Hintergrund

Das neue Coronavirus SARS-CoV‑2 („severe acute respiratory syndrome coronavirus 2“) bzw. die dadurch ausgelöste respiratorische Infektionskrankheit COVID-19 („coronavirus disease 19“) hat sich seit Ende 2019 über nahezu die gesamte Welt ausgebreitet und im März 2020 das Ausmaß einer internationalen Pandemie erreicht [11, 22]. Das epi- bzw. pandemische Auftreten ansteckender Infektionskrankheiten begleitet die Menschheit seit Jahrtausenden – die Pest, Cholera, Spanische Grippe, HIV („human immunodeficiency virus“), Schweinegrippe, Ebolafieber, SARS, und nun SARS-CoV-2/COVID-19 sind hierbei nur einige Beispiele. Derartige Gesundheitskrisen gehen häufig mit starken Ängsten in der Bevölkerung einher, die sich teils auch noch wechselseitig verstärken. Dies spiegelt sich auch in der Medienberichterstattung mit aktuellen Schlagzeigen wie „Die Angst ist ansteckender als das Virus selbst“, die sich ähnlich auch bereits 2009 im Kontext der H1N1-Influenza-Pandemie („Schweinegrippe“) finden ließen, wider.

Im Folgenden werden Charakteristika dieser Ängste erläutert und dabei Forschungsbefunde bezüglich COVID-19 sowie früherer Epi- und Pandemien herangezogen. Zudem werden potenzielle Resilienz- und Risikofaktoren sowie Handlungsempfehlungen erläutert (Abb. 1).

Abb. 1
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Übersicht über verschiedene Inhalte von Ängsten im Kontext von Epi- und Pandemien sowie diverse Resilienz‑, Risiko- und andere Einflussfaktoren

Angst in der Allgemeinbevölkerung

Zahlreiche Studien haben psychische Belastungsparameter im Kontext der COVID-19-Pandemie untersucht. Sie kommen relativ einheitlich zu dem Schluss, dass sowohl die Erkrankung an sich als auch die Maßnahmen, um die Verbreitung des Virus zu reduzieren, potenziell mit zahlreichen Stressoren einhergehen und so in psychischer Belastung wie ausgeprägten Ängsten resultieren können [22]. In einer groß angelegten Erhebung mit über 336.500 Teilnehmenden der US-amerikanischen Allgemeinbevölkerung von April bis Mai 2020 überschritt mehr als ein Drittel der Teilnehmenden die Screeningschwelle für eine Depression und/oder Angststörung, was verglichen mit einer Baseline-Stichprobe aus 2019 eine Erhöhung um das Dreifache darstellte [31]. In zwei Studien in Deutschland mit etwa 6500 [22] bzw. 15.700 Personen [1] der Allgemeinbevölkerung berichtete in der frühen Phase der Pandemie mehr als die Hälfte der Teilnehmenden unter Ängsten und psychischem Stress aufgrund der Pandemie zu leiden. COVID-19-spezifische Ängste (bei 59 %) waren noch häufiger vertreten als erhöhte generalisierte Ängste (45 %; [1]). Etwa 14 % zeigten zudem deutliche depressive Symptome und 65 % berichteten erhöhten psychischen Stress.

In zahlreichen internationalen Studien zeigten sich vergleichbare Werte [33], wobei bei den einzelnen Erhebungen [13, 16, 20, 25, 28, 34] der Anteil an Personen mit erhöhten Angstsymptomen mit einer Spannbreite von etwa 7–80 % intra- und international sehr variabel ausfiel. Insgesamt lassen sich aufgrund der großen Streuung nur schwer allgemein gültige Häufigkeitsangaben formulieren. Zusammenfassend lässt sich aber festhalten, dass alle diese Studien auf erhöhte Angst- und depressive sowie andere stressbezogene Symptome im Kontext der COVID-19-Pandemie hinweisen und diese Symptome auch häufig untereinander korrelieren. Die Schwankungen sind vermutlich u. a. auf die unterschiedlichen Populationen, Erhebungszeitunkte und -instrumente sowie Analyseverfahren zurückzuführen. Ähnlich variabel fielen die Angaben im Kontext anderer Epi- und Pandemien aus – bei der Schweinegrippe aber im Schnitt etwas geringer [6] und beim Ebolavirus höher ausgeprägt [7].

Alle Studien weisen auf erhöhte Stresssymptome im Kontext mit COVID-19 hin

Bei der Interpretation sämtlicher Häufigkeitsangaben in diesem Kontext sollte unbedingt berücksichtigt werden, dass es sich bei dem Großteil der verfügbaren Studien um Querschnittstudien ohne adäquate Referenzwerte vor der jeweiligen Epi- bzw. Pandemie handelt. Dadurch sind kausale Schlüsse unzulässig und es ist nicht klar differenzierbar, wie viel Angst durch die Epi‑/Pandemie tatsächlich objektiv hinzugekommen ist und welcher Anteil einfach nur die in der Allgemeinbevölkerung ohnehin große Häufigkeit von Ängsten wiedergibt.

Verlauf der Angst über die Zeit

Die meisten Studien können aufgrund ihrer querschnittlichen Natur zudem nicht den Verlauf der Ängste über die Zeit hinweg abbilden. Die Daten einer ersten Längsschnittstudie aus Deutschland [5] zeigen aber, dass Angstsymptome im Schnitt über den Verlauf der COVID-19-Pandemie von März bis Juni 2020 abnahmen – auch wenn die Angstbelastung bei einigen Personen weiter anstieg. Diese Befunde sind konsistent mit Beobachtungen im Kontext vorheriger SARS-Ausbrüche [2, 18] sowie der Schweinegrippe-Pandemie [6], die ein Maximum an Angst und psychischem Stress zu Beginn des Ausbruchs sowie ein nachfolgendes Abklingen der Symptome beim Großteil der Befragten zeigten. Vermutlich ist dies u. a. auf eine Habituation bezüglich der neuen Situation, das Ausbleiben gefürchteter Konsequenzen sowie eine zunehmend adaptivere Nutzung von Copingstrategien und weiteren Ressourcen zurückzuführen [3]. Auch die Reduktion der Einschränkungen durch präventive Maßnahmen sowie verlangsamte Infektionsraten spielen hierbei mutmaßlich eine angstreduzierende Rolle.

Insbesondere COVID-19-spezifische Ängste nahmen in der deutschen Längsschnittstudie im Verlauf deutlich ab, während die Reduktion allgemeinerer Symptome von Unruhe, Angst und gedrückter Stimmung geringer ausfiel [5]. Auch diese Ergebnisse sind vereinbar mit vorherigen Epi- und Pandemien, in denen akute spezifische Ängste zu Beginn des Ausbruchs primär vorhanden waren und dann schnell abnahmen, während allgemeinere Ängste und Sorgen sowie depressive Symptome eher persistierten und zu späteren Phasen des Ausbruchs schließlich im Vordergrund standen [8].

Inhalte der Angst

Neben dem allgemeinen Verlauf ist die Differenzierung einzelner Angstinhalte relevant. Zu Beginn der COVID-19-Pandemie im März/April 2020 bezogen sich die durchschnittlich stärksten Ängste auf die gesundheitlichen Konsequenzen für die Angehörigen im Falle einer eigenen Infektionen – 78 % der Befragten einer Studie in Deutschland berichteten diese Angst [22]. Auf Platz zwei lag die Furcht vor sozialen Konsequenzen (61 %) wie z. B. weniger Sozialkontakten. Etwa die Hälfte der Befragten berichtete Ängste in Bezug auf die eigene Gesundheit (48 %) sowie vor wirtschaftlichen Konsequenzen (47 %) wie finanziellen Problemen oder Arbeitsplatzverlust. 45 % gaben an, sich vor einer Infektion mit dem Virus zu fürchten. Über die ersten drei Monate der Pandemie hinweg sank die Furcht vor einer Infektion sowie wirtschaftlichen Konsequenzen im Schnitt, während die gesundheitsbezogene Angst relativ gleich blieb [5]. Die Furcht vor sozialen Konsequenzen stieg im ersten Monat zunächst weiter an und sank dann – parallel zu dem schrittweisen Abbau der Social-distancing-Maßnahmen. Bei der Interpretation dieser Befunde sollte aber berücksichtigt werden, dass sich diese nur auf Deutschland beziehen und sich stark von anderen Ländern unterscheiden könnten, die z. B. massiver von der Pandemie betroffen waren oder über weniger stabile wirtschaftliche Absicherungsmaßnahmen verfügten. Die Inhalte der Ängste sind aber vergleichbar mit vorherigen Epi- und Pandemien, wie z. B. Ebola [9, 29] und Schweinegrippe [27, 35]. Angstsymptome können sich sowohl auf tatsächlich eingetretene negative Konsequenzen als auch nur deren Antizipation bzw. Befürchtung beziehen [23]. Zudem werden sie durch Isolation, Hilflosigkeit sowie die Unbekanntheit der Situation verstärkt [14].

Ein Großteil der Ängste ist eine normale Reaktion auf eine Ausnahmesituation

Bei der Bewertung von Angstsymptomen im Kontext von Ausbrüchen infektiöser Krankheiten ist es wichtig zu betonen, dass ein Großteil dieser Ängste eher eine normale Reaktion auf eine Ausnahmesituation darstellt als ein pathologisches Phänomen [22, 23]. Entsprechend ist es wichtig, diese Ängste differenziert zu betrachten: Erst wenn sie ein gewisses Ausmaß in Intensität oder Persistenz überschreiten ist ihnen ein Krankheitswert zuzuschreiben. Dennoch sollte versucht werden, die Ängste in der Allgemeinbevölkerung möglichst aufzufangen und Resilienzfaktoren zu stärken sowie Risikofaktoren zu mildern, um die Wahrscheinlichkeit für pathologische Verläufe zu reduzieren.

Risiko- und Schutzfaktoren

In aktuellen und früheren Untersuchungen konnten bedeutsame Risiko- sowie Resilienzfaktoren im Rahmen von Epi- und Pandemien identifiziert werden. Dadurch lassen sich Risikogruppen mit einer erhöhten Vulnerabilität für eine problematische Angstbelastung und Ansatzpunkte für Interventionen ableiten, um den Umgang mit der Pandemie zu verbessern und Ängste präventiv und therapeutisch zu verringern.

Geschlecht.

Frauen zeigten im Durchschnitt relativ einheitlich eine höhere Angstausprägung als Männer – sowohl in der COVID-19-Pandemie [1, 3, 20, 22, 25] als auch z. B. bei vorherigen SARS-Ausbrüchen [18]. Hierbei lässt sich allerdings nicht klar differenzieren, ob diese Befunde auf Unterschiede in den pandemiebezogenen Reaktionen oder eher auf vorbestehende Unterschiede einer im Schnitt bei Frauen generell höheren Ängstlichkeit zurückzuführen sind [22].

Alter.

Hinsichtlich der Effekte des Alters zeigte sich in der COVID-19-Pandemie sowie dem SARS-Ausbruch 2003 eine gemischte Evidenz: Teils berichteten jüngere Altersgruppen ausgeprägtere Ängste [13, 25], teils auch die älteren [16, 18]. Während bei Älteren gesundheitsbezogene Ängste höher ausfielen, berichteten jüngere Altersgruppen stärkere allgemeinere Ängste [3]. Diese Befunde könnten dadurch erklärt werden, dass ältere Menschen potenziell eher der gesundheitlichen Risikogruppe angehören, während die jüngeren Generationen dagegen häufiger in unsichereren wirtschaftlichen Umständen leben und gegebenenfalls auch stärkere Restriktionen aufgrund der präventiven Maßnahmen erlitten [25].

Vorbestehende Erkrankungen.

Angstsymptome im Kontext der COVID-19-Pandemie sind bei Menschen mit vorbestehenden psychischen Erkrankungen im Mittel signifikant höher ausgeprägt als bei Menschen ohne psychische Erkrankungen [3, 13, 15]. Diese Befunde sind kongruent mit vorherigen Epi- bzw. Pandemien [19, 35]. Neben vorbestehenden Unterschieden in der Angstbelastung scheinen Menschen mit psychischen Erkrankungen eine stärkere Vulnerabilität für negativere Reaktionen auf Gesundheitskrisen aufzuweisen. Dies könnte z. B. auf schlechtere Copingstrategien, eine stärkere Tendenz zum Katastrophisieren, generalisierte Ängste sowie erschwerte psychosoziale bzw. therapeutische Unterstützung aufgrund restriktiver Maßnahmen zurückführbar sein [3, 13, 15]. Neben psychischen Erkrankungen stellten auch vorbestehende körperliche Erkrankungen einen Risikofaktor für Angstsymptome dar – vermutlich insbesondere aufgrund des dadurch erhöhten Risikos für ernste gesundheitliche Konsequenzen im Falle einer Infektion [13].

Medienkonsum.

Medien stellen eine wichtige Informationsquelle in Hinblick auf das Ausbruchsgeschehen dar, gleichzeitig ist ein längerer und häufigerer Medienkonsum im Schnitt mit einer höheren Angstbelastung assoziiert – sowohl im Kontext von COVID-19 [4, 12] als auch z. B. beim Ebola-Ausbruch 2014 [9]. Während sachliche Information über das Virus, entsprechende Schutzmaßnahmen und Behandlungsmöglichkeiten notwendig und hilfreich scheint, geht der übermäßige Konsum bedrohlicher Medienberichterstattung mit einer höheren Furcht einher [1]. Insbesondere soziale Medien scheinen hierbei als Informationsquelle problematisch zu sein und sind mit einer deutlich erhöhten Wahrscheinlichkeit für Angstsymptome assoziiert [4, 9, 12]. In diesem Zusammenhang wurde auch der Begriff einer durch die Medien ausgelösten „Infodemic“ geprägt, der die Beobachtung unterfüttert, dass Ängste gewissermaßen „ansteckend“ wirken können.

Kognitive Variablen.

Eine hohe Selbstwirksamkeitserwartung, also die Überzeugung, die gesundheitlichen, sozialen und wirtschaftlichen Konsequenzen der COVID-19-Pandemie individuell bewältigen zu können, stellt einen starken Resilienzfaktor gegen Angstsymptome sowohl zu Beginn der Pandemie [22] als auch im weiteren Verlauf [5] dar. Die Normalisierung bzw. die Betrachtung eigener, ggf. auch negativer Emotionen im Kontext der Pandemie als normal geht mit einer geringeren Angstbelastung einher, während das Unterdrücken die Angst tendenziell verstärkt [5, 22]. Dieser Teufelskreis aus der Suppression negativer Emotionen und der daraus resultierenden Verstärkung ebendieser, ließ sich beispielsweise auch im Rahmen des Zika-Ausbruchs in Kanada beobachten [10]. Gerade die große Unsicherheit zu Beginn einer Epi- bzw. Pandemie führt in der frühen Phase tendenziell zu starker Angst, da Menschen meist nicht gut mit potenziell bedrohlichem Unbekannten umgehen können [30]. Entsprechend scheint es plausibel, dass eine höhere Unsicherheitstoleranz als Puffer mit weniger Ängsten und adaptiveren Copingstrategien assoziiert ist – wie z. B. im Kontext der Schweinegrippe-Pandemie sichtbar wurde [30].

Behaviorale Variablen.

Auf der Verhaltensebene waren ein vermehrter Substanzkonsum sowie eine weniger gesunde Ernährung und weniger körperliche Aktivität mit einer erhöhten Angstbelastung assoziiert [5, 22].

Soziale Unterstützung.

Das Vorhandensein eines stabilen sozialen Netzwerks [13, 15] sowie die Aufrechterhaltung sozialer Kontakte ging mit einer geringeren Angstbelastung einher [5, 22]. Einsamkeit stellte dagegen einen Risikofaktor dar [13].

Konfrontation mit dem Virus.

Das Auftreten von mit dem Virus assoziierten Symptomen sowie Infektionen im nahen Umfeld gingen im Mittel mit einer höheren Angstbelastung einher [13, 15, 20, 21]. Infizierte Personen zeigten im Schnitt eine höhere Belastung als nichtinfizierte – sowohl in Hinblick auf COVID-19 [15, 21] als auch beim SARS-Ausbruch 2003 [17]. Die erhöhte psychische Belastung hielt auch noch ein Jahr nach der überstandenen SARS-Infektion an [17]. Je länger und ernster die Erkrankung ausfiel, desto höher war im Schnitt auch die psychische Belastung.

Quarantäne/Isolation.

Personen in und nach Quarantäne oder Isolation zeigten über zahlreiche Studien hinweg ein erhöhtes Risiko für Ängste und andere Belastungsreaktionen als Menschen, die keine Quarantäne/Isolation erlebten [15]. Je länger die Quarantäne/Isolation andauerte, desto stärker fielen die Symptome im Schnitt aus. Diese sowie weitere Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie („Lockdown“ etc.) können neben den direkten Auswirkungen auf Ängste bzw. die psychische Gesundheit auch potenziell mit zahlreichen sekundären Folgen einhergehen (z. B. Bildungslücken, vermehrte häusliche Gewalt etc.), die bisher zwar noch keine konsistente Evidenzlage aufweisen, aber ebenfalls berücksichtigt werden sollten [11].

Subjektive Sicherheit.

Das Wissen, wo bei Bedarf medizinische Unterstützung eingeholt werden kann, ging mit weniger Angstbelastung einher [5, 22] ebenso wie das Vertrauen in das Handeln der Regierung im Rahmen der Pandemie [1, 13].

Sozioökonomischer Status und berufliche Tätigkeit.

Medizinisches Personal – insbesondere Pflegekräfte – zeigte in einigen Studien höhere Angst- und Belastungswerte als die Allgemeinbevölkerung, was vermutlich insbesondere auf ein größeres Infektionsrisiko durch die höhere Expositionswahrscheinlichkeit und die enorme Arbeitsbelastung im Rahmen von Krankheitsausbrüchen wie COVID-19 [15, 22, 24] sowie Ebola, Schweinegrippe, SARS und MERS („middle east respiratory syndrome“; [2, 8]) zurückzuführen ist. Auch von Arbeitslosigkeit oder unsicheren Arbeitsbedingungen betroffene Menschen sowie Personen mit einem niedrigen Einkommen zeigten eine besonders hohe Angstbelastung [15, 25].

Wirkmechanismen und Auswirkungen der Angst.

Angst ist eine biologisch angelegte universelle Reaktion auf potenziell gefährliche und unbekannte Situationen; demensprechend ist es nicht verwunderlich, dass Gesundheitskrisen in großen Teilen der Bevölkerung Angstreaktionen auslösen. Diese Ängste können sich vielgestaltig auf Kognitionen, Emotionen und Verhaltensweisen auswirken. Sie hängen beispielsweise wechselseitig mit einer deutlichen Überschätzung der subjektiven Infektionswahrscheinlichkeit mit z. B. COVID-19 [5, 22] sowie der Schweinegrippe 2009 [35] zusammen und werden auch durch die übermäßige gedankliche Beschäftigung mit der Pandemie reflektiert [5].

Angst kann als adaptiver sowie als problematischer Mechanismus fungieren

Angst kann sich in vielerlei Verhaltensweisen spiegeln und auch als adaptiver Mechanismus funktionales Verhalten fördern, wie z. B. eine höhere Compliance für protektive Verhaltensweisen während der Schweinegrippe-Pandemie [19]. Gleichzeitig können Ängste aber auch gesellschaftlich oder individuell schädliche Verhaltensweisen triggern wie beispielsweise „Hamsterkäufe“, den unnötigen Verbrauch von Ressourcen, die für andere Menschen notwendig sind (z. B. Hygieneartikel und Medikamente), und diskriminierende Haltungen gegenüber medizinischem Personal, infizierten Personen und bestimmten Herkunftsgruppen [15, 29]. Außerdem führen Ängste teilweise dazu, dass sich infizierte Menschen erst spät oder gar nicht in professionell medizinische Versorgung begeben und so schwere Verläufe und Infektionsketten begünstigen, wie z. B. im Kontext von Ebola [29] und HIV [26] sichtbar wurde. Ängste können zudem tatsächlich „ansteckend“ wirken und sich auf andere Personen übertragen und so ein immer größeres Ausmaß annehmen [9, 29]. So wurde z. B. die Angst im Kontext der Schweinegrippe-Pandemie auch von den Eltern auf ihre Kinder übertragen [27].

Schlussfolgerungen und Handlungsempfehlungen

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass Ängste in Epi- und Pandemien häufig auftreten. Auch wenn sich verschiedene Infektionskrankheiten z. B. hinsichtlich Mortalitätsraten und Ansteckungswegen voneinander unterscheiden, gleichen sich die damit assoziierten Ängste sowie Resilienz- und Risikofaktoren. Aufgrund der überwiegend querschnittlichen Natur der meisten Studien sind in diesem Kontext weitere Längsschnittstudien sowie die Erstellung und Erprobung geeigneter Maßnahmen, um Resilienzfaktoren zu stärken und Risikofaktoren zu mildern, erforderlich.

Die Aufrechterhaltung von Routinen und ein gesunder, aktiver Lebensstil werden empfohlen

Aus Empfehlungen internationaler Institutionen wie der Weltgesundheitsorganisation und des Internationalen Roten Kreuzes lassen sich zudem konkrete Handlungsempfehlungen entnehmen, um die Angstbelastung im Kontext von Epi- und Pandemie zu reduzieren [23]. Insbesondere die Aufrechterhaltung von Routinen, ein möglichst gesunder und aktiver Lebensstil sowie die Orientierung an bisher erfolgreichen Bewältigungsstrategien werden empfohlen. Der Rückgriff auf schädliche Bewältigungsstrategien wie Substanzkonsum und die Unterdrückung negativer Emotionen sollten hingegen vermieden werden. Informationen sollten aus seriösen Quellen bezogen und der Konsum potenziell beunruhigender Medienberichterstattung limitiert werden. Neben sozialer Unterstützung durch das private Umfeld ist außerdem die Ermunterung für das Aufsuchen professioneller Unterstützung im psychosozialen Hilfesystem und die Bereitstellung ausreichender Angebote – z. B. auch online – sinnvoll.

Diese Empfehlungen gelten für die breite Allgemeinbevölkerung und lassen sich oft auf Individualebene sowie auch auf größerer gesellschaftlicher Ebene relativ einfach umsetzen [32]. Hierfür ist insbesondere auch eine klare Kommunikation, Aufklärung und die Vermittlung des Nutzens derartiger Maßnahmen relevant. Zudem sollten potenziell vulnerablere Gruppen, wie beispielsweise Personen mit vorbestehenden psychischen oder körperlichen Erkrankungen sowie Frauen und medizinische Fachkräfte, im Fokus zusätzlicher belastungsreduzierender präventiver und therapeutischer Interventionen stehen [14, 32]. Hierbei muss allerdings angemerkt werden, dass für ein Gelingen entsprechender Interventionen mehrere anspruchsvolle Hürden gemeistert werden müssen – beispielsweise sowohl seitens der Politik, der Forschung und des Gesundheitspersonals als auch in Form der bereitwilligen Mitarbeit der Zielgruppen.

Fazit für die Praxis

  • Angstsymptome treten in Epi- und Pandemien häufig auf.

  • Auch wenn sich verschiedene Infektionskrankheiten unterscheiden, ähneln sich die damit assoziierten Ängste vor gesundheitlichen, sozialen und wirtschaftlichen Konsequenzen.

  • Diese Ängste nehmen über die Zeit meist ab; dennoch sollten sie beobachtet und aufgefangen werden, um pathologische Verläufe zu reduzieren – insbesondere bei vulnerablen Personen.

  • Resilienz- und Risikofaktoren fallen in unterschiedlichen Epi- und Pandemien vergleichbar aus.

  • Selbstwirksamkeit, Unsicherheitstoleranz, Normalisierung, Routine, Sicherheit und soziale Unterstützung wirken meist protektiv.

  • Erhöhter Medienkonsum, weibliches Geschlecht, Gesundheitsberufe, Suppression, vorbestehende Erkrankungen, gesundheitsschädliches Verhalten und eine direktere Virusbetroffenheit sind mit stärkeren Ängsten assoziiert.

  • In präventiven und therapeutischen Maßnahmen sollte die Resilienz gefördert und Risikofaktoren entgegengewirkt werden.