als sehr gut berichtet (Cronbachs α = 0,89, Korrelation mit der Subskala des Short-Form-36-Fragebogens zu psychischer Gesundheit von r = 0,80; [30]). Der PHQ‑4 ist eine Ultrakurzskala, die jeweils 2 Items zu ängstlicher und depressiver Symptomatik enthält (z. B. „Nervosität, Ängstlichkeit oder Anspannung“). Die interne Konsistenz war in einer Validierungsstudie gut (α = 0,85), außerdem zeigte sich eine gute Konstruktvalidität mit einer Korrelation von r = 0,80 mit der Subskala des Short-Form-20-Fragebogens zu psychischer Gesundheit [23].
Im Falle des GHQ-12 wurde ein Cut-off-Wert von ≥ 11 [32], im Falle des PHQ‑4 ein Wert von ≥ 3 als Indikator für eine relevante psychische Belastung verwendet [23]. Höhere Werte indizieren eine höhere Belastung.
Als Annäherungsmaß für die subjektive Einschätzung der Resilienz wurde die aus 3 positiv und 3 negativ kodierten Items (z. B. „Ich neige dazu, mich nach schwierigen Zeiten schnell zu erholen“) bestehende deutsche Brief Resilience Scale (BRS; [10, 24]) verwendet. Die interne Konsistenz wird als gut berichtet (α = 0,85), die Konstruktvalidität als mittelmäßig bis gut (Korrelation mit der Perceived Stress Scale‑4 von r = −0,53; [24]). Ein höherer Wert zeigt eine höhere Resilienz an.
COVID-19-bezogene Sorgen und Stressoren
Zur Erhebung COVID-19-bezogener Sorgen wurde ein Fragebogen aus dem COVID-19 Snapshot Monitoring-Panel (COSMO) herangezogen [5]. Er setzt sich aus 9 Fragen (z. B. „Machen Sie sich Sorgen darüber, dass das Gesundheitssystem überlastet wird?“) zusammen. COVID-19-bezogene psychische Stressoren wurden mithilfe zweier ursprünglich in der DynaCORE-Studie [12] verwendeter Fragenkataloge ermittelt, die nach der subjektiven Belastung durch verschiedene Stresssituationen fragen. Der erste Katalog setzt sich aus 29 COVID-19-spezifischen Stressoren (z. B. „erhöhtes Risiko einer Infektion“, „Verlust sozialer Kontakte“) zusammen, der andere aus 12 allgemeinen Stressoren, die durch die Pandemie möglicherweise verschlimmert wurden (z. B. „Konflikte oder Meinungsverschiedenheiten in meinem familiären, sozialen oder beruflichen Umfeld“, „finanzielle Probleme“). Die Items wurden mithilfe einer 5‑stufigen Likert-Skala von 1: gar nicht belastend bis 5: äußerst belastend eingeschätzt. Die vollständigen Fragenkataloge sind im Onlinezusatzmaterial 2 und 3 zu finden.
Resilienzfaktoren
Optimismus wurde als Einzelfrage auf einer visuellen Analogskala von 0 (gar nicht optimistisch) bis 7 (sehr optimistisch), Selbstwirksamkeit mit der Allgemeinen Selbstwirksamkeit-Kurzskala (ASKU; [3]), positives Copingverhalten der Studienteilnehmer*innen mit 9 Fragen aus dem Brief Coping Orientation to Problems Experienced (COPE) erfasst [9]. Zur Erfassung eines positiven Neubewertungsstils wurden 11 Fragen aus dem Cognitive Emotion Regulation Questionnaire (CERQ) herangezogen [13]. Darüber hinaus wurde die COVID-19-bezogene positive Neubewertung mit 2 weiteren für die DynaCORE-Studie entwickelten Fragen überprüft [12]. Die Erhebung der einzelnen Faktoren wird ausführlich im Onlinezusatzmaterial 5 beschrieben.
Endpunkte
Als Endpunkte wurden in der aktuellen Studie die psychische Belastung (GHQ-12, PHQ-4), Resilienz (BRS), Absentismusneigung und der Berufswechselwunsch (jeweils Einzelfragen) untersucht.
Vergleichsdaten
Zum Vergleich der Werte im PHQ‑4 mit der Allgemeinbevölkerung vor Beginn der COVID-19-Pandemie wurden Daten aus einer Studie von Löwe et al. aus dem Jahr 2010 [25] herangezogen. Es handelt sich um eine für die deutsche Allgemeinbevölkerung repräsentative Stichprobe (n = 5010). Bei den Vergleichsdaten für den GHQ-12 vor der Pandemie wurde eine 2016 publizierte für Deutschland bevölkerungsrepräsentative Stichprobe aus einer Studie von Romppel et al. mit 1977 Teilnehmer*innen verwendet [31]. Die Daten zum GHQ-12 in der Allgemeinbevölkerung während der ersten Pandemiewelle stammen aus der DynaCORE-Studie, die eine nichtrepräsentative Stichprobe von 15.790 Europäer*innen, zum Großteil Deutschen, untersucht hat [36]. Zum Vergleich der BRS mit präpandemischen Daten wurde die deutsche Validierungsstudie von Kunzler et al. aus dem Jahr 2018 herangezogen (n = 1128; [24]), für den Vergleich mit Daten während der ersten Pandemiewelle Werte aus der COSMO-Studie. Bei der letzteren handelt es sich um ein wöchentliches Monitoring von Wahrnehmung und Einschätzung COVID-19-bezogener Themen in einer deutschlandweiten nichtprobabilistischen Quotenstichprobe [5]. Es wurde mit den Daten von 1012 Individuen aus der 8. Erhebungswelle (21.04. bis 22.04.2020) verglichen [14].
Statistische Auswertung
Die statistische Auswertung erfolgte mithilfe von R, Version 4.0.2 [28]. Für den GHQ-12 und den PHQ‑4 wurden Summenscores berechnet und sowohl die Prävalenzen über dem jeweiligen Cut-off-Wert als auch deskriptive Statistiken (Mittelwerte [M] und Standardabweichungen [SD]) der Gesamtscores berechnet.
Gleiches galt für Fragebögen zu Stressoren, Sorgen und Resilienzfaktoren. Deskriptive Statistiken (M ± SD) auf Basis von Einzelitems wurden für Optimismus und die Bewertung der beruflichen Situation berechnet.
Zum Vergleich der aktuellen Stichprobe mit Referenzstichproben im Hinblick auf psychische Belastung, Resilienz und COVID-19-bezogene Sorgen wurden zweiseitige t‑Tests für unabhängige Stichproben durchgeführt. Gruppenunterschiede wurden mithilfe ein- und mehrfaktorieller Varianzanalysen (ANOVAs) ermittelt. Bivariate Zusammenhänge zwischen soziodemographischen Faktoren, Resilienzfaktoren und Stressoren einerseits und der psychischen Belastung, Resilienz, Absentismusneigung und Berufswechselwunsch andererseits wurden mittels Korrelationsanalysen (Pearson-Korrelationen) ausgewertet. Als Maß der Effektstärke wurde entweder der Korrelationskoeffizient r, Cohen’s d (t-Tests) oder das partielle η2 (ANOVAs) berechnet.
A priori wurden 45 Hypothesen zur Änderung der psychischen Belastung (GHQ-12, PHQ-4) und zur Beeinflussung der psychischen Belastung durch die Bewertung der beruflichen Situation, soziodemographische Aspekte, pandemiespezifische Belastungen und Resilienzfaktoren spezifiziert. Um das nominelle Signifikanzniveau von 0,05 insgesamt einzuhalten, wurde das korrigierte Signifikanzniveau nach Bonferroni auf 0,001 festgelegt. Bei konfirmatorischen Tests (für GHQ-12 und PHQ-4) wird dieses Signifikanzniveau α (in Klammern) mit angegeben. Für explorative Auswertungen (bei den sekundären Endpunkten BRS, Absentismusneigung und Berufswechselwunsch) wurde das Signifikanzniveau von 0,05 beibehalten. Die sich auf diese Auswertungen beziehenden Ergebnisse sind als hypothesengenerierend zu verstehen.
Als Sensitivitätsanalyse wurde eine multiple Imputation für die Variablen GHQ-12, ASKU, BRS und Absentismusneigung durchgeführt, die mit der Methode „multiple imputation by chained equations“ mithilfe des R Pakets MICE [8] implementiert wurde. Es wurden 10 imputierte Datensätze erstellt, in denen die Variablen jeweils mittels Predictive-mean-Matchings imputiert wurden. Für die imputierten Variablen wurden die nach den Regeln von Rubin gepoolten Schätzer für Mittelwert, Streuung und Korrelation bestimmt.