Zusammenfassung
Die Neurorehabilitation versorgt oft Patienten, die schwer und mehrfach erkrankt sind und häufig zuvor durch nichtneurologische Fachdisziplinen behandelt wurden. Medizinisch sind diese Patienten oft noch instabil, sodass die bisherige Diagnostik und Therapien neu bewertet und gegebenenfalls adaptiert oder ergänzt werden müssen. Bestimmte, auch die Neurologie überschreitende diagnostische und therapeutische Probleme – häufig zu antithrombotischer Therapie – tauchen dabei immer wieder auf. Diese werden in Form zu überprüfender Punkte (Checks) vorgestellt, welche Hinweise geben sollen, wann im Einzelfall bisherige Maßnahmen zu hinterfragen und anzupassen sind.
Abstract
Post-acute inpatient neurorehabilitation facilities are increasingly treating patients who are not only severely ill and multimorbid but who are also referred from non-neurological departments. These patients are still often medically unstable so that the previous diagnostics and treatment must be reevaluated and when necessary adapted or supplemented. Certain interdisciplinary diagnostic and therapeutic problems, such as antithrombotic therapy, regularly reoccur. This article presents these problems in a checklist fashion, which should provide indications in individual cases when previously carried out measures need to be questioned and adapted.
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Hintergrund
Die Neurorehabilitation ist einer der größten Schwerpunktbereiche der Neurologie, in dem ungefähr ein Drittel aller neurologischen Betten angesiedelt sind. Allgemeiner medizinischer Fortschritt, Multimorbidität und demographische Alterung haben in der Neurorehabilitation eine Dynamik ausgelöst, die derjenigen der Schlaganfallneurologie vor 20 Jahren ähnelt [43]. Allein die Zahl der neurologischen Frührehabilitationskomplexbehandlungen hat sich seit 2008 mehr als verdoppelt (Gesundheitsberichterstattung des Bundes, 2019). Patienten profitieren, weil eine systematische und frühe Aktivierung entscheidend für den Wiedergewinn von Selbstständigkeit und Teilhabe ist [42].
Gleichzeitig ist rehabilitative Neurologie in vielerlei Hinsicht noch heterogen. Sie ist in unterschiedlichen Sektoren des Gesundheitssystems und bei unterschiedlichen Kostenträgern angesiedelt. Bei absehbaren Chancen auf Wiederaufnahme von Erwerbstätigkeit wird Neurorehabilitation nach dem neurorehabilitativen Phasenmodell durch Rentenversicherer in Rehabilitationskliniken finanziert, ansonsten meist von Krankenkassen. Besteht akutstationärer Versorgungsbedarf, kann sie auch in Krankenhäusern erfolgen. Dabei ist die Neurorehabilitation in den meisten Fällen einer anderen stationären Behandlung nachgeschaltet. Noch kommt mehr als die Hälfte der Patienten aus neurologischen Akutkliniken – wenn auch vermehrt auf Umwegen über geriatrische Abteilungen. Ein zunehmender Teil der Patienten wird aber aus Neurochirurgien und allgemeinen Intensivstationen zuverlegt [60]. Heterogen ist auch noch die Behandlungsauffassung der Neurorehabilitierenden. Vereinzelt wird weiter auf die funktionelle Behandlung fokussiert und die Akutbehandlung einschließlich Medikation als gesetzt betrachtet. Dieser Ansatz ist bei immer kürzer werdenden Verweildauern in den akutneurologischen Abteilungen und häufig fortbestehender Krankheitsdynamik nicht zu halten.
Die häufigste Diagnose in der Neurorehabilitation ist bisher noch der Schlaganfall. Amerikanische Daten zur Schlaganfallversorgung zeigen, dass selbst dieser relativ standardisierte Prozess sehr lückenhaft ist. „Defektfreie“ Behandlung, v. a. bei der Sekundärprävention von Hirninfarkten, fand sich in nichtspezialisierten Zentren nur bei 20 % der Patienten, bei Stroke-Unit-zentrierter Behandlung nur in knapp der Hälfte der Fälle (Übersicht in [46]).
Die Versorgung in deutschen Stroke-Units ist nach unserem Eindruck deutlich besser als die in o. g. amerikanischen Zahlen. Aber mehr als ein Zehntel der Schlaganfallpatienten in der Neurorehabilitation wird nicht primär neurologisch versorgt, etwa weil Patienten zunächst unter anderen Verdachtsdiagnosen stationär aufgenommen wurden oder weil Schlaganfälle, insbesondere ischämische, als Komplikationen bei anderen Eingriffen aufgetreten sind. So haben Schlaganfallpatienten häufig keine abgeschlossene Diagnostik oder nur Verweise wie „Befund folgt“ (vulgo: folgt nicht). Eine sekundärpräventive Medikation ist nicht immer initiiert. Begründet wird dies mit der Sorge um Blutungskomplikationen durch eine (zu) früh nach Hirninfarkt begonnene antithrombotische Behandlung – insbesondere, wenn radiologisch blutige Veränderungen beschrieben wurden. Darüber hinaus finden sich in der stationären Neurorehabilitation vor allem schwerbetroffene und multimorbide Patienten mit kardiologischen und nephrologischen Zusatzerkrankungen. Andere Patienten wiederum sind kürzlich erst operiert worden oder haben vaskuläre Stents erhalten. Hier gelten Protokolle zur Sekundärprävention, mit denen Neurologen oft weniger vertraut sind und die mit neurologischen Indikationen abzustimmen sind. Bei zuvor intensivmedizinisch versorgten Patienten schließlich führen vitale Indikationen die Therapie an, vaskuläre Sekundärprävention hingegen wurde nachrangig oder nicht behandelt.
Die rehabilitative Neurologie muss daher einen zweiten Blick auf die bisherige Diagnostik und Therapie werfen und oft ein zweites Mal „Hand anlegen“. Herausforderungen dabei sind, diesen Prozess neben dem rehabilitativen Kerngeschäft zu organisieren, Befunde aus verschiedenen Fachgebieten zusammenzutragen, Indikationen abzustimmen und zusätzlich die Belange der aktivierenden Neurorehabilitation zu berücksichtigen.
Vor dem Hintergrund vielfältiger konkreter Erfahrungen stellen wir daher im Folgenden die häufigsten in der Neurorehabilitation unseres Erachtens notwendigen diagnostischen und therapeutischen „Checks“ vor. Diese Checks haben nicht den Anspruch, Leitlinien zu sein, sollen aber Hinweise geben, wann im Einzelfall bisherige Diagnostik und Therapie überdacht und ggf. angepasst werden müssen. In vielen Bereichen fehlt systematische Evidenz oder publizierter Konsens, sodass wir, um diese nicht aussparen zu müssen, darstellen, wie wir derzeit in unserer Einrichtung vorgehen.
Eingangscheck
Grundlage für eine angemessene rehabilitationsneurologische Versorgung meist noch kritisch kranker Patienten mit komplexen Vorgeschichten ist eine lückenlose Vorinformation. Dazu gehören Entlassbriefe, Vorbefunde und ganz wesentlich radiologische Bilder. Der erste Check gilt daher der Vollständigkeit dieser Information.
Nicht allen Beteiligten ist hinreichend klar, dass eine Bring- und eine Holschuld für medizinische Vorinformation besteht [50]. Die Bringschuld der in die Neurorehabilitation (oder zu einer anderen stationären Behandlung) Zuweisenden wird geregelt durch das ärztliche Berufsrecht (hier § 7 Abs. 7 der Musterberufsordnung) und die der Sozialgesetzgebung untergeordnete Krankenhauseinweisungsrichtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses (hier § 5). Diese Normen beinhalten nicht nur die Pflicht zur Vorlage eines Arztbriefes nach Facharztstandard, sondern auch von Befunden und bedeutsamen Unterlagen. Im Falle der Neurorehabilitation sind dies auch Arztbriefe, die dem Vorbehandler zugegangen sind, und v. a. die radiologischen Bilder. Dies gilt auch vor dem Hintergrund der europäischen Datenschutzgrundverordnung.
Die gesetzlichen Normen verweisen zudem auf Rechtzeitigkeit der Übermittlung relevanter Befunde (s. Musterberufsordnung für Ärzte § 7 Abs. 7). Im Falle der Neurorehabilitation ist dies der Moment der Aufnahme des Patienten in die Neurorehabilitationsklinik. Denn hier werden erheblich kranke Patienten nach zwischenzeitlicher Transportbegleitung an ein wiederum völlig neues therapeutisches Team übergeben. Zusätzlich wurden oft um diesen Zeitpunkt herum therapeutische Änderungen durchgeführt (Entfernung der extraventrikulären Drainage vor Verlegung, medikamentöse „Abschirmung“ während des Transportes etc.). Zur adäquaten Beurteilung und Betreuung des Patienten bei Aufnahme in eine Rehabilitationsklinik müssen daher zu diesem Zeitpunkt alle relevanten Informationen vorliegen.
Gelegentlich werden von Zuweisern nicht alle erforderlichen Unterlagen bei Verlegung zur Verfügung gestellt. Bei Nachfrage wird dann manchmal zunächst eine schriftliche Einverständniserklärung des Patienten verlangt. Dies ist rechtlich nicht haltbar. Denn Rehabilitationsbehandlungen setzen nach § 9 der Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses über Leistungen zur medizinischen Rehabilitation Einverständnis und Mithilfe des Patienten voraus, sodass davon auszugehen ist, dass der Patient oder sein gesetzlicher Betreuer die Übermittlung relevanter Informationen in jedem Fall billigt und zusätzlich in der Regel im Interesse einer sachgerechten Weiterbehandlung auch dringend wünscht.
Eine Holschuld für Vorbefunde erwächst Rehabilitationsneurologen aus der allgemeinen ärztlichen Sorgfaltspflicht, die eine erschöpfende Erhebung oder Beibringung relevanter Befunde gebietet (s. Bürgerliches Gesetzbuch § 630 a Abs. 2). Diese Aufgabe kann sich aufwendig und verzögert gestalten, wenn sie organisatorisch nicht hinreichend vorbereitet ist.
In der Vergangenheit war v. a. die Beibringung radiologischer Bilder ein Problem. Technisch ist dies heute gut lösbar. Teleradiologieverbünde und klinikinterne Bildmanagementsysteme erlauben die Verfügbarkeit radiologischer Bilder direkt bei der Aufnahme von Patienten oder während der Visite auf der Station. Zusätzlich können diese oder während der Neurorehabilitation erstellte Bilder verzögerungsfrei Vor‑, Mit- oder Nachbehandlern zur Verfügung gestellt werden. Unsere eigene Einrichtung nimmt an einem regionalen Teleradiologieverbund mit rund 400 Kliniken teil (www.medecon-telemedizin.de). Im Jahr 2018 erhielten wir über dieses Portal über 12.000 Untersuchungen aus knapp 100 Einrichtungen. Etwa 70 % dieser Bilder lagen bei Aufnahme vor, 20 % innerhalb der ersten Woche und 10 % später. Daneben kamen ca. 20 % unserer Patienten aus Häusern, die dem Teleradiologieverbund nicht angeschlossen sind oder noch keine effektiven Nutzungsalgorithmen etabliert haben. Hier gestaltet sich das Beibringen von Bildern und damit die Versorgung der verlegten Patienten schwerer. Wichtig erscheint die Aufklärung von Zuweisern und die Aufforderung zur verbesserten Organisation der Informationsübermittlung. Denn Mängel bei den Zuweisern können nicht nur Haftungsverschulden begründen, sondern schlagen sich in Mehrarbeit der Rehabilitationseinrichtungen nieder und damit leicht in Änderungen von Aufnahmepriorisierungen.
Diagnostikchecks
Mit Originalbildern in Form konventioneller Röntgenographien, Computertomographien (CT), Magnetresonanztomographien (MRT) oder auch Angiographien lassen sich Zuweisungsdiagnosen von Patienten in der Neurorehabilitation meist am genauesten nachvollziehen und für die Rehabilitationsplanung nutzen. Für Neurorehabilitation relevante Strukturschäden spiegeln sich in schriftlichen Befunden meist nicht differenziert und verlässlich genug wider. Eine Hemiplegie durch einen kortikalen Infarkt hat eine erheblich bessere Prognose als ein Infarkt mit Beteiligung der Capsula interna. Eine mnestische Störung nach einem Infarkt im Versorgungsgebiet der Arteria cerebri posterior einschließlich des medialen Temporallappens hat eine bessere Prognose, als wenn eine demenzielle Entwicklung vermutet werden müsste. Daneben sind Originalbilder die Grundlage für Kontrollbildgebung, wenn Funktionen sich nicht wie erwartet bessern oder sogar verschlechtern – etwa wenn es nach einer intrazerebralen Blutung mit Ventrikeleinbruch zu einem verzögerten Liquoraufstau mit Hirndruck kommt. Gelegentlich korrigieren Originalbilder aber auch diagnostische Arbeitshypothesen der Vorbehandler (Abb. 1).
Diagnostikchecks zu Ursachen
Diagnostikchecks zu Erkrankungsursachen sind am häufigsten beim Schlaganfall angezeigt, weil die Identifizierung einer Schlaganfallsursache therapierelevant ist.
Second-look-Langzeitelektrokardiographien(EKGs) führen wir bei allen Schlaganfallpatienten ohne zuvor detektiertes Vorhofflimmern oder hochgradige A.-carotis-Stenosen durch. Lakunäre Schlaganfälle sind verschwindend selten in der Neurorehabilitation. Wir finden in 7 % der so untersuchten Fälle bisher unbekanntes Vorhofflimmern, sodass wir eine entsprechende Antikoagulation beginnen. In weiteren 16 % der Fälle finden wir absolute Arrhythmien von unter 30 s Dauer. Hier verlängern wir die Langzeitelektrokardiographien oder antikoagulieren in Einzelabwägung [40, 41]. Daher halten wir ergänzende Langzeit-EKGs bei diesen Patienten für sehr versorgungsrelevant.
Gefäßdiagnostik, in unserem Fall Dopplersonographie oder MR-Angiographie, führen wir durch, wenn aus den Vorbefunden der zervikale und intrakraniale Gefäßstatus unbekannt oder unklar bleibt. Im Falle hochgradiger intrakranieller Gefäßstenosen eskalieren wir die antithrombotische Therapie; im Fall über 50%iger (systolische Spitzengeschwindigkeit >200 cm/s) symptomatischer Arteria-carotis-Stenosen nach NASCET und kurzer Latenz nach dem Ereignis leiten wir in den meisten Fällen eine zügige Thrombendarteriektomie ein [14]. Eine „Operation nach der Reha“, wie gelegentlich von Vorbehandlern vorgeschlagen, halten wir für kontraindiziert wegen des hohen Rezidivrisikos in der frühen Phase nach Schlaganfall [14].
Diagnostikchecks zum Zustand
Sehr häufig treffen Patienten deutlich schläfriger in Neurorehabilitationskliniken ein als von Verlegenden angekündigt oder nach Unterlagen oder Übergabe durch Begleitpersonal anzunehmen ist. Häufige Ursachen sind dabei Ermüdung durch den Krankentransport, Exsikkose, Sedierung vor oder während des Transportes. Aber auch andere Ursache kommen differenzialdiagnostisch infrage, die dann der unmittelbaren Abklärung und Behandlung bedürfen, wie epileptische Anfälle oder erhöhter intrakranieller Druck. Hier ist oft ein schneller zweiter Blick nötig – mittels Elektroenzephalographie bei der Frage nach einem nichtkonvulsiven Anfall oder mittels zerebraler Bildgebung bei der Frage eines Liquoraufstaus. Einblutungen oder Nachblutungen sehen wir dabei seltener. Die obigen Fragen können natürlich auch im weiteren Verlauf der Behandlung auftreten, wenn Patienten nachträglich schläfriger werden.
Wenn Patienten nicht oder wenig reagibel sind und dies dem Vernehmen nach bereits bei den Vorbehandlern der Fall war, dieser Zustand aber nicht zu der dokumentierten oder nachweisbaren Hirnschädigung passt, müssen auch Operationsberichte oder Noteinsatzprotokolle geprüft werden, da mangelnde Reagibilität auf zwischenzeitliche zerebrale Hypovolämie oder Hypoxie oder erhöhten Hirndruck zurückgehen könnte. Stimmen Ausfallsmuster insgesamt nicht mit der Zuweisungsdiagnose überein, ist reguläre neurologische Differenzialdiagnostik einschließlich einschlägiger Zusatzdiagnostik gefragt [39]. So diagnostizieren wir gelegentlich Motoneuronerkrankungen bei Patienten, die unter dem Verdacht einer zervikalen Myelonkompression laminektomiert wurden.
Schluckstörungen können klinisch leicht übersehen werden und sind das wichtigstes Risiko für Pneumonien in der Neurorehabilitation [1]. Das Schluckassessment ist mittlerweile eine Standardprozedur auf den Stroke-Units. Allerdings ist zu beachten, dass das Ausmaß einer Dysphagie fluktuieren und sich somit auch kurzfristig wieder verschlechtern kann, z. B. bei abnehmender Vigilanz infolge eines Infektes. Daher weisen Patienten manchmal einen, im Vergleich zu den Vorbefunden aus der verlegenden Klinik, veränderten Dysphagiestatus auf, welcher dann eine Neueinstufung der Kostform erforderlich macht. Eine besondere Herausforderung für neurologische Rehabilitation ist hierbei die Abwägung zwischen dem Schutz vor Aspiration (z. B. durch die Maßnahme „nihil per os“) und einer durch dieselbe Maßnahme iatrogen verursachten Verschlechterung der Dysphagie durch prolongierten „non-use“. Vorsicht kann auch geboten sein bei Patienten aus nichtneurologischen Abteilungen, die dort bereits „normal“ gegessen haben sollen. Daher werden alle Patienten standardisiert ärztlich auf Schluckstörungen „gescreent“ durch 1. klinische Hinweise auf Schluckstörungen durch Patienten, Angehörige, Pflegekräfte oder Unterlagen der Zuweiser, 2. Nachweis von Schluckstörung in der klinischen Untersuchung oder 3. Einstufung als dysphagieträchtige Konstellation wie Versorgung mit Ernährungssonde, Hirnstammaffektion (faziale Schwäche, Hinweise auf eine Hypoglossus- oder Glossopharyngeusparese, eine Dysarthrie, eine schwere Dysphonie oder eine belegte Stimme), aber auch eine schwere Aphasie. Im positiven Fall erfolgt eine standardisierte Testung zum Schlucken von Wasser und Apfelmus und dann gegebenenfalls eine Kostrestriktion nebst einer frühen fiberoptischen Evaluation des Schluckaktes (Abb. 2).
Therapiechecks
Aktivität und Prävention sind die Maximen der Neurorehabilitation. Entsprechend muss die vorbestehende Medikation überprüft und angepasst werden. Eine Herausforderung ist dabei das Absetzen von Medikamenten.
Aktivität
Akut- und Intensivbehandlung zielen zunächst auf die Kontrolle homöostatischer und vegetativer Abweichungen. Entsprechend erhalten Patienten häufig Antikonvulsiva, Benzodiazepine, Neuroleptika, Opioide, α2-Adrenozeptor-Agonisten, β‑Blocker, Antihistaminika oder Anticholinergika. Einige dieser Substanzen sind bei der Verlegung in die Neurorehabilitation bereits wieder abgesetzt, andere nicht. Erläuterungen zu den jeweiligen Indikationen werden häufig nicht übermittelt. Alle diese Substanzen sedieren und zwar besonders bei bereits beeinträchtigter Gehirnfunktion [24]. Tierexperimente und klinische Beobachtungen legen außerdem nahe, dass etliche der Substanzen die funktionelle neurologische Erholung als solche verschlechtern [28]. Daher muss versucht werden, diese sedierenden Substanzen so früh und soweit es geht abzusetzen. Dazu gehören die oft detektivische Recherche nach möglichen Indikationen und der klinische Weitblick für eine kalkulierte Beendigung von Medikamenten.
Antikonvulsivabehandlung finden wir nach Primärprophylaxe, vermuteten oder verlässlich beobachteten Anfällen sowie nach akut-symptomatischen Anfällen (innerhalb von 7 Tagen nach einer Gehirnverletzung) oder unprovozierten Anfällen (mehr als 7 Tagen danach). Eine belastbare Indikation für eine Fortführung antikonvulsiver Behandlung ergibt sich nur für verlässlich beobachtete Anfälle mehr als 7 Tage nach Ereignis [3].
Schmerzmedikation mit Opioiden ist ein häufiges Thema in intensivmedizinischer Neurorehabilitation, weil das Fehlen von Schmerzen gerne als Indikationsbestätigung angesehen wird. Da Schmerzen aber zunächst Symptome sind, ist ihre Ursache zu identifizieren und dann spezifisch zu behandeln. Im Falle von Gelenks- oder Gewebsschädigung ist dies vorübergehend gut mit Antiphlogistika (allerding wegen kardiovaskulärer Nebenwirkungen kurz und in niedriger Dosis) oder Metamizol (cave: Agranulozytose [70]) zu leisten, im Falle neuropathischer Schmerzen gut mit wenig sedierenden Antikonvulsiva statt Opioden.
Neuroleptika werden häufig wegen „Unruhe“ des Patienten eingesetzt. Bedacht werden muss jedoch, dass Unruhe von Patienten in der Neurorehabilitation gewollt ist und in gezielte Aktivität gelenkt werden sollte. Wegen ihrer antidopaminergen und damit lernbeeinträchtigenden Wirkung sind Neuroleptika für die Funktionserholung nach Gehirnverletzung besonders problematisch [25]. Daher sollten Neuroleptika, wo möglich, zunächst über Tag und dann auch abends reduziert werden.
Neben der Beendigung sedierender Medikation muss in der Neurorehabilitation der Beginn aktivierender Medikation überlegt werden, wenn Patienten in Wachheit, Reagibilität, Antrieb oder Motivation beeinträchtigt erscheinen. Hier ist der (teilweise Off-label‑)Einsatz von Substanzen zu prüfen wie Amantadin, Dexamphetamin, Methylphenidat, Levodopa, Fluoxetin oder anderen Antidepressiva [7].
Prävention
Prävention in der Neurorehabilitation umfasst die Vermeidung absehbarer Komplikationen und v. a. vaskulärer Rezidive. Zu Komplikationen trägt nicht selten auch die Medikation bei. Viele in der Notfall- oder Intensivmedizin segensreiche Medikamente sind für die fortgesetzte Behandlung ungeeignet und sollten daher zügig abgesetzt werden. Dazu gehören neben den o. g. sedierenden Substanzen Präparate wie Dihydralazin oder Urapidil, die schnell und effektiv den Blutdruck senken, aber v. a. wegen ihrer kurzen Halbwertzeit nicht für orale Dauerbehandlung geeignet erscheinen oder erprobt wären. Darüber hinaus ist zu beachten, dass es im Rahmen der rehabilitativen Therapie zu einer zunehmenden Mobilisation und körperlichen Beanspruchung der Patienten kommt. Dabei werden neue Ansprüche an das Herz-Kreislauf-System gestellt, die häufig mittelfristig auch mit Veränderungen des Blutdrucks einhergehen (in beide Richtungen). Ein Monitoring, ggf. eine medikamentöse Anpassung, auch in Vorbereitung auf die häusliche Situation, erachten wir als wichtig. Bei schwer einstellbaren Blutdrücken führen wir Langzeitblutdruckmessungen durch, bei fehlender Nachtabsenkung oder anderen Hinweisen auf das mögliche Vorliegen eines Schlafapnoesyndroms erfolgt ein Schlafapnoescreening.
Daneben ist Polypharmazie eine Quelle für absehbare Komplikationen. Sie erhöht das Risiko für pharmakologische Interaktionen, Medikationsfehler und mittelfristig Adhärenzverlust.
Die Beers-Kriterien (https://dcri.org/beers-criteria-medication-list/) geben einen guten Überblick über häufig eingesetzte, aber für ältere Menschen ungünstige Medikamente [23]. Sie bieten auch für Neurorehabilitationspatienten eine gute Orientierung. Einige Präparate stehen in der Neurorehabilitation besonders häufig zur Disposition und werden daher im Folgenden herausgegriffen.
Amiodaron hat trotz seiner mit Jod, welches über ein Drittel der Substanz ausmacht, assoziierten Toxizität einen Stellenwert in der kardialen Rhythmuskontrolle, v. a. zur Verhinderung von Vorhofflimmern oder rezidivierenden malignen ventrikulären Tachyarrhythmien. Bei Gabe für letztere Indikation findet sich jedoch metaanalytisch – möglicherweise wegen Lungen- und Schilddrüsentoxizität – keine Verringerung der Gesamtmortalität [59]. Zeigen Patienten trotz Amiodaron-Medikation ein Vorhofflimmern, kann Amiodaron meist abgesetzt werden [32].
Digitalispräparate tauchen trotz ihres engen therapeutischen Fensters immer wieder in der Medikation von Patienten auf, haben aber derzeit nur noch einen Stellenwert als Ergänzungspräparate in der Frequenzkontrolle bei Vorhofflimmern [69].
Protonenpumpeninhibitoren senken das Risiko für Stressulzera, sodass sie im Intensivsetting sinnvoll erscheinen. Sie erhöhen aber u. a. das Risiko für Clostridium-difficile-assoziierte Diarrhöen [74] und beeinflussen die kardioprotektive Wirksamkeit von Plättchenhemmern [35], sodass sie jenseits einer Intensivstation abgesetzt werden sollten. Ausnahmen sind die Behandlung mit hochdosierten Kortikosteroiden, Antiphlogistika, doppelter thrombozytenaggregationshemmender Therapie oder Hinweise für ein gastroduodenales Ulkus [30].
Allopurinol findet sich bei sehr vielen Patienten in der Neurorehabilitation wie auch bei ambulanten Patienten, weil es reflektorisch bei Harnsäurewerten oberhalb des statistischen Referenzbereiches (7,0 mg/dL) verschrieben wird, die im Übrigen bei 10 % der Erwachsenen wenigsten einmal im Leben zu finden sind [10]. Allopurinol ist in Europa die häufigste Ursache für das seltene aber gefährliche (Letalität von 20 %) Stevens-Johnson-Syndrom (Lyell-Syndrom), das besonders bei Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion auftritt [63]. Wenn Patienten keine Tophi, Anamnese für Gicht oder Nephrolithiasis und keine aktuelle Chemotherapie haben, gibt es derzeit keine gute Indikation für die medikamentöse Behandlung einer asymptomatischen Hyperurikämie [49].
Vaskuläre antithrombotische Sekundärprävention mit Thrombozytenaggregationshemmern oder Antikoagulanzien ist in der Neurorehabilitation meist multiindikativ und dynamisch. Denn Patienten haben verschiedene vaskuläre Erkrankungen, sodass unterschiedliche Indikationen berücksichtigt werden müssen [31]. Ungefähr jeder zweite Schlaganfallpatienten in der Neurorehabilitation hat Vorhofflimmern, viele eine koronare Herzkrankheit oder vaskuläre Stents [40]. Dynamisch muss die Prävention deswegen sein, weil die Patienten sich noch kurz nach dem Ereignis befinden und sich in dieser Phase die relativen Risiken für Thrombenbildung und Blutungen zu einander verschieben.
Daneben haben Patienten in der Neurorehabilitation fast immer ein erhöhtes Blutungsrisiko infolge ihres meist fortgeschrittenen Alters, der Hirnschädigung und oft anderer Erkrankungen. Wenn zusätzlich eine Antikoagulation nötig ist, steigt das statistische Risiko für klinisch signifikante Blutungen erheblich. So zeigt eine kürzlich veröffentlichte große norwegische Registerstudie zu antikoagulierten Patienten ein Grundrisiko für klinisch relevante Blutung von 2 % pro Jahr. Diese erhöht sich um jeweils weiter 2 % für jeden der folgenden Einzelfaktoren: männliches Geschlecht, Alter über 65, Alter über 75, Hypertonie, chronische Nierenerkrankung, Herzinsuffizienz, Schlaganfall, COPD, Anämie während der letzten 12 Monate, jedwede Krankenhauseinweisung während der letzten 12 Monate oder klinische Blutung. Letzter Faktor erhöht das Blutungsrisiko sogar um 4 % [64]. Die Überlegenheit der oralen Antikoagulation gegenüber anderen Substanzen in der Schlaganfallsekundärprävention bei Vorhofflimmern trotz des erhöhten Blutungsrisikos ist breit belegt (Überblick z. B. in [9]). Das Risiko verlangt jedoch, zusätzliche Thrombozytenaggregationshemmer nur unter engen Kriterien und in einem engen Zeitfenster zu geben (Tab. 1).
Beginn der oralen Antikoagulation
Bei Patienten mit einer Indikation für eine orale Antikoagulation, meist wegen Vorhofflimmerns, ist zu Beginn der Neurorehabilitation oft noch keine effektive Antikoagulation begonnen worden. Nicht selten kommen Patienten jedoch mit subkutanem Heparin in nicht effektiven, aber oberhalb der zur Thromboseprophylaxe nötigen Dosen. Dies schafft eine falsche Sicherheit in der Abwägung zwischen Blutungs- und Thromboserisiko. Daher beginnen wir früh und algorithmisch mit der oralen Antikoagulation und orientieren uns, wo das möglich ist, an publizierten Konsensusvorschlägen (Tab. 1). Parallel dazu registrieren und analysieren wir unsere Blutungs- und Thrombosekomplikationen, da uns dies wegen der großen Bettenzahl und langen Verweildauer in Neurorehabilitationseinrichtungen, also der überblickten Patiententage, aussagekräftig erscheint.
Neue, sprich direkte orale Antikoagulanzien sind Vitamin-K-Antagonisten wegen der besseren Steuerbarkeit und geringeren Blutungsrate in den meisten Indikationen überlegen ([38]; für andere Evidenz s. [51]). Dies schließt trotz bisher schmaler Evidenz die Antikoagulation nach Sinusvenenthrombose ein [22]. Ausnahmen sind jedoch die Indikation durch mechanische Herzklappen [16] und ein Antiphospholipidantikörpersyndrom [8]. Auch bei Vorhofflimmern mit mittelgradiger oder hochgradiger Mitralklappenstenose (valvulärem VHF) wird derzeit noch eine Antikoagulation mit Vitamin-K-Antagonisten empfohlen [20]. Weitere Ausnahmen sind der ausdrückliche Wunsch des Patienten oder des betreuenden niedergelassenen Arztes nach Gabe eines Vitamin-K-Antagonisten.
Hirnblutungen sind keine Kontraindikationen für antithrombotische Therapie. Die Wiederaufnahme einer Thrombozytenaggregationshemmung nach Hirnblutung hat sich als sicher erwiesen [80]. Die Wiederaufnahme einer oralen Antikoagulation wegen Vorhofflimmerns reduziert das Risiko für thrombembolische Ereignisse, ohne das Risikos für intrazerebrale Blutungen zu erhöhen [52]. Allerdings müssen für Ischämien und Blutungen unterschiedliche Latenzen bis zu Beginn oder Wiederbeginn einer Antikoagulation eingehalten werden (Tab. 2).
Im Intervall bis zur Antikoagulation erfolgt nur eine allfällige Thromboseprophylaxe, aber kein Bridging mit Heparin. Denn relativ zu keiner Überbrückung erhöht Bridging nur das Blutungsrisiko, ohne das Thromboserisikos zu mindern [79]. Zur Gabe von Thrombozytenaggregationshemmern im Intervall bis zur Antikoagulation gibt es unterschiedliche Stellungnahmen [9, 44]. Wir geben diese nur unmittelbar nach Herzinfarkt oder Stentplatzierung, aber nicht als „weniger blutungsträchtige“ Zwischentherapie eines Vorhofflimmerns.
Bildgebung zu Beginn der oralen Antikoagulation
Rehabilitationsneurologen haben selten Patienten mit kleinen Hirninfarkten oder gar transitorisch ischämischen Attacken, bei denen die Vorteile eines neuen oralen Antikoagulans innerhalb weniger Tage nach Ereignis mittlerweile gut belegt sind [67, 77]. In der Neurorehabilitation dominieren Patienten mit mittleren und großen Hirninfarkten und solchen mit Einblutungen sowie Patienten mit primären Blutungen. Hier steht eine Antikoagulation einem höheren Risiko für Ein- oder Nachblutung entgegen. Zur Eingruppierung in Risikostufen ist zunächst die zerebrale Bildgebung initial und im frühen Verlauf notwendig. Offen ist, welchen Beitrag Bildgebung während der Neurorehabilitation leisten kann.
Eine hämosiderinsensitive MRT kann Hinweise auf eine zerebrale Amyloidangiopathie und ein somit erhöhtes Blutungsrisiko geben [78]. Es werden unterschiedliche Zahlen für magnetresonanztomographisch nachgewiesene Mikroblutungen vorgeschlagen, oberhalb derer nicht antikoaguliert werden solle, z. B. 5 [44] oder 10 [72]. Weder sind derzeit empirisch belastbare Grenzmaße noch magnetresonanztomographische Spezifika wie Feldstärke, Sequenz, Größe oder Lokalisation benannt, noch liegen Ergebnisse zu randomisierten Studien mit einem entsprechenden Entscheidungsalgorithmus vor. Lediglich eine kleine Serie zeigte, dass OAKs binnen eines Jahres zumindest die Zahl von Mikroblutungen nicht vermehrten [65]. Daher ist derzeit der Beitrag einer MRT oder Computertomographie vor (Wieder‑)Aufnahme einer OAK offen.
Nach einem ischämischen Hirninfarkt durch VHF empfehlen Praxisleitlinien zwar vor (Wieder‑)Aufnahme einer OAK eine Verlaufsbildgebung zu erwägen, insbesondere wenn innerhalb der ersten 12 Tagen nach Ereignis antikoaguliert wird [71]. Diese Empfehlung geht u. a. auf eine Studie zurück, in der nach ischämischem Schlaganfall durch VHF bei 3,6 % der Patienten symptomatische zerebrale Einblutungen gefunden wurden. Davon trat die Mehrzahl innerhalb der ersten 2 Wochen nach Ereignis auf [55]. Zu Hirnblutungen und Antikoagulation wird allerdings auf eine koreanische Serie verwiesen mit 254 Patienten mit intrakranialen Blutungen und VHF, die mit OAK behandelt wurden. Unter diesen fanden sich sekundäre Einblutungen nur bei Patienten mit unvollständiger Blutungsrückbildung [57]. Tatsächlich hatten aber 36 % dieser Patienten ein Subduralhämatom. Subduralhämatome aber haben eine eigene Pathophysiologie und sind äußerst nachblutungsträchtig. Patienten mit Subduralhämatomen, insbesondere atraumatischen, und Indikation für Antikoagulation untersuchen wir engmaschig magnetresonanztomographisch und auch nach Wiederansetzen der OAK. Daher sagt die o. g. Studie unseres Erachtens nur wenig über die Rolle der Rückbildung einer intrazerebralen Blutung für das Risiko einer OAK aus.
Bildgebung ist für Rehabilitationskliniken teilweise mit erheblichem Aufwand verbunden. Eine Bildgebung vor jedem (Wieder‑)Beginn einer Antikoagulation würde daher oft erst mit Verzögerung erfolgen. Gleichzeitig ist ein rechtzeitiger (Wieder‑)Beginn einer Antikoagulation entscheidend für die Prävention ischämischer Rezidive. So zeigt die RAF NOAC Study die niedrigste Rate für kombinierte ischämische und vaskuläre Rezidive bei Patienten, die 3 bis 14 Tage nach Ereignis mit direkten OAK antikoaguliert wurden. Danach stieg die Rezidivrate von 2 % auf über 9 % an [56]. Ein Algorithmus zur erneuten Bildgebung, welcher möglicherweise zu einer Verzögerung der Einleitung einer antithrombotischen Therapie führt, sollte daher gut fundiert sein. Hier fehlen Studien oder zumindest Registerdaten. Bisher finden wir aus der Originalliteratur für Patienten, die sich klinisch nicht verschlechtert haben, keinen zwingenden Anlass für eine Bildgebung vor (Wieder‑)Beginn einer Antikoagulation jenseits von 2 Wochen nach Hirninfarkt oder 4 nach intrazerebraler Blutung. Wichtig ist die Kontrolle erhöhten Blutdrucks.
Dosisanpassung neuer oraler Antikoagulanzien
Viele Patienten werden mit reduzierter Antikoagulation in die Neurorehabilitation verlegt. Teilweise erfolgt dies als Abwägung eines erhöhten Blutungsrisikos nach akutem Schlaganfall oder Blutung, teilweise wegen anfänglich verminderter Nierenausscheidung, teilweise aus nicht nachvollziehbaren Gründen. Hier muss in der Neurorehabilitation entsprechend etablierter Kriterien nachjustiert werden (Tab. 3).
Periprozedurale Unterbrechung antithrombotischer Therapie
Während der Neurorehabilitation müssen manche Interventionen mit gewisser Dringlichkeit durchgeführt werden, je nach Indikation z. B. die Anlage eines suprapubischen Blasenkatheters (SPBK), einer perkutane endoskopische Gastrostomiesonde (PEG) oder eines ventrikuloperitonealen Shunts (VPS) oder einer Kalottenplastik wegen eines Sunken-brain-Syndroms. Dazu muss eine antithrombotische Therapie unterbrochen werden. Operateure neigen dazu, auf periprozedurale Blutungskomplikationen zu fokussieren. Rehabilitationsneurologen sollten zusätzlich das Thrombembolierisiko berücksichtigen und daher mit dem periprozeduralen Management von Antithrombotika vertraut sein.
Es gibt bisher nur retrospektive Daten aus Zulassungsstudien sowie international und nach Fachdisziplin differierende Empfehlungen und Vorgehensweisen. Zunächst orientiert sich das Management aber an der Halbwertszeit des eingesetzten Präparates. Die Halbwertszeit wiederum wird bei renaler Elimination von der Nierenleistung beeinflusst. Daneben wird das Blutungsrisiko geplanter Eingriffe berücksichtigt [2]. Bei Eingriffen mit vernachlässigbarem Blutungsrisiko können Antikoagulanzien unterbrechungsfrei fortgesetzt werden (Tab. 4). Für direkte orale Antikoagulanzien genügt bei niedrigem periprozeduralem Blutungsrisiko ein Aussetzen von 2 bis 3 Halbwertszeiten vor dem Eingriff; bei solchen mit hohem Risiko sollten 4 bis 5 Halbwertszeiten eingehalten werden (Tab. 5).
Postoperativ können direkte OAKs bei niedrigem postoperativem Blutungsrisiko am Tag nach dem Eingriff wieder begonnen werden; bei hohem postoperativem Blutungsrisiko sollten 48–72 h eingehalten werden und eine postoperative Hämostase sichergestellt sein [11]. Zusätzlich sollte berücksichtigt werden, dass die renale Ausscheidungsleistung postoperativ beeinträchtigt sein kann, sodass hier die Dosis direkter OAKs vorübergehend angepasst werden müsste.
Für Vitamin-K-Antagonisten wird bei Eingriffen mit niedrigem Blutungsrisiko mittlerweile kein Absetzen mehr empfohlen. Vor Eingriffen mit hohem Risiko sollte der Vitamin-K-Antagonist unter INR-Kontrolle entsprechend seiner Halbwertzeit Tage zuvor abgesetzt werden [2]. Ein zusätzliches präoperatives Bridging bringt keinen Vorteil, sondern erhöht nur die Blutungsrate [12]. Ein Bridging wird einzig für die Unterbrechung einer oralen Antikoagulation bei mechanischen Herzklappen empfohlen [20].
Thrombozytenaggregationshemmung mit Acetylsalicylsäure kann nach den meisten Empfehlungen auch bei Eingriffen mit hohem Blutungsrisiko fortgeführt werden. Zusätzliche Plättchenhemmer wie Clopidogrel oder Ticagrelor sollten relativ zur durchschnittlich 10-tägigen Thrombozytenlebensdauer 5 bis 7 Tage vor einem Eingriff abgesetzt und unmittelbar postoperativ wieder angesetzt werden. Unter Thrombosepräventionsgesichtspunkten sollten wegen des erhöhten Thromboserisikos in der Frühphase nach einem vaskulären Ereignis Intervention daher möglichst spät erfolgen. Heparine in Prophylaxedosierung können am Tag des Eingriffes ausgesetzt werden [18].
Der dritte Blick
Auch nach Abschluss einer Neurorehabilitation bleibt die Behandlung der meist älteren und multimorbiden Patienten anspruchsvoll. Insbesondere da Rehabilitationsneurologen wissen, wie wichtig die Informationskette für die Patientenversorgung ist, sollten sie dem Nachbehandelnden den sozusagen dritten Blick erleichtern.
Über den geltenden Standard des Entlassmanagements hinaus müssen hierzu Erläuterung von Medikationsindikationen und Dosierungen gehören. Mittelfristig sollten aber medizinische Unterlagen vollständig elektronisch bereitgestellt werden.
Fazit für die Praxis
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Neurorehabilitation umfasst rehabilitative und über Fachdisziplinen hinausgehende medizinische Versorgung.
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Komplette Informationsweitergabe ist Pflicht für Vorbehandler und Rehabilitationsneurologen.
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Überweisungsdiagnosen und Therapien müssen hinterfragt und ggf. angepasst werden.
-
Insbesondere die Medikation muss zeitnah angepasst werden.
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Wir danken Dr. Kyrill Makoski, Fachanwalt für Medizinrecht, für die unterstützende Beratung.
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Knecht, S., Schmidt-Wilcke, T. Der zweite Blick: praktische diagnostische und therapeutische Checks in der rehabilitativen Neurologie. Nervenarzt 91, 324–336 (2020). https://doi.org/10.1007/s00115-020-00887-z
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