Zusammenfassung
Vor allem aufgrund seiner Arbeiten zur Pathologie und Biologie der Hirntumoren, die zur Grundlage für die Klassifikation der WHO wurden, zählt Klaus Joachim Zülch zu den wissenschaftlich und klinisch herausragenden Neurologen und Neuropathologen in der BRD. In den Jahren 1961 bis 1962 führte er als Vorsitzender die Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN), die ihn 1978 zum Ehrenmitglied und 1984 zum Ehrenvorsitzenden ernannte. Neben dem Zülch-Preis der Max-Planck-Gesellschaft richtet die DGN auf ihrem Jahreskongress eine Zülch-Lecture aus. Wie Archivdokumente zeigen, begeisterte sich Zülch früh für Ideen des Nationalsozialismus. Er war Mitglied in paramilitärischen Verbänden, trat 1933 der SA und 1937 der NSDAP bei. Nach Ausbildungsstationen u. a. bei Otfrid Foerster in Breslau und Georg Schaltenbrand in Würzburg war er während des Zweiten Weltkriegs als Truppen- und Lazarettarzt verpflichtet, setzte jedoch seine wissenschaftliche Arbeit am Kaiser-Wilhelm-Institut für Hirnforschung in Berlin bei Wilhelm Tönnis fort. Im Juli 1947 in Hamburg aufgrund der SA-Zugehörigkeit entlassen, legte er Widerspruch gegen diese Entscheidung der Alliierten ein und erreichte in einem längeren Entnazifizierungsverfahren auch mithilfe von für ihn hilfreichen Stellungnahmen verschiedener Neurologen die Einstufung als „Entlasteter“. So konnte er seine Karriere erfolgreich in Köln fortsetzen und wirkte ab 1959 in einer Doppelfunktion als Direktor der neu eingerichteten Abteilung für Allgemeine Neurologie des Max-Planck-Instituts und Chefarzt der Neurologischen Klinik Köln-Merheim. Aus historischer Sicht belegt vor allem der Vergleich eines um 1938 selbst verfassten Lebenslaufes mit einem Curriculum Vitae aus der Nachkriegszeit, wie Zülch neben dem Verschweigen ihn belastender Fakten um eine partielle, letztlich erfolgreiche Neukonstruktion seiner Biographie bemüht war.
Abstract
Klaus Joachim Zülch’s research on the pathology and biology of brain tumors made him one of the outstanding scholars and clinicians in the fields of neurology and neuropathology in the Federal Republic of Germany. The World Health Organization (WHO) drew on his results when laying down its classification. In the years 1961–1962 he was president of the German Neurological Society (DGN), in 1978 he became an honorary member and in 1984 honorary president. In addition to the Zülch Award of the Max Planck Society, the DGN organizes a Zülch lecture at its annual meetings. Archive documents revealed that he was an early adherent of the ideology of National Socialism. He was a member of paramilitary units, joined the SA storm troopers in 1933 and the National Socialist German Workers’ Party (NSDAP) in 1937. After having studied under Otfrid Foerster in Breslau and Georg Schaltenbrand in Würzburg he served as a military physician and in army hospitals during and after WWII. Nevertheless, he continued his investigations at the Kaiser Wilhelm Institute for Brain Research with Wilhelm Tönnis. In July 1947 he was dismissed on account of his SA membership but entered an objection to this decision of the Allies. After a lengthy denazification trial he succeeded in being exonerated. This was also due to attestations written in his favor by various neuroscientists. Hence, he could pursue his career in Cologne and from 1959 onwards he acted as director of the newly established department of general neurology of the Max Planck Institute and simultaneously as head of the department for clinical neurology at Cologne-Merheim hospital. The juxtaposition of a CV written by Zülch himself around 1938 with another one composed after the war shows that he tried to conceal incriminating facts and partly reconstructed a new and ultimately successful biography.
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Martin, M., Fangerau, H. & Karenberg, A. Die zwei Lebensläufe des Klaus Joachim Zülch (1910–1988). Nervenarzt 91 (Suppl 1), 61–70 (2020). https://doi.org/10.1007/s00115-019-00819-6
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DOI: https://doi.org/10.1007/s00115-019-00819-6
Schlüsselwörter
- Hirnforschung
- Geschichte der Neurologie
- Geschichte der Neuropathologie
- Medizin im Nationalsozialismus
- Deutsche Gesellschaft für Neurologie